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Ausgabe:

1889

Spalte:

171-173

Autor/Hrsg.:

Strack, Hermann L.

Titel/Untertitel:

´Aboda zara, der Mischnatraktat ‚Götzendienst‘, hrsg. und erklärt 1889

Rezensent:

Dalman, Gustaf

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Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 7.

172

Recht giebt, den 2. Petrusbrief von der Petrusapok. ab- I
hängig zu denken, er würde eingeftehen, dafs mehrere
unzweifelhafte Pfeudepigraphen, die defshalb noch nicht
Schmarotzerpflanzen' zu fein brauchen, auf die Namen
des Petrus und Paulus ,eine allgemeinere Anerkennung
als heil. Offenbarungsurkunden genoffen' haben als z. B.
der Jakobusbrief, und er würde fleh vor dem komifchen
Schritt hüten, etwas über den Verfaffer des Alexandrinerbriefs
aufzuzeichnen, blofs um die Zahl der fatalen
Schriftfteller, die ihre Werke unter apoffolifchen Namen
veröffentlicht, um eins zu vermindern. — Beweisführungen
mit: ,Es wäre fonft unbegreiflich' oder ,es wäre fonft kein
ausreichender Grund zu erflnnen' find übrigens auch,
wennfehon von anderem Gefichtspunkte aus, als gegen
die gefchichtliche Methode verftofsend abzulehnen; ohne
auf Z.'s: ,Keine Regel ohne Ausnahme' zu recurriren,
meine ich, dafs in Wahrheit vieles Unbegreifliche täglich
vorkommt, und es geradezu verkehrt ift, für alle Er-
fcheinungen einer nur punktweife uns überlieferten Vergangenheit
einen ausreichenden (!) Grund erflnnen zu
wollen. Ich breche ab, gern bereit meine Belege zu ver-
fünfzigfachen, in der Erwartung, dafs die Lefer diefes
Blattes es mit Harnack und mir ,unbegreifliclv finden werden
, wie nur in ein und demfelben Buche fo viel Verkehrtheit
neben fo viel Trefflichem begegnen könne, wie
einer unferer begabteften proteffantifchen Theologen anno
1888 eine Gefchichte des neuteftl. Kanons fchreibt etwa
als wäre er der nach 225 jähriger Ruhe auferftandene
Dionyflus Petavius.

Marburg. Ad. Jülich er.

Strack, Prof. Dr. Herrn. L., 'Aboda zara, der Mifchna-
traktat .Götzendienft', herausgegeben und erklärt.
(Schriften des Institutum Judaicum in Berlin, Nr. 5.)
Berlin, Reuther, 1888. (36 S. gr. 8.) M. —.80.

Die Herausgabe von Mifchnatractaten — bisher Pirke
Aboth 1. Aufl. 1882 (f. Befprechung im Jahrg. 1882, Nr. 14
diefes Blattes), 2. Aufl. nun auch mit kritifcher Behandlung
des Textes 1888, Joma und Aboda zara 1888 — ift eine
höchft dankenswerthe Bereicherung der zur Einführung in
rabbinifches Wiffen dienlichen Literatur. Während in
der Ausgabe der Pirke Aboth fachliche Erläuterungen
und Wortbedeutungen in Eufsnoten zu finden find, auf
welche ein Lexidion am Schluffe nur verweift, hat der
Herausgeber in Joma und Aboda zara das Wörterver-
zeichnifs felbft mit den Bedeutungen verfehen, und in
Aboda zara von den Fufsnoten, welche allein den kri-
tifchen Commentar zum Texte enthalten, faft jede fonftige
Erläuterung ausgefchloffen. Die letztere Einrichtung ent-
fpricht dem Bedürfnifs von Uebungen unter der Leitung
eines Lehrers, die in Pirke Aboth angewandte ift auf das
Selbftftudium berechnet. In jedem Fall mufs das Wörter-
verzeichnifs mit Hinzunahme des hebräifchen Lexikon
felbftändige Leetüre einigermafsen ermöglichen. Das
von mir durchgeprüfte Lexidion in Aboda zara enthält
dafür das Nöthige. Nur in einigen Fällen wäre genauere
Verdeutlichung des im Text anzuwendenden Wortfinnes
am Platz, befonders da, wo technifche Ausdrücke der
rabbinifchen Rechtsfprache vorliegen, die leider auch in
Levy's Neuhebr. Wörterbuch nicht fcharf genug definirt
werden, bt23 ift hier nicht ,zunichtemachen', fondern
.ungültig machen', bez. .entweihen', ntOln nicht überhaupt
.Genufs, Vortheil', fondern .Nutzniefsung, Niefsbrauch',
der erlaubt fein kann, wo wirklicher ,Genufs' verboten
ift, tJ'<nß nicht blofs .Erklärung1, fondern .beftimmte Angabe
', bez. .beftimmt Angegebenes'. Sonft wäre noch
bei bt?3 .aufheben' die im Text allein vorkommende Bedeutung
.nehmen, wegnehmen', bei 23£it (vom Huhn)
.Sporn' hinzuzufügen, bei 1313 die auch von Levy aufgenommene
Bedeutung ,Weberfchifff zu ftreichen und für
das unhiftorifche,Weberlade' lieber .Webftab' einzufetzen.

Zu ergänzen find die Worte Tia (bibl.-hebr. Schlauch
und -pitia länglich.

Der Text ift fehr forgfältig hergeftellt. Nur für das
nicht völlig geficherte rY'ttt'ipblJ S. 16 Z. 2 vermiffe ich
die kritifche Bezeugung. Es ftanden zur Verfügung, aufser
2 Berliner Mifchnahandfchriften [Orient. 567. 569) und
dem erften Mifchnadruck (Neapel 1492), für die paläftinifche
Recenfion der Mifchna der Cambridger Codex in der
Ausgabe von W. H. Lowe und die Krakauer Ausgabe
des paläft. Talmud (1609), für die babylonifche Recenfion
die Münchener Handfchrift nach der Variantenfammlung
des leider vor Vollendung feines Werkes geftorbenen
Rabbinowitz und ein Venediger Druck von 1520. Somit
waren die drei Textgeftalten der Mifchna unter den Zeugen
recht wohl vertreten, zumal der von mir für einen grofsen
Theil von Aboda zara verglichene Text der Editioprineeps
des paläft. Talmud (Venedig 1524) mit der Krakauer Ausgabe
fogar in Bezug auf den .Druckfehler' (bei Strack
S. 15 Note s) ftimmt. Der gewonnene Text, zufammen-
genommen mit den beigefügten Lesarten, giebt ein gutes
Bild der am Ende des 15. Jahrh. vorhandenen Geftalt
des Mifchnatextes ohne die Entftcllungen der fpäteren
Drucke. Ob nun freilich der Text, den Strack aus allen
drei Recenfionen zufammengearbeitet hat, der urfprüng-
liche ift, wer will das fagen? Auch auf Grund eigner
Arbeit am Talmudtexte in meiner , Traditio Rabbinorunt
veterrima1 habe ich mich überzeugt, dafs auf diefem Wege
der Auswahl unter den Lesarten wenn auch noch fo
zahlreicher Texte nicht weiter zu kommen ift. Das Re-
fultat bleibt fo immer ein Text, der in diefer Geftalt
gar nicht bezeugt ift und wahrfcheinlich nie exiftirt hat.
Nach meiner Meinung mufs vor allen Dingen babylonifche
und paläftinifche Recenfion der Mifchna vor
der Hand noch völlig gefchieden bleiben. Wenn wir
beide Recenfionen, zu deren Feftftellung die beiderfei-
tigen Gemaren in erfter Linie zu benutzen find, beffer
kennen werden, wird fleh auch beurtheilen laflen, inwieweit
die gefonderten Mifchnaausgaben wirklich eine felbftändige
dritte Recenfion darftellen, was mir zweifelhaft ift.
Einen diplomatifch genauen Text des Talmud etwa, wie
er im 6. Jahrh. exiftirt hat, wird man freilich nie her-
ftellen. Es ift ja fraglich, ob diefer Text jemals eine bis
in alle Einzelheiten völlig feftftehende Geftalt hatte. Kein
Schreiber war in orthographifchen Dingen und in der
Einfügung von kleinen fachlichen Verdeutlichungen durch
irgendwelche Vorfchrift gebunden. In Bezug auf alles,
was diefem Gebiet angehört und auf den Sinn wie auf
die Wortformen keinen Einflufs hat, follte man fich einem
fich als forgfältig und confequent erweifenden alten Zeugen
anfchliefsen und fich nicht durch die bei jeder Handfchrift
wieder anders auftretenden Einzelheiten das Bild
der wirklich vorhandenen verfchiedenen Textgeftalten
verwirren laffen. So wie für die griechifche Bibel de
Lagarde mit Recht es als erfte Aufgabe hingeftellt hat,
zuerft die Recenfionen des Lukian, Hefychius und Ori-
genes feftzuftellen, fo ift hier für den babylonifchen Talmud
das erfte und fehr wohl erreichbare Ziel der Text
des Commentators Rafchi (geft. 1105), das zweite der
Text der babylonifchen Gaonen im 10. Jahrhundert. Die
Vergleichung von babylonifcherund paläftinifcher Mifchna,
für welche letztere recht wenig alte Zeugen vorhanden
find, kann zum Schluffe zu noch weiteren Refultaten
führen. Im voraus ift anzunehmen, dafs die Paläftiner
alles, was ihrem Lande angehörte, beffer kannten und
richtiger ausfprachen, als die Babylonier. So ift ficher-
lich das paläftinifche fcrO'^J = tcc ysveaia (Ab. zara 1, 3)
dem babylonifchen i^DIM, das Strack in den Text aufgenommen
hat, vorzuziehen, und ebenfo die von den
Paläftinern in der Gemara dem Worte gegebene Bedeutung
.Geburtstag' dem babylonifchen .Thronbefteigungs-
tag', das Strack gleichfalls aeeeptirt hat. Richtig ift
auch das von Strack aufgenommene paläftinifche ^p^itm
= ßiOvi'iv.r] (2, 4) gegenüber dem babylonifchen nicht