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Ausgabe:

1889 Nr. 7

Spalte:

173-174

Titel/Untertitel:

Sulchan-Arukh oder das Ritual- und Gesetzesbuch des Judenthums 1889

Rezensent:

Dalman, Gustaf

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173

Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 7.

174

nur von Rafchi bezeugten, fondern auch von der Gemara
vorausgefetzten ipltSlK tVa. In der Vocalifation beftreite
ich nur die Lefung JrP-pX (fo auch Levy, Neuhebr. Wör-
terb.) 1, 1. Das bibl.-hebräifche "PS Untergang wird ab-
üchtlich als fpöttifche Bezeichnung der heidnifchen Fefte
im Anklang an fyrifches ftatt -tffa (vgl. chriftl.

paläfhnifches Evangcl. Hierosolym. Joh. 7, 2. 8;

x3> I) gebraucht, fo wie der heidnifche Gottesdienft im
Anklang an iiegaccsia rviEIPl - turpitiido genannt wird.

Mifsverftändlich fcheint mir die Bemerkung im Vorwort
S. 8, dafs das Chriftenthum für die jüdifche Literatur
des ganzen zweiten nachchriftlichen Jahrhunderts
unter den Begriff der Secte niPtt falle, wonach die in
den Talmuden übliche Bezeichnung der Chriften fi» =
Sectirer fei. Es ift richtig, wenn vom Chriftenthum
die Rede ift, gefchieht es mit diefer Bezeichnung, die,
nach dem Gebrauch des Wortes bei den Chriften Palä-
ftina's für ,Volk' überhaupt ohne tadelnden Beigefchmack,
ein Seitenftück zu dem jüdifchen D;lä gewefen ift.
Sie gilt aber nur für Judenchriften. Die Heidenchriften
werden wegen ihres Chriftenthums nicht etwa aus der
rechtlichen Kategorie des i'ia oder i-pi herausgehoben.
Aufserdem ift pE, wie aus der Gemara'zu fehen, durchaus
nicht nur Bezeichnung der Judenchriften, fondern
auch anderer jüdifcher Sectirer. Mit Unrecht haben
jüdifche und chriftliche Erklärer neuerdings in mancher
derartigen Stelle Anfpielungen auf das Chriftenthum gebucht
. Jüdifcher Hellenismus und Chriftenthum galt den
Rabbinen als gleich häretifch. — Als Druckfehler wäre
in einer neuen Auflage zu verbeffern S. 11, Z. 6 v. u.
örwritrrt) in orpttim»; S. 14, Z. 13 v. o. MB-IM in
r^-P2: S. 15, Z. 11 v. o. WtärTl in Wtom; S. 18, Z. 16
v. o'."pJ>"i in Btfij; S. 27, Kol." f, Z. 13 v. o. 4, 7 in 4, 6;
S. 16, Z. 7 v. o.' ift KOOTbp (wofür beffer Spoibp) ohne
Vocale geblieben.

Leipzig. Gultaf Dalman.

Sulchan-Arukh [Gedeckte Tafel] [Ez. XXIII, 41] oder das
Ritual- und Gefetzbuch des Judenthums. Zum erften
Male aus dem Original frei in's Deutfche überfetzt |
und mit Quellenangaben, Erläuterungen und den wich-
tigften Bemerkungen aller Commentare verfehen, von
Johs. A. F. E. L. V. v. Favly unter Mitwirkung her-
vorragendfter Fachgelehrten. (In ca. 25 Lfgn.) t Lfg.
Bafel, 1888. [Zürich, Verlags-Magazin.] (1. Bd. S. 1 —160.
gr. 8.) M. 4. —

Die Bedeutung des jüdifchen Rechtscompendiums
desSchulchan-Aruch rechtfertigt durchaus das Erfcheinen
einer Ueberfetzung, welche den Inhalt dem chriftlichen
Publicum zugänglich macht. Maimonides (gelt. 1204)
hatte in feinem grofsen Rechtscodex Mifchne Thora die
einzige exiftirende fyftematifche Darftellung des rabbi-
nifchen Rechtes gegeben, während der Rechtsftoff bis
dahin nur in der Form von oft nicht abgefchloffenen
Discuffionen oder blofsen zufammengeftellten Anflehten
hervorragender Rechtslehrer vorhanden war. Jofeph Karo
(geft. 1575) folgte ihm mit dem von ihm herausgegebenen
Schulchan-Aruch (1565 in Venedig zum erften Male gedruckt
) als dem erften und einzigen Compendium des
Jus canonicum des Judenthums, das als praktifches Nach-
fchlage- und Lernbuch gemeint war und auch dem Nichtgelehrten
die Möglichkeit geben follte, fich über feine
religiöfen Pflichten genau zu unterrichten, ohne erft durch
ein gelehrtes Schlufsverfahren mit Abwiegung der Autoritäten
das gültige Recht aus den alten Quellen ermitteln
zu müffen. Alles, was mit der Praxis der Gegenwart
nichts zu thun hatte, wie das Recht des Tempel-
dienftes u. dgk, wurde deshalb aus dem Werke aus-
gefchloffen. Mofe Ifferles (geft. 1573 in Krakau) ver-

vollftändigte es durch feine feit 1578 beigedruckten
Gloffen, in denen er gegenüber dem vorwiegend den
Autoritäten des Orients folgenden Jofeph Karo den
Rechtsbrauch des deutfch-polnifchen Judenthums vertrat.
Das Werk entfprach zu fehr einem allgemein gefühlten
Bedürfnifs, als dafs es nicht, obwohl eigentlich nur auf
der Privatanficht eines Gelehrten bafirend, eine allgemeine
Anerkennung gefunden hätte. Es erhielt nahezu das An-
fehen eines Gefetzbuches des rabbinifchen Judenthums,
das ja im ftrengften Sinne diefes Wortes nicht exiftirt,
da es für Richter und Rechtsgelehrte nach wie vor Pflicht
geblieben ift, das ältere Material bei den Entfeheiden
mit zu berückfichtigen. Die Autorität Jofeph Karo's ift
zwar fehr grofs, aber nicht bindend. Doch kann man
im Schulchan-Aruch das Wefen des mittelalterlichen Judenthums
, deffen Ausläufer bis in die Gegenwart hineinreichen
, fehr wohl kennen lernen. Zugleich ift das Werk
ein bequemes Nachfchlagebuch bei der Erforfchung der
älteren Form des rabbinifchen Rechtes, wenn man Altes
und Neues zu fondern verfteht. Der 1833—4° erfchienene
Schulchan-Aruch' von M. Creizenach hat mit dem Werke
Karo's nur den Namen gemein. Die Ueberfetzung von
H. G. F. Löwe (Hamburg, 1837—40) habe ich auch in
Fachbibliotheken nicht auftreiben können.

Der nun vorliegende Anfang einer neuen, nicht,erften'
Ueberfetzung des Sch.-A., von der Verlagshandlung als
Product hoher Gelehrfamkeit gerühmt, entfpricht freilich
den Anforderungen, welche an ,hervorragendfte Fachgelehrte
' zu ftellen find, keineswegs. Bedenklich flammt
nicht blofs die ungenaue Transfcription hebräifcher
Worte (fogar Addonai S. 40 und 59). Es wird S. 41
Note 15 der Eindruck erweckt, als habe man Kenntnifs
von der Handfchrift des Ifferles. Dort habe ftatt des
DÄ des jetzigen Textes p-| geftanden. In Wirklichkeit
ift das nur eine auf Grund eines gegen jenes C5 Bedenken
erhebenden Commentars ausgelprochene Vermu-
thung. S. 83 Note 34 will der Ueberfetzer in den älteren
Ausgaben das ,richtigere' ~3iD für TUB gelefen haben.
Meine noch zu Lebzeiten Karo's erfchienene Ausgabe
von 1567 hat aber fchon T>tJ, ebenfo eine Ausgabe
von 1754 und der Commentar Jofeph Karo's zu Arba'a
Turim in Ausgabe Berlin 1764. S. 87 Note 17 wird eine
Gloffe mit Recht als nicht von Ifferles herftammend bezeichnet
. Dafs dies aber auch nur aus einer Bemerkung
des Commentars von Ephraim Margolioth (um 1820
lebend) gefchloffen wurde, ift daraus zu fehen, dafs ebenlo
unechte Gloffen S. 48. 50. 56 nicht als folche erkannt
werden, obwohl man dazu nur eine ältere Ausgabe des
Sch.-A. nachzufchlagen braucht. Ein alter Text hat
fomit dem Ueberfetzer nicht zu Gebote geftanden. Die
Ueberfetzung ift übrigens aber, wenn auch Kleinigkeiten
fleh beanftanden laffen, genau und ohne Entftellung in
tendenziöfer Richtung. Die Noten enthalten manches
zur Erläuterung für den Unkundigen wirklich dienliche
Material, nur ift es nicht immer der Standpunkt Karo's
felbft, den der Commentator vertritt. Die Bemerkung
des Titels, dafs die Ueberfetzung mit ,den wichtigften
Bemerkungen aller Commentare' verfehen fei, ift natürlich
übertrieben. Die wichtigen Quellenangaben find, wie es
fcheint, nur den gedruckten Randbemerkungen zum
Sch.-A. nachgefchrieben und laffen leider, dem jüdifchen
Brauche entfprechend, häufig die Seitenzahl vermiffen.
Wer eigentlich hinter dem nicht ohne Sachkenntnifs ab-
gefafsten Werke fteht, habe ich nicht in Erfahrung bringen
können. Nicht unmöglich wäre, dafs der durch feine,
(päter von ihm felbft desavouirte, Mitwirkung an der Ab-
faffung antifemitifcher Schriften unrühmlich bekannt gewordene
jüdifche Convertit Briman dabei betheiligt ift.
Auf keinen Fall kann er aber das jetzige Werk allein
verfafst haben, denn es ift in jeder Beziehung beffer als
feine früheren Publicationen.

Leipzig. . Guftaf Dalman.