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Ausgabe:

1890 Nr. 8

Spalte:

197-201

Autor/Hrsg.:

Römheld, Carl Jul.

Titel/Untertitel:

Theologica sacrosancta. Grundlinien der biblischen Theologie, für Wahrheit suchende Leser der heiligen Schrift nachgewiesen. 1. Bd.: Der Name Gottes 1890

Rezensent:

Weiffenbach, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1890. Nr. 8.

198

zur Vertheidigung der Bettelmönche angeführt. In Gal.
I) 6—10 erkennt Schäfer das Beifpiel einer wahren Tole-
ranz (S. 205). Freilich ift der Apoftel moderner Sentimentalität
fremd (S. 209). ImUnterfchied von dem avä&efi«
°er altteftamentlichen Gemeinde zieht das der Kirche
,den Verluft des einfügen himmlifchen Bürgerrechtes
"nd fomit den ewigen Fluch nach fich' (S. 208. 209).
Dafs Paulus nach Gal. I, 18 in Jerufalem Kephas kennen
lernen will, ,ifl ein unverkennbarer Beweis für den Vor-
rang diefes vor den andern Apofteln' (S. 223).

Nicht ungefchickt ift die Befprechung der Bedeutung
von dixainto (S. 254 ff ). Aber der Verfaffer dürfte fich
vorhalten, dafs nicht der Unterfchied von justiftcatio und
mputatio, fondern der Unterfchied des Glaubensbegriffes
kätholifche und evangelifche Anfchauung fcheidet (S. 257).
Der Proteftant ift feines Heiles gewifs; darum ift ihm der
Glaube Vertrauen. Damit vgl. S. 82: ,wohl find wir
ohne befondere Offenbarung nicht gewifs, ob wir bis
^mn Ende beftehen; doch unter den Mitteln, welche die
Hoffnung darauf fichern, nennt der infpirirte Autor die
Hebung der Nächftenliebe'; zu der richtigen Auslegung
v'on 1 Theff. 5, 24: niachg 6 v.aloiv vfiäg og v.ai non',aei
w'rd das bedenkliche Anhängfei zugefügt: ,und follte
eir> Chrift nicht zu diefem Ziele gelangen, an ihm felbft,
nicht am Herrn, liegt die Schuld'. Eine ähnliche Bemerkung
fchliefst fich an den Segenswunfeh 2 Theff. 3, 18
an= für alle Theffalonicher, die guten Willens find und
der Gnade kein Hindernifs entgegenffellen, wird diefer
Grufs zur Wahrheit (S 180). Daher tritt dem Kathoden
an die Stelle des vertrauensvollen Glaubens das
Sacnficium intdlcctus: ,die Unterwerfung der Erkenntnifs,
des höchften menfehlichen Vermögens, unter die geoffenbarte
Wahrheit', wie S. 258 der Glaube befchrieben
wird. Der Verfaffer wirft den Proteftanten vor, dafs fie
die katholifche Lehre nicht kennen (S. 259 Anm. 2); er
kennt aber ebenfo wenig die evangelifche Auffaffung.
Den .unendlichen Werth deffen, was Chriftus in dem
Gerechtfertigten wirkt' {S. 262) leugnet kein Proteftant.
Paul Gerhardt fingt: ,Was Chriftus mir gegeben, das ift
der Liebe werth'.

Aus Gal. 5, 24. 6, 15 wird das Recht der katholifchen
Askefe abgeleitet. Und doch giebt Schäfer bei 6, 15
zuvor eine Erklärung, die gegen eine asketifche Welt-
äuffaffung benützt werden follte. Ift alle Creatur vom
Fluche der Sünde befreit, die ganze Schöpfung im Tode
Chrifti erlöft (S. 356), dann ift ja nicht abzufehen, weshalb
man fich diefer Welt nicht freuen darf, fondern ihr
abfterben foll.

Nach wahrhaft hiftorifchen Gefichtspunkten richtet
uch diefe Exegefe alfo nicht; aber der Verfaffer bemüht
fich, .möglichft' hiftorifch zu arbeiten. Freuen mögen
wir uns immer, dafs auch auf katholifcher Seite.die
neuteftamentliche Kritik nicht mehr todtgefchwiegen zu
Werden vermag. Auch das ift ein fchöner Erfolg pro-
teftantifch-theologifcher Arbeit.

Giefsen. Oscar Holtzmann.

Rörnheld, Pfr. Dr. Carljuh, Theologia sacrosaneta. Grundlinien
der biblifchen Theologie, für Wahrheit fuchende
Lefer der heiligen Schrift nachgewiefen. 1. Bd.: Der
Name Gottes. Gotha, Schloefsmann, 1888. (XI,
526 S. gr. 8.) M. 8. —

Eine Befprechung diefes merkwürdigen Buches ift
dadurch erfchwert, dafs dem Verf. ,der Kern diefer
Schrift Wahrheit ift, welche nie vergeht, und welche an
den Herzen und Gewiffen derer, die ihr gehorfam
Hnd, fich auch als Wahrheit und als Leben erweift'
(S.VIII), und dafs derfelbe mit Solchen, denen ,über das
Geheimnifs des Namens — — das Licht nicht aufgegangen
ift', nicht rechten will (S. V). Ift nun ein Re-
eenfent — und uns geht es fo — bei aller Hochachtung

vor der religiöfen Begeifterung und dem tiefen fittlichen
Ernfte und bei aller Anerkennung der von R. auf Zeit-
erfcheinungen, -Fragen und -Schäden aufgefetzten hellen
Schlaglichter und der vielen trefflichen und weifen, meift
im pectoral-warmen Predigt-Ton vorgetragenen, Einzelbe-
merkungen des Autor's, nicht in der Lage, jenen unvergänglichen
Wahrheitskern' anzuerkennen, fo kann er
leicht und doch ganz unverdienter Weife in den Augen
des Verfaffers und feiner Gefinnungsgenoffen, welche
feiner ,tieffinnigen' Kundgebung in kirchlichen und po-
litifchen Blättern (z. B. auch in der ,Darmft. Ztg.') mächtig
zugejubelt haben, als ein Verblendeter oder Nichtfehen-
wollender erfcheinen. Und doch ift es nur ein Ausdruck
ebenfo gewiffenhafter eigener Ueberzeugung, wenn
wir auf Grund forgfältiger Prüfung unferes Buches das
Verdict fällen müffen: Wir halten den von dem Herrn
Verfaffer verfuchten Nachweis, dafsjefus als der Chriftus
Der fei, welcher durch das ganze A. und N. T. von Anfang
bis zu Ende ,der Name' heifse und unter diefem
Ausdruck fchon von den altteftamentlichen Frommen
verehrt worden fei (vgl. z. B. S. 304 u. ö.), für völlig
mifsglückt und die für diefe Annahme beigebrachten
Stützen für zerbrechlich und hinfällig.

Wir geben zunächft eine kurze Skizze der Römheld'-
fchen Auffaffung. Bei dem nahezu einheitlichen Inhalt
beider Teftamente ift die ,Gefchichte Israel's nach ihrer
Seele Jefusgefchichte' (S. 305). Auch im A. T. fleht
der Sohn Gottes bei der Bundesfchliefsung im Vordergrund
, und durch ihn kamen die Glieder des A. B. mit
Gott dem Vater und dem h. Geift in Verbindung (S. 317 f.).
Jefus Chriftus ift darum auch, unter dem Ausdruck ,der
Name', Gegenftand ,des vorbereitenden und proviforifchen
Cultus' (S. 304). Henoch, Noah, Abraham, Mofes, Jofua,
David u. v.a. waren fromme ,Chriftus-Anbeter'. Mofes
z. B. .lebte in Chrifto' (S. 76); Jofua war ,ein chriftus-
gläubiger Mann, gewifs ein herrlicher Chrift' (S. 119);
David endlich lebte in der ,chriftusreichften Periode des
Volkes Israel' und ,ftand wahrfcheinlich dem Herrn
Chrifto näher als Paul Gerhardt. Chriftus ift ihm alles'
(S. 107. 135). Zum erftenmal im A. T. tritt die Verkündigung
und die Verehrung des Chriftus in den Tagen des
Enos (Gen. 4, 26) auf, wo ,man den Namen Jehova's
anzurufen begann'. Viel deutlicher aber tritt die Chriftus-
verehrung bei Noah zu Tage, der feinen erftgeborenen
Sohn geradezu ,Sem', d. i. ,Namen' nannte (Gen. 5, 22;
6, 10), um — der ungläubig werdenden Welt zum Trotz

— ,Chriftum hoch zu ehren' und um damit zu erklären
: Wenn auch die ganze Welt untergeht, die Verehrung
Chrifti (,des Namens') ift der wahre Gottesdienft,
und ,mein erftgeborener Sohn und deffen Linie ift von
nun an der Weibesfame, in welchem der Sohn
GoUes kommen wird' (S. 67). Und ein Nachkomme
Sems im 9. Glied {sc. Abraham) bewies dann durch fein
Verhalten, dafs — von Seiten der Menfchheit angefehen

— Er der Weibesfame und durch die Verbindung mit
dem Sohn Gottes ,bis zu einem gewiffen Grade der
Name war' (S. 67). Zum Verftändnifs diefes dunkelen
Satzes mufs daran erinnert werden, dafs ,der Name' nur
für das Gebiet des N. T. den bereits Fleifch gewordenen
oder mit dem Weibesfamen verbundenen Gottesfohn bezeichnet
(S. 99), während auf dem Boden des A. T.'s
nur von der ,fucceffiven Menfchwerdung' (S 503)
oder der ,Fortzeugung' (S. 300) des Namens (nach
feiner menfehlichen Seite) geredet werden kann, und
.deffen fichtbares Erfcheinen allerdings noch zukünftig
ift' (S. 102). Der Chriftus (der Name) fchlummert nach
feiner Menfchheit noch in dem Volke Israel; nach
feiner Gottheit aber fchwebt er unabläffig über dem
Volke, lebt und waltet in ihm (S. 125). ,Der Name' ift
demnach ,die im Vorbereitungsftadium vorhandene--

— Erfcheinung des Sohnes Gottes' oder, kurz ausgedrückt,
gleichfam der .proviforifche Chriftus' (S. 144). Ehe
aber das Volk Israel, in welchem ,der Name' nach