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Ausgabe:

1889 Nr. 7

Spalte:

178-180

Titel/Untertitel:

Briefwechsel zwischen H. L. Martensen und J. A. Dorner 1839-1881 1889

Rezensent:

Lemme, Ludwig

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Theologifche Literaturzeitung. 1S89. Nr. 7.

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flicht nun die Anfchauung wieder ftark von der unteren
ab. Die mittelalterlich-mönchifche lehrt allein den Zu-
fammenhang begreifen. Die Frommen find meiftens
die v.alöyrtqoi, die Kirche die Hierarchie, die Sünde die
Weltluft, yvrctiv.es und dai/tioveg find^ faft Synonyma.
Chriftus erfcheint mehr als der JlaiTo/.qäiioq. Vermochte
man doch felbft das Gleichnifs vom verlorenen Schaf
nicht anders zu deuten, als dafs man die 99 die Engel fein
liefs, Adam dagegen das Verlorene, das der fuchende
Chriftus aus dem Hades holt, letzteres im Zufammen-
hang gedacht mit dem descensus. Nachdem auf diefe
Weife vom irdifchen Reiche Chrifti gehandelt, wendet
fich die Darftellung zu den Gedanken der Vollendung
desfelben. Eingeleitet wird das durch ein Bild aus dem
Himmel, das Chriftus als aqyuqevg die Iräa luxovqy'ui
haltend vorführt. Die Vollendung der Welt entnimmt
ihre Vorwurfe der Apokalypfe und fchliefst mit dem
nay/.öouiov y.qtxi'jqiov in Anlehnung an Matthäus 25,
alles farbenprächtige und grofs angelegte Gemälde.

Jetzt mufs natürlich der Panagia ihr Recht werden.
Ihr Leben wird dargeftellt in Bezug auf ihre Fefte. Nach
der Ueberfchrift find auch die Gedanken ix %ov hqoc
liuyyilioi genommen. Damit ift die Ueberlieferung der
apokryphen Evangelien gemeint. Namentlich das Prot-
evangclium Jacobi, fodann der Uber de dormitione Mariac
und der transitus Mariac find die Quellen hier gewefen.
Der Mutter des Herrn reihen fich naturgemäfs feine
Apoftel und Evangeliften an. Johannes ift nach Ada Joatinis
von Zahn, S. 155, gedacht. Die 70 Jünger find ebenfalls
verzeichnet. Dann gelangen wir zu der Wolke von
Heiligen. Da kommen die ayioi 'teqäqyat, die ayioi
öiu/.nvoi, die ayioi itäqxvqeg in mehreren Abtheilungem
die ayioi Maxxaßaiot, die kittet nuiöeg oi sv 'Ecpioq), 01
ayioi leivüqyi qoi, darauf die 00101, die Mönche, oi axvlixat,
01 noiryxai, Ol dt'/.ai oi, tu uyiai Mvqocpöqai, dl uyiai
Muqcvqtg yvvaixeg (nur 40), ai ooioiiäqxiqsg yvvalxeg,
«i oaiai ywacAsg und die VlLHOOig xoo —xuvqov.

Die nun folgenden Vorwürfe follen das Leben der
Kirche darfteilen. Voran gehen die fieben heiligen Synoden
, das Fundament der Kirche. Wundererzählungen
fodann in reicher Auswahl. Die Erzengel Michael und
Gabriel, der Täufer Johannes folgen. Dafs Letzterer
nicht bei der Einleitung ins Neue Teftament behandelt
wird, erklärt fich vielleicht dadurch, dafs in neuerer Zeit
der Täufer halb zu den Engeln zählt, und zwar nach Male-
achi 3, 1. Darum ftellt man ihn auch jetzt mit Flügeln
dar, wie ich in den Athosklöftern mehrfach gefehen
habe. Die Wunder der Apoftel Petrus und Paulus folgen,
fodann die der grofsen Heiligen Nikolaos Georgios und
der Aikaterina. Den Schlufs macht da der heilige Antonios
. Das Jahr der Kirche, das bei den Griechen und
Katholiken von folcher Bedeutung ift, gelangt nun zur
Darftellung. Jeder Tagesheilige wird abgefunden.

Jetzt kommen, am Finde des Ganzen, einige aus-
erlefene Mönchsbilder. Das erfte, nüg b xov aliqO-ivov
uorayov ßiog öiayqaiptxai, ftellt einen in feinen Gewändern
' gekreuzigten Mönch dar. Paffende Bibelftellen
drücken die mönchifche Heiligkeit aus, Thierfiguren als
Verfucher umgeben ihn. Kein Bild ift fo wichtig zur
Beurtheilung des religiöfen griechifchen Lebens als diefes.
,7cW, o xiXewg yqioxiavög' fagte mir ein alter Mönch einft
beim Zeigen diefes Bildes. Ein anderes Mönchsbild, das
die fogenannte Himmelsleiter darfteilt, ift nicht weniger
bedeutend. Die letzten Vorwürfe handeln fehr paffend
vom Tode, und zwar von dem des Gerechten und des
Sünders, denen das Schlufsbild von der iiaxaioxrtg xwv
tiuxttioxrxiüv wirkungsvollen Hintergrund verleiht.

Binnen bei Nienburg aWefer. Ph. Meyer.

Briefwechsel zwischen H. L. Martensen und J. A. Dorner

1839—1881. Hrsg. aus deren Nachlafs. 2 Bde. Berlin,
Reuther, 1888. (VI, 376 u. 477 S. gr. 8.) M. 12. — j
geb. M. 14. 50.

Es ift ein gut Stück neuefter Kirchengefchichte, das
in diefem Briefwechfel an unterem geiftigen Auge vorüberzieht
. Natürlich wird niemand Allfeitigkeit und Voll-
ftändigkeit in der Befprechung der literarifchen Erfchein-
ungen und der thatfächlichen Vorgänge von einem
Briefwechfel erwarten, der fich häufig fehr intermittirend
vollzogen hat; immerhin ift doch die Stellungnahme
beider Theologen zur literarifchen Bewegung aufser-
ordentlich feffelnd, und bei der thätigen Theilnahme
beider am Verfaffungsleben fällt ein intereffantes Licht
auf die kirchlichen Bewegungen.

Martenfen's Antheil an der Leitung der kirchlichen
Verhältnifse Dänemarks läfst fich nach feiner Selbftbio-
graphie beffer erkennen, als nach den abgeriflenen Bemerkungen
feiner Briefe. Aber Dorner's Antheil an der
Verfaffung der preufsifchen Landeskirche tritt den
P"ernerftehenden hier zum erften Mal in voller Deutlichkeit
vor Augen. Trotz aller Einheit in den Principien
beftand aber in der Verfaffungsfrage ein erheblicher
Unterfchied zwifchen dem dänifchen Bifchof und dem
' deutfehen Profeffor. Sein entfehiedener Gegenfatz gegen
den nordifchen Demokratismus bewegt Martenfen zum
j Widerftand gegen die Hineintragung demokratifcher
; Verfaffungsformen in die Kirche. Obwohl er im Princip
anerkennt, dafs eine proteftantifche Kirchenverfaffung
fich auf der Gemeinde auferbauen müffe, meint er doch
die rechten Leute dazu nicht finden zu können und ift
darum gegen eine Presbyterial- und Synodalordnung.
So wenig fich foult anglikanifche Anwandlungen bei ihm
finden, in diefem Punkt ift er doch der Bifchof, dafs
er das Haus der Kirchenverfaffung, ftatt von unten nach
oben, von oben nach unten bauen möchte. Dorner dagegen
verbindet mit einer muthigen Glaubcnzuverlicht,
die alle kleinlichen Bedenken durch die Einficht in das
Recht und die Nothwendigkeit des Vertrauens zu den
Gemeinden überwindet, einen praktifch gefchichtlichen
Sinn, den vielleicht nicht jeder bei ihm erwartet hätte.
Denfelben Gegenfatz einer halb peffimiftifchen Stimmung,
die fich in die neuzeitlichen Verhältnifse nicht finden
kann, und dem frifchen, thatkräftigen Eingreifen in die
gegebenen Verhältnifse fehen wir mehrfach wiederkehren.
Für Martenfen, der die Berechtigung der Civilehe theo-
retifch anerkennt, blieb diefelbe praktifch eine Ausgeburt
des Unglaubens. Obgleich Dorner die Umflände, unter
denen fich die Civillandsgefetzgebung vollzog, natürlich
beklagt, verkennt er doch keinen Augenblick ihre Nothwendigkeit
in den gegebenen Verhältnifsen; und was er
in kurzen Ausführungen über die Civilehe und ihr Ver-
hältnifs zur kirchlichen Trauung darlegt, übertrifft an
chriftlicher Einficht und gefundem Urtheil weitaus das
gefammte Kirchenzeitungsgerede jener erregten Tage,
das namentlich bei vielen fich in befonderem Sinne dafür
ausgebenden Lutheranern in directem Widerfpruch zu
Luther und den Grundfätzen der Reformation ftand.
Dafs die Geiftlichen fich nicht zur bürgerlichen Ehe-
fchliefsung hergeben konnten, verkennt Dorner mit Unrecht
; hier hebt Martenfen richtig hervor, dafs fie dadurch
felbft die Trauung entwerthen würden. Ferner war m.
E. Dorner im Unrecht, wenn er die unvermittelte Einführung
der obligatorifchen Civilehe befürwortete. Dafs
thatfächlich überall der facultativen die obligatorifche
folgt, ift kein Argument dagegen, dafs die vorläufige
Einführung der facultativen Civilehe minder zerftörend
gewirkt haben würde, als die ohne Uebergang vollzogene
Einführung der obligatorifchen. Wie die genannten
Fragen, fo werden natürlich auch die Union, die Abend-
mahlsgemeinfchaft, Kirchenzucht und dergl. in ihrer
principiellen Bedeutung und Begründung befprochen.