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Ausgabe:

1890 Nr. 9

Spalte:

239

Autor/Hrsg.:

Melanchthon, Phpp.

Titel/Untertitel:

Melanchthon‘s Loci communes in ihrer Urgestalt nach G. L. Plitt in 2. Aufl. von neuem hrsg. und erläutert von Th. Kolde 1890

Rezensent:

Nitzsch, Friedrich August Berthold

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239 Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 9. 240

ift erfreulich, dafs in diefer Controverfe der dritten Auflage
der Majunke'fchen Schrift bereits die dritte Auflage
der Kolde'fchen Entgegnung auf dem Fufse hat folgen
können. Der Verfaffer hat fleh durch fein fchnelles und
energifches Vorgehen ein Verdienft im Kampfe erworben.

Kiel. G. Kawerau.

Melanchthon's, Phpp., Loci communes in ihrer Urgeftak
nach G. L. Plitt in 2. Aufl. von neuem hrsg. und erläutert
von Prof. D. Th. Kol de. Erlangen u. Leipzig,
Deichert Nachf., 1890. (VIII, 279 S. gr. 8.; M. 3. 50.

Nachdem i. J. 1864 die Ausgabe der Loci Melanchthon
's in ihrer Urgeftalt von G. L. Plitt erfchienen war,
habe ich diefelbe in den Jahrbüchern für deutfehe Theologie
(Bd. X, S. 185—191) verhältnifsmäfsig ausführlich
recenflrt. Ich konnte mich über diefe Leiftung Plitt's
im Allgemeinen anerkennend ausfprechen, immerhin fah
ich mich jedoch genöthigt, manche Ausftellungen zu
machen. Ich freue mich, in der nunmehr vorliegenden
zweiten Ausgabe des Plitt'fchen Werkes nicht nur faft
alle Fehler, die ich an der erften zu rügen hatte, vermieden
, fondern das Buch auch im Uebrigen noch vervollkommnet
zu fehen, wie das ja freilich von dem neuen
Editor, einem unferer hervorragendflen Kenner der Re-
formationsurgefchichte, zu erwarten ftand.

Das Schema des Inhaltes ift in der neuen Ausgabe
nicht wefentlich verändert. Aber Kolde hat mit Weg-
laffung des Plitt'fchen Schlufswortes (einer Beurtheilung
der Loci) im Anhang einen neuen Abdruck der zuerft
von Krafft in feinen ,Briefen und Dokumenten' veröffentlichten
Baccalaureatsthefen Melanchthon's (S. 260—262)
hinzugefügt, ferner ift die dem Texte der Loci voraus-
gefchickte gefchichtliche Einleitung einerfeits abgekürzt
(54 ftatt 96 Seiten), andererfeits ganz neu bearbeitet und
ihrem Inhalte nach, wie fchon die Ueberfchrift zeigt,
auf ,Melanchthon's theologifche Entwicklung, bis zur
Herausgabe der loci communes' concentrirt.

Was nun zunächft den Text betrifft, fo hat Kolde
nicht, wie Plitt, Melanchthon's Schreib- und die Druckfehler
der editio prineeps in das Wortgefüge felbft aufgenommen
, am allerwenigften in der fchwankenden,
wenig folgerichtigen Weife Plitt's, fondern dem Lefer
unmittelbar einen geniefsbaren Text dargeboten, hingegen
die Lesarten der edit. princ. v. 1521, die der Octavaus-
gabe, auf deren Titel ebenfalls die Jahreszahl 1521 fleht,
endlich die der Ausgabe von 1522, fowie die in letzterer
bereits vorliegenden Umarbeitungen einzelner Partien in
die Noten verwiefen. An gewiffen Stellen hätte übrigens
der neue Herausgeber noch fchonungslofer, als er gethan,
das von Mel. offenbar Gewollte an die Stelle des that-
fächlich von ihm Gefchriebenen oder im Druck Geduldeten
fetzen, z. B. p. 112, No. XIII fin. aus postcrioris
{cpistolac ad Corintli) prioris machen fallen; und ob Mel.
wirklich Formen wie a rnmpat (S. 77, Z. 3 v. u.) hat
gefetzt wiffen wollen, ift dem Ref. mindeflens zweifelhaft
.

In den (fachlichen) Erläuterungen des Textes hat
K. den Fehler Pl.'s vermieden, als Zielfcheibe der Polemik
Mel.'s faft allenthalben den Thomas von Aquino
hinzuftellen, auch, wo diefer ziemlich unfchuldig war,
während oft lediglich Joh. Duns Scotus u. a. gemeint fein
oder mit Recht angegriffen werden konnten. K. hat
die Erklärungen Pl.'s aber nicht nur berichtigt, fondern
auch vervollftändigt. Befondere Anerkennung verdient
endlich die einleitende Abhandlung über Mel.'s theol.
Entwickelung bis zur Herausgabe der loci communes.
Diefelbe befchränkt fleh zwar auf die Hauptpunkte,
berückflehtigt aber und verwerthet die gefammte ein-
fchlägige neuere Literatur, die ziemlich umfangreich ift.

Kiel. F. Nitzfeh.

Lefranc, Abel, La jeunesse de Calvin. Paris, Fischbacher,
1888. (XVI, 229 S. gr. 8.) Fr. 6. —

Es ift eine bekannte Thatfache, dafs Calvin's Jugend-
gefchichte viel weniger bekannt ift, als die Luther's; anders
als der deutfehe Reformator, der in Briefen und
Gefprächen gern die Erinnerungen der Kindheit und der
Klofterzeit wieder aufleben liefs, der den fchweren Seelenkampf
, welchen er in der Zelle in Erfurt durchfocht, oft
und ausführlich erwähnt, fchweigt fleh der nüchterne
Picarde aus über die erften 25 Jahre feines Lebens, auch
mit wenigen Ausnahmen über die Urfachen und Beweggründe
, welche feinen Uebertritt zum Proteftantisrnus
veranlafst haben. Eine Jugendgefchichte des Reformators
, welche gerade diefen letzterwähnten Punkt zum
Mittelpunkt ihrer Darftellung macht, ift daher in hohem
Grade willkommen, und um fo weniger dürfen wir mit
diefem Lobe kargen, wenn es wie die Studie von Lefranc
eine Reihe neuer bedeutungsvoller Auffchlüffe, giebt und
die bisher gewohnte Anfchauung dadurch mannigfach
fleh ändert. Wir wiffen nicht, hat ihn feine frühere
Studie über die Vaterftadt Calvin's im Mittelalter auf die
Quellen hingewiefen, welche ihm für die Schilderung
uer Jugendzeit des Reformators reiche Ausbeute gewährten
, jedenfalls ift es fein Verdienft, diefe localen
Quellen in ausgiebigfter Weife benutzt zu haben. Was
die Protokolle der Gemeinderathsfitzungen, Rechnungsbücher
und Bürgerliften, die noch vorhandenen Auszüge
aus den (verlorenen) Protokollen der Capitelfitzungen
u. f. w. darboten, wurde treulich und forgfam verwerthet,
ebenfo die gedruckte Literatur, vor Allem das Corpus
reformatorum und Herminjard, auch von der übrigen
Literatur ift, foweit Referent erfah, nichts wefentliches
unberückflehtigt geblieben. — Verfuchen wir den Hauptinhalt
des gut gefchriebenen Buches kurz zu fkizziren.

Des Reformators Vater, Gerard Cauvin, war von
dem benachbarten Pont l'Evesque nach Noyon gezogen
(um 1481); Notar und Verwaltungsbeamter, mit einer
wohlhabenden Frau verheirathet (der Name von Calvin's
I Mutter, Jeanne Lefranc, ilt den meiften Biographen un-
! bekannt), war er die rechte Hand der Geiftlichkeit in allen
I Verwaltungsfachen, darum wurde es ihm auch ein leichtes,
feinen Söhnen noch im jugendlichen Alter geiftliche
; Pfründen übertragen zu laffen; eine derfelben bezog ihre
Einkünfte von dem Oertchen Eppeville; es ift bekannt,
] dafs Calvin noch in fpäter Zeit liebte, befonders in den
Briefen an Bekannte und Heimathgenoffen, fleh als Charles
d'Espeville zu unterzeichnen. Aber der alte Cauvin war
ein eigenfinniger, gewaltthätiger Mann, der fpäter in
i heftigen Streit mit der Geiftlichkeit feines Ortes gerieth
; wegen Geld- und Erbfchaftsangelegenheiten ; auf mehrere
j Verweife folgte endlich die Excommunication, von der
I er lebend nicht mehr befreit wurde. — Die Feindfchaft
I pflanzte fleh auf den älteften Sohn Carl über, er wurde
j fpäter der Ketzerei verdächtig, ftarb im Bann ohne die
letzte Oelung angenommen zu haben als offener Ketzer
und wurde bei Nacht unter dem Galgen begraben (1537)-
Seit 1526 tauchen Spuren von lutherifcher Ketzerei in
Noyon auf. Mehr als alle andern Städte der Provinz
zeigt Noyon den Charakter des Picarden, der tapfer
und leidenfehaftlich zu Widerfpruch und Wortgefecht
ebenfo beanlagt ift, als zu ftarrem Fefthalten an dem
einmal Ergriffenen und für richtig Gehaltenen. Die Jac-
querie und die Liguc hatten hier ihren Urfprung, Calvin's
Landsleute im engern Sinn waren u. a. Ramus, Saint-
Simon, Condorcet, Camille Desmoulin, Baboeuf, Michelet.
Unter der Bürgerfchaft von Noyon, deren Einkünfte durch
die Privilegien der Geiftlichen fehr gefchädigt wurden,
fehlte es nicht an Oppofltion gegen den Clerus, der felbft
unter fleh in häfsliche Streitigkeiten verwickelt war. Durch
Olivetan, der 1526 in Strafsburg mit Bucer zufammen
war und auch von Noyon flammte, wurde der Same des
Lutherthums in die Stadt getragen und fand bald unter