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Ausgabe:

1890 Nr. 9

Spalte:

242-243

Autor/Hrsg.:

Hans, Julius

Titel/Untertitel:

Der protestantische Kultus 1890

Rezensent:

Gottschick, Johannes

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241 Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 9

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fchaft^ k^eten un<^ wohlhabenden Theile der Bürger-
Cau zan'reiche Anhänger; zu diefen gehörten auch die
die t" ,-r ^° War Jean Calvin, der Reformator, durch
Land 3 feiner Familie, durch den Charakter des

mat e,r Und deiner Vaterftadt für die Aufnahme refor-
Luth^ .Cner L'een vorbereitet; durch Olivetan kannte er
dem ep,s Lehre; trotz der Zerwürfnifse feiner Familie mit
StuH -S behielt er feine Pfründen, während feiner
'ebfi'f1126'*' m Baris, Orleans und Bourges (fand er in
aus Verbindung mit feinen Landsleuten, genofs als

grofeZe'Chneter KoPf- als unendlich fleifsiger Student
hch ^n^enen unter ihnen, war auch weit umgäng-
hu Cr'- gewöhnlich angenommen wird. Ohne feine
feimaniftifchen Studien in Paris, wo Mathurin Cordier
Qrj, ehrer war, vollendet zu haben, ging er 1528 nach
f> eansi um auf den Wunfeh feines Vaters fich der
entswiffenfehaft zu widmen; als Licentiat der Rechte
Oer K e'te er nach Bourges über, wo nicht Alciat,
fei"" kUhmte Rechtsgelehrte, fondern Melchior Volmar
Ca" • vorzu8ter Lehrer war. In der Krifis, welche in
ab Vl" ucn abfpielte, hatte Volmar zwar eine wichtige,
„ er. n'cht jene entfeheidende Rolle, welche man ihm
da 1° .ich zufchreibt; nicht die religiöfe Aenderung ver-
Ai kV'1IT1 Calvin, wohl aber jene gewaltige literarifche
sbildung, welche in der Hand des Reformators eine
kenVirk,ame Waffe war. Nach dem Tode feines Vaters
rj ,rte Calvin wieder nach Paris zurück, das Rechts-
btuHUm n.atte er aufgegeben, nur den humaniftifchen
ta k" w!^mete er ncn> deren erfte Frucht fein Commen-
und" r ^eneca's Schrift de dementia ift. Die Jahre 1531
p. j '532> über welche wir nicht fehr genau unterrichtet
Wa ' v°Lendeten Calvins innere Entwicklung; diefelbe
^ r weit mehr durch die Schlüffe der Logik und des
achdenkens bedingt, als durch däs Gefühl; wenn er alles
| "au abwog, fo drängte ihn die Entfcheidung auf die
ift v der Reformation. Aller Wahrfcheinlichkeit nach
„ fdlefe Entfcheidung in der zweiten Hälfte des J. 1532
felh (fo auch Kampfchulte). Offenkundig wurde die-
de r> durcn Bie bekannte Rede, welche Nicolaus Cop,
r>5r Rector der Parifer Univerfität, an Allerheiligen 1533

oblivione ludere. Diefe klaren Ausdrücke verdienen doch,
dafs man fie ,ä la lettre' nimmt, was Lefranc nicht thut
(p. 97). So vollftändig und klar, wie wir über Luther's
religiöfe Entwicklung unterrichtet find, werden wir wohl
nie in das Herz des franzöfifchen Reformators hineinblicken
dürfen. Wenn Lefranc die Rolle, welche in den neueren
Biographien Calvin's Melchior Volmar zugewiefen ift, an
Olivetan übertragen hat, fo ift er damit nur dem Vorgange
Beza's gefolgt. Aber dafs der Deutfche auch in
religiofer Hinficht Einflufs auf feinen grofsen Schüler
übte, ift mit derlelben Wahrfcheinlichkeit anzunehmen,
welche Lefranc für die Einwirkung durch feine franzöfifchen
Landsleute in Anfpruch nimmt. Lefranc fpricht
von einem Briefwechfel zwifchen Volmar und Calvin
gerade in dem entfeheidenden Jahre (p. 82), Kampfchulte
führt auch einen folchen an (p. 229); veröffentlicht ift
meines Wiffens derfelbe nirgends. Vielleicht ruhen die
koftbaren Documente noch irgendwo in einem verfteckten
Winkel; an verfchiedenen Orten, wo mein fchwäbifcher
Landsmann weilte, habe ich fchon angeklopft, bis jetzt
ohne Erfolg. Vielleicht hat jemand eine glücklichere
Finderhand. Einftweilen flehe ich aber trotz meiner Bedenken
nicht an, das Buch von Lefranc als die bis jetzt
vollftändigfte Jugendgefchichte Calvin's, als eine bedeutende
Leiftung anzuerkennen.

Stuttgart. Theodor Schott.

Hans, Pfr. Jul., Der protestantische Kultus. Augsburg,
Schloffer, 1890. (III, 140 S. gr. 8.) M. 2. —

Gegenüber dem Zuftand des Gottesdienftes, der in
weiten Gebieten der evangelifchen Kirche noch der
herrfchende ift und eine Ausgleichung zwifchen refor-
mirtem und lutherifchem Typus bedeutet, gegenüber der
Herrfchaft der Predigt, der nur Gebet und Lection
fowie Gemeindegefang voraufgehen und Gemeindegefang
folgt, Hellt der Verf. auf der Grundlage einer Ueberficht
über die gefchichtliche Entwicklung die Frage nach Be-
dürfnifs und Art der Reform. Der Abfchnitt über die
gefchichtliche Entwicklung, der mit der Reformation be-

=>an-z in reformatorifchem Geifte hielt und welche Calvin 1 ginnt, beruht, wie einzelne Correcturen der vorhandenen
Zu-m Verfaffer hatte. Cop und Calvin mufsten aus Paris l Darftellungen zeigen, auf felbftändiger Durchprüfung der
r'ehen, ein fechsmonatliches Wanderleben führte der | Quellen. In Bezug auf Luther kommt der Verf. im

Wefentlichen zu demfelben Ergebnifs, wie meine Schrift

Hztere (noch find nicht alle Theile desfelben klar gelegt)
a a' 1534 war Calvin wieder in Noyon, wo er als Haupt
j^1* Proteftanten galt und in Folge eines Tumultes in der
'rche einige Zeit eingefperrt wurde. Wie lange die
au dauerte, ift nicht ficher; er kehrte nach Paris zurück,
er Sturm der Verfolgung, welchen die fog. Piacards
^ "geheftet 19. Oct. 1534) erregten, vertrieb auch ihn
r-.r f rankreich. Damit lcnliefst eigentlich Calvin's Jugend

über Luther's Anfchauungen vom chriftlichen Gottesdienft
u. f. w., dafs bei ihm neben der pädagogifchen
Auffaffung die andere höhere von dem Gottesdienft als
einem Lobopfer der Gemeinde der Gläubigen hergeht.
(Zu den wichtigeren Belegen für diefe Anfchauung füge
ich noch Luther's Auslegung des Iii. Pfalms hinzu.
Erl. A. 40, 192 ff.) Mit Recht tritt der Verf. den An-

§e<"chichte-"eTne Ergänzung dazu°und einen Nachtrag im I klagen gegen" den reformirten Gottesdienft entgegen, dafs
Luche bildet die Erzählung der Schickfale der Prote- | derfelbe nur facnficiellen Charakter habe, nur menfeh-
ftanten in Noyon bis zu ihrer völligen Ausrottung im liches Thun fei und fo von dem lutherifchen wefentlich
Jahre IC64 ebenfo die vielfachen Beziehungen, welche j verfchieden fei. — Das Wefen des chriftl. Cultus ift ihm
"Wifchen denfelben und Calvin, nachdem er in Genf an- 1 Darftellung der durch Chnftus vermittelten Liebesgernein
§efiedelt war, beftanden.

Diefer kurze Auszug aus dem Inhalt eines reich ausgeführten
Lebensbildes zeigt den Werth des Buches von
Lefranc; erhöht wird derfelbe durch feine Charakte-
Lftiken der wichtigften Perfonen, werthvolle Excurfe
?; B. über die angebliche Brandmarkung Calvins) und
^eachtenswerthe Documente. Es läfst fich nicht leugnen,
dafs der Verf. mit der realiftifchen Gefchichtfchreibung,
d,eri Familien- und Localverhältnifsen durchfchlagenden
Linflufs auf die Entwicklung eines Charakters zuzu-
Rhreiben, vollen Ernlt gemacht hat; für die Art der
Larchführung gebührt ihm volles Lob. Ob die Erklärung
.Uebertritts' von Calvin vollftändig erfchöpfend ift,
|(a8t fich allerdings; Calvin fpricht an einem der wenigen
Lhte, wo er darauf zu reden kommt, von subita con-
9eTsio, ferner fagt er: co acrioribus pungebatur aculeis
Co>iscicnt:a, ut nou aliud restaret solaüum quam me ipsum

fchaft zwifchen Gott und Menfchen, die doch Vollzug
der letzteren ift, weil fie das intenfive Erleben derfelben
vermittelt, die ihren Zweck in fich felbft trägt und doch
Forderung mit fich führt, alfo einen weiterreichenden
Zweckgedanken nicht ausfchliefst. Treffend zeigt er, wie
es für eine Gemeindefeicr nicht ausreicht, wenn die Predigt
das im Grunde einzige Darftellungsmittel ift, weil
fie weder die Activität der Gemeinde zur Geltung kommen
läfst, noch der geiftleiblichen Natur des Menfchen
genügt. Der Repriftination der lutherifchen Liturgie tritt
er entgegen und fordert einen Neubau. Er fpricht lieh für
die Trennung der Predigt- und Abendmahlsgottesdienfte
aus, macht treffende Bemerkungen über den Ciiarakter,
den die Predigt als Beftandtheil der Gemeindefeier haben
mufs, tritt für die Nothwendigkeit einer reicheren Liturgie
ein, in der die Vergegenwärtigung der Gnade Gottes in
Darbietung des Schriftworts durch den Liturgen und im