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Ausgabe:

1890 Nr. 1

Spalte:

336-338

Autor/Hrsg.:

Euler, Konrad

Titel/Untertitel:

Handbuch zum kleinen Katechismus Luthers für Lehrer in Schule und Kirche. 3. Aufl 1890

Rezensent:

Köstlin, Heinrich Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 13.

Sprung von dem letzten Urtheil, dies oder jenes fei
refp. verhalte fich fo, zu dem erften Urtheil führt,
welches ein Sollen, eine Pflicht, ein Ideal proclamirt,
das mufs fleh einprägen und darf nie vergehen, wer
wiffenfehaftliche Ethik treibt. Hier ift aber davon nicht
die Rede. Beides ift im Princip überall mit einander
verbunden. Dadurch erhält die wiffenfehaftliche Aufgabe
eine fchiefe Wendung und erleidet die Verkündigung
des Ideals eine Verkürzung. W. redet gelegentlich von
den ,höher flehenden' Vertretern der philofophifchen
Ethik. Das find die gutgefinnten, welche die richtige
Meinung haben, die andern die übelgeflnnten, die fleh in
der Verirrung befinden — eine Art zu urtheilen, welche die
theologifche Ethik nur in Mifscredit bringen kann. An-
dererfeits wird das Ideal verkürzt. Statt, wie die Sache
fordert, den Geflchtspunkt der Autonomie einzufchränken
und die gefchichtlichen Autoritäten energifch zu betonen,
hält auch W. es für nöthig, das Chriflenthum dem Geflchtspunkt
der reinen Autonomie gemäfs zuzuftutzen.
Und es fehlt feinem Widerfpruch gegen das moderne
Culturideal (den ich an und für fleh für zutreffend halte)
an der begründenden Kraft, die nur aus der nachdrücklichen
Hervorkehrung des negativen Elements aller
chriftlich-fittlichen Gefetzgebung zu entnehmen ifl.
Eins wie das andere ift die Frucht der falfchen Methode.
Statt deffen gilt es, die objective wiffenfehaftliche Arbeit
, die kein anderes Mafs der Wahrheit als die Ueber-
einftimmung mit dem Wirklichen kennt, fo weit fortzu-
fetzen, als die Mittel der Erkenntnifs irgend reichen,
dann aber und da, wo unvermeidlich das Moment per-
licher Ueberzeugung beftimmend eingreift, das fcharf
umriffene chriftlich-fittliche Ideal unverkürzt zur Geltung
zu bringen.

Lediglich dies ift es auch, was der apologetifchen
Aufgabe dient. Der Verf. freilich ift anderer Anfleht.
Er meint, diefelbe fordere vor allem, fleifsig von der
fittlichen Anlage, vom apriorifchen Element des Sittlichen
und vom angeborenen Gewiffen zu reden. Hat
man das behauptet und weift man darauf immer wieder
nachdrücklich hin, dann ift die That gethan, das Sittliche
ift im Ewigen und Ueberfinnlichen begründet — eine
Selbfttäufchung, die mir kaum verftändlich ift. In der
Rede vom irrenden Gewiflen tritt fie wohl am deut-
lichften hervor. Da hilft fich W. mit der alten Unter-
fcheidung zwifchen ai vz^o^aig und ovvsiäriots, natürlich
in modern zugeftutzter Form. Und nun denke man fich
einen naturaliftifchen Bearbeiter der Ethik als Zuhörer
bei folgender Rede: Das Gewiffen irrt nicht, nur kriegt
man diefes irrthumslofe Gewiffen nicht zu fehen, es
fteckt dahinter, was man zu fehen kriegt, ift nur die
Anwendung, in der immer fchon der Irrthum mitwirken
kann. In der That, der Erfolg läfst fich denken. Aber
nicht, dafs auf diefe Weife die apologetifche Bemühung
nothwendig fruchtlos bleiben mufs, ift vom Standpunkt
des Chriftenthums aus beurtheilt das Mifslichfte. Das
Mifslichfte ift die dadurch beeinträchtigte Auffaffung der
chriftlichen Wahrheit felbft. Nicht das in der Schrift
bezeugte Evangelium vom Gottesreich, fondern die bei
der Entftehung des Dogma's in der Kirche eingebürgerte
Logosfpeculation ift Kern und Stern aller Ausführungen
des Verfaffers. Denn in ihr wurzelt feine Grundanfchau-
ung, welche den Ton ftatt auf den gefchichtlichen Erwerb
auf den angeborenen Belitz des Geiftes legt. Die
Gefchichte lehrt aber, dafs das von Anfang die fruchtbare
Quelle alles Rationalismus und aller Emancipation
von der gefchichtlichen Gottesoffenbarung in der Kirche
gewefen ift. Das Dogma wehrt diefen üblen Folgen
durch eine Lehre vom Sündenfall, die fich weder aus
dem chriftlichen Glauben, noch aus der Schrift begründen
läfst. Diefe Lehre billigt daher auch W. nicht, für jene
gefchichtslofe Grundanfchauung tritt er eifrig ein. Was
wird die Folge fein? Nun eben natürlich der Rationalismus
. Gevvifs nicht für ihn perfönlich. Niemand kann

daran zweifeln, wie ernfthaft es ihm um das Evangelium
und den Offenbarungsglauben zu thun ift. Aber
es denn nicht eine Gefchichte? Lehrt diefe gar nichts-
In jedem Lehrftück für fich genommen die richtige
Meinung aus den vielen möglichen und jemals befürworteten
ausfuchen, die richtige Meinung, die hübfcB
in der Mitte liegt und alle Einfeitigkeiten meidet — heifst
das wirklich fyftematifche Theologie treiben? Möchte es
doch dem Verf. gefallen, die Frage nach der fittlichen
Anlage und dem angeborenen Gewiffen, die ihn fo fehr
befchäftigt, in diefem gröfseren Zufammenhang zu erwägen
. Nur fo wird er auch entdecken, was Ritfehl und
mich zu unferer Beurtheilung diefer Frage bewogen hat.
Es ift nicht blofs die Einfleht, dafs für die Erkenntnifs
der fittlichen Dinge mit deren Zurückführung auf eine
Anlage des menfehlichen Geiftes (die ja nicht geleugnet,
fondern nur in die zweite Stelle gefchoben werden
foll) bitterwenig geleiftet ift. Es ift ebenfo wohl die in
der Gefchichte begründete Ueberzeugung, dafs dergl.

f Theorien dem chriftlichen Offenbarungsglauben zu*

1 wider laufen.

Zum Schlufs noch eins. Indem er für die ideah-
ftifche Sittenlehre eintritt, betont der Verf., er meine den
Idealismus als fachliches, nicht als methodifches Princip
. Was würde er nun fagen, wenn ein fpäterer Bearbeiter
der Ethik ihn tadelte, weil er eine

idealiftifche

! Conftruction verwegenfter Art befürwortet habe, und
I ihn dann wieder wegen Inconfequenz, Unklarheit u. f.
tadelte, weil das Princip doch nicht zur Durchführung
gekommen fei? Ich denke, er würde es und zwar mit
Recht feltfam finden, dafs der Betreffende jenen Unter-
fchied zwifchen dem methodifchen und fachlichen Princip
nicht beachte und verliehe. Nun wohl, genau m
diefer Lage befinde ich mich den Vorwürfen des Verf.
gegenüber. Hätte es ihm gefallen zu beachten, dafs man
auch umgekehrt eine empirifche Methode befolgen kann,
ohne, was die Sache nämlich das Wefen des Sittlichen
betrifft, den Idealismus des chriftlichen Glaubens zu verleugnen
, fo würde er felber eingefehen haben, dafs jene
Einwände hinfällig find.

Berlin. Kaftan.

1. Euler, Stadtpfr. Konr., Handbuch zum kleinen Katechismus
Luthers für Lehrer in Schule und Kirche. 3. Aufl.
Giefsen, Ricker, 1888. (VIII, 338 S. gr. 8.) M. 4. —
geb. M. 4. 50.

2. Wild, Schuir. Bezirksfchulinfp. Dr. Friedr., Der kleine
Katechismus D. Martin Luthers, unter Zugrundelegung
des für die evangelifchen Schulen des Königreichs
Sachfen verordneten religiöfen Memorierftoffs erklärt.
1. Hft. Einleitung. Die zehn Gebote. Dresden, A-
Huhle, 1889. (XVI, 120 S. gr. 8.) M. 2. —

Diefe beiden Katechismusbearbeitungen haben das
Gemeinfame, dafs fie ihre Entftehung dem praktifchen
Bedürfnifse eines engeren Kirchengebietes verdanken
und zunächft diefem dienen wollen. Das Euler'fche
Handbuch ift 1860 entftanden, als im Grofsherzogthum
Heften in den lutherifchen Gemeinden der kleine Katechismus
Luthers wieder in Gebrauch gefetzt wurde, und
das Bedürfnifs nach einem Handbuch fich fühlbar machte,
,das dem Lehrer die vorbereiterde Durcharbeitung des
kirchlichen Lehrftoffes im engften Anfchlufs an den fo*
genannten Heffen-Darmftädtifchen Katechismus Luther's
erleichtern helfe'. 1873 folgte die 2. Auflage, 1888 die
3., mit der wir es zu thun haben. Als Text liegt iW
ftatt des feitherigen, der altheffifchen Kirchenagende von
1724 entnommenen Katechismustextes der von der Con-
1 ferenz der deutfehen Kirchen-Regierungen zu Eifenach
revidirte Text unter Beibehaltung der fogenannten hefl>'
fchen Frageftücke zu Grunde. Das Buch will nun