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Ausgabe:

1889

Spalte:

97-98

Autor/Hrsg.:

Beyschlag, Willibald

Titel/Untertitel:

Ueber echte und falsche Toleranz 1889

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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Seite 1

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97 Theologifchc Literaturzeitung. 1889. Nr. 4. 9g

fchöner Begeisterung voll ihren hohen Beruf ans Herz
zu legen, Pflegerinnen christlicher Geflttung und Retterinnen
grofser Schichten der Gefellfchaft zu fein. Nicht
dadurch, dafs fie emancipationsfüchtig über den von Gott
gezogenen Kreis ihres Gefchlechtes hinausgehen, fondern
dadurch, dafs fie mit dem Geilte des chriftlichen Glaubens
und der chriftlichen Liebe fleh erfüllen und erfüllen
laffen, um mit klarem Auge und fetter Hand das zu thun,
was Gott als Pflicht ihnen nahebringt. Und wie nüchtern
und vorurtheilsfrei redet hier eine Chriftin über ,die
echte Chriftin und ihr Wirken'! Sie hat eine fehr hohe
-Meinung von der Begabung und der natürlichen Ausstattung
des Weibes: fie ist auf das tiefste von der
Ueberzeugung durchdrungen, dafs nur das echt christliche
Weib das echt menfchliche Weib ist oder m. a.
W., dafs nur durchdiechriftliche Religiondas Weib befähigt
wird, das zu fein und zu werden, was es fein foll. Aber eben
deshalb ist das christlich religiöfe und fittliche Leben für
das Weib unerläfslich, wie es andererfeits durch diefes
Leben zum Höchsten befähigt wird. Um eine Vorstellung von
dem reichen und fchönen Inhalt des Büchleins zu ermöglichen
, notiren wir die Abfchnitte, in denen der Inhalt
dargelegt wird. Nach einer Einleitung, welche die Aus-
ltattung und den Beruf des Weibes darftellt, redet die
Verfafferin über die chriftliche Selbsterziehung, die christlichen
Gewiffenspflichten, die chriftliche Demuth und
Entfagung, das chriftliche Wirken, die chriftliche Ergebung
, Arbeit ilt Christenpflicht, christliches Familienleben,
des Weibes fchönfter Beruf, die unverheirathete Chriftin,
die Chriftin im Berufsleben, weibliche Berufsarten. Jeder
diefer Abfchnitte enthält viel Beherzigenswerthes; wir
können nur wünfchen, dafs alles in den weiteften Kreifen
von Frauen und Jungfrauen beherzigt werde. — Allerdings
können wir nicht verfchweigen, dafs an einzelnen
Stellen, ohne dafs jedoch das Ganze dadurch eine Färbung
empfinge, ein Mangel an evangelifcher Erkenntnifs
zu Tage tritt. Nur wenige, meint die Verfafferin, haben
ein Herz für das Wefen des Chriftenthums, weil diefes
eine vornehme Gefmnung vorausfetze; der edle Nicht-
chrift werde jederzeit nach christlichen Principien handeln,
denn natürlich edler Sinn und christlicher Sinn feien das-
felbe; und gute Werke feien zu thun, damit wir feiig
werden, — während das Evangelium lehrt, dafs wir gute
Werke zu thun haben, weil wir aus Gnaden feiig geworden
find.

Marburg. A che Iis.

Beyschlag, Prof. Ur. Willibald, lieber echte und falsche

Toleranz. Vortrag, gehalten auf der 2. Generalver-
fammlung des Evangelifchen Bundes, Duisburg, 13. August
1888. 3. Taufend. Halle, Strien 1888. (15 S. gr. 8.)
M. -.30.

Der Begriff der Toleranz ift in der evangelifchen Ethik
einer der am fchwerften zu definirenden und gleichwohl
einer der unentbehrlichsten Begriffe. Der Herr Verfaffer
führt ihn uns in einer meisterhaft gewandten und gefälligen
Form vor, indem er der Behandlung der echten Toleranz
im ersten Abfchnitt die Schilderung der falfchen Toleranz
im zweiten Abfchnitt gegenüberftellt. Die Voraus-
fetzung der Uebung religiöfer Toleranz ift, wie der Herr
Verfaffer fehr richtig hervorhebt die, dafs man einen eigenen
religiöfen Standpunkt hat und zwar einen folchen, den
man für den werthvollcren hält; fomit ift der Verwechfe-
lung der Toleranz mit religiöfer Charakterlofigkeit und
Gleichgültigkeit vorgebeugt. Als das Wefen der Toleranz
bezeichnet der Herr Verfaffer ein freundliches Gewähr en-
laffen religiöfer Anfchauungen, die vom eigenen religiöfen
Standpunkt aus als unvollkommene, als unwahre
und verkehrte erfcheinen. Man könnte fragen: darf man
fie denn, wenn fie unwahr und verkehrt find, gewähren
laffen? Gebietet es nicht die Liebe,' das Unfrige dazu

zu thun, dafs an die Stelle unwahrer Anfchauungen wahre
und vollkommenetreten? Der Herr Verfaffer antwortet: ge-
wifs; aber die Mittel, welche man dazu anwendet, dürfen
nicht äufsereZwangsmittel fein, fondern der Würde der Religion
entfprechend nur Mittel derUeberzeugung, das Wort,
das Evangelium. Aber wenn wir jene Anfchauungen
(Aberglauben, Unwahrheit ,mit Waffen des Geistes, der
Gerechtigkeit, der Liebe bis zum Untergang' bekämpfen
(S. 14), fo laffen wir fie eben nicht gewähren, toleriren
fie nicht, find alfo gegen diefelben intolerant. In der
Verfchiedenheit der Mittel, die wir zur Befestigung fal-
fcher Anfchauungen anwenden, kann doch nicht der
Unterfchied zwifchen Toleranz und Intoleranz liegen,
fondern in unferer Stellung zu den abweichenden Anfchauungen
felbft. Selbstredend kann auf religiöfem Gebiete
nur mit den Waffen des Geistes und des Wortes,
nicht mit äufseren Zwangsmitteln, gefochten werden;
hat die römifche Kirche von jeher andere als geiftige und
geistliche Waffen angewendet, fo liegt der Fehler in einer
Entwürdigung der Religion, er liegt in der Gefetzlichkeit
des römifchen Religionsbegriffes, in der Vereinerleiung des
Gottesftaates und der römifchen Kirche, in der unchrift-
lichen Anfchauung vom Glauben. Aber genau genommen
liegt der Fehler nicht auf dem Gebiete der Toleranz
refp. der Intoleranz. Gegen die Irrthümer der römifchen
Kirche ift der gute evangelifche Christ gerade fo intolerant
, wie die römifche Kirche gegen unfere angeblichen
Irrthümer, und wehe ihm, wenn er es nicht wäre. Von
Toleranz des A gegen die Anfchauungen des D kann
nur die Rede fein, wenn A einen gemeinfamen breiten
Boden anerkennt, der ihn wie denD trägt; die andersartige
Anfchauung des D, welche auf jenem Boden erwächst, kann
und mufs A toleriren, .gewähren laffen', und zwar mit
Achtung und Anerkennung gewähren laffen, fo dafs er
weder mit äufseren Zwangsmitteln noch mit dem Wort
der Ueberredung oder Ueberzeugung irgend etwas dagegen
vornimmt, nur in zwei Fällen, nämlich 1) wenn
die Differenz der Anfchauungen des D nur auf individueller
Eigenthümlichkeit beruht, — wie z. B. das weibliche
Gemüth diefelbe Wahrheit anders in ihrem Werth
beurtheilcn und anders verwerthen wird, als das männliche
Gemüth —, und 2) wenn die Differenz auf Unentwickeltheit
des D beruht; wie ich etwa kindliche Anfchauungen
nicht ohne weiteres durch männlich reife Anfchauungen
verdrängen werde, in der gewiffen Hoffnung, dafs die
Wahrheit und Klarheit felbft fich nach und nach den
Sieg verfchaffen werde. Vielleicht noch einen dritten
Fall mag es geben: es ift der, dafs D in feinen Anfchauungen
unheilbar iff; aber ob ich das in diefer Erdenzeit
annehmen darf? — Dafs A die Intoleranz gegen die
Irrthümer des D nicht auf die Perfon übertragen darf,
die Perfon zu befeinden und zu haffen, weil ihre Irrthümer
befeindet werden müffen, ift fehr richtig, d. h.
folche perfönliche Intoleranz um der fachlichen willen
und als Folge derfelben ift eine unfittliche und durch
und durch unevangelifche. — Der Vortrag des Herrn
Verfaffers hat eine anregende Kraft und möge den Lefern
empfohlen fein.

Marburg. Achelis.

Berichtigung.

Der Herausgeber der Quedlinburger Italafragmente (f. vorige Nummer
Spalte 51) heifsb-nicht Büning, fondern Düning.

Bibliographie

von Cuftos Dr. Johannes Müller,

Berlin W., Opernplatz. Königl. Bibliothek.

Ceurfebc Ütrcratur.

Theel, R., Inter notioncs dei saneti in testamenti veteris et patris fidc-
tium in novi libris usitatas quae sit ratio. Dissertatio theolodca
Königsberg, [W. Koch], 18S9. (39 S. gr. 8.) £ _

Müller, G. A., Pontius Pilatus, der 5. Prokurator v. Judäa u. Richter