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Ausgabe:

1889 Nr. 26

Spalte:

643-644

Autor/Hrsg.:

Weizsäcker, Carl

Titel/Untertitel:

Das apostolische Zeitalter der christlichen Kirche 1889

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 26.

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unbefangenen Ausleger fofort den fchlagendften Beweis
der inneren Unhaltbarkeit jener Vorausfetzungen erbringt.
Als Beleg für diefe Behauptung genüge hier der Hinweis
auf die letzte Seite der Lieferung, wo 2 Chron. 34, 18 mit
2Kön. 22, 10 in befter Harmonie gefunden wird. Während
nämlich Kautzfeh in feinem für die Erfch-Gruber'fche
Allg. Encykl. der W. u. K. (Zweite Section. XLI1I,
S. 282—293) gearbeiteten Artikel ,Levi, Leviten' die
Identität des unter Jofia im Tempel gefundenen Gefetzbuches
mit dem innerhalb des 5. Buches Mofe's erhaltenen
Werke des Deuteronomikers einfach als jetzt allgemein
zugeftanden' bezeichnet, läfst dagegen K. (vgl.
S. 167) ,das Gefetzbuch Jofia's aus den fämmtlichen vier
in den Pentateuch aufgenommenen Gefetzesfammlungen
beftehen'.

Die knapp gefafste Fülle des Stoffes in den oft fehr
ausführlichen Anmerkungen ift aufserordentlich grofs und
enthält viel Lehrreiches. So lefen wir S. 35: ,Neben
den Opfern bildete den anderen wefentlichen Beftandtheil
des Gultus von Bethel wie des zionitifchen die Verherrlichung
Jehova's durch Vocal- und Inftrumentalmufik',
und dazu fteht unten die vortreffliche Anmerkung:
,Am. s, 23; 8, 10. Gab es im Tempel zu Bethel eine
heilige Mufik, fo ift nicht zu bezweifeln, dafs auch fchon
während der vorexilifchen Zeit die gleiche Einrichtung
in dem Tempel auf Zion beffand, obgleich das Königsbuch
, fo vielfach es auch hiezu Anlafs hatte, ihrer nie
gedenkt, fondern nur die Chronik'. Doch ich darf nicht
weiter auf Einzelheiten zuftimmend oder ablehnend eingehen
, fondern möchte das mit feltener Gründlichkeit
gearbeitete Buch zu gründlichem Studium empfehlen.
Auf S. 157—165 bietet der zufammenhängendeText einen
einzigen Satz; den ganzen übrigen Raum nehmen die
Anmerkungen ein. Dadurch wird fich kein lernbegieriger
Lefer abfehrecken laffen. Das Durcharbeiten diefer Lieferung
, welche mir einen viel gröfseren wiffenfehaftlichen
Werth zu haben fcheint, als der ganze erfte Band, wird
für keinen Freund der altteft. Studien ohne gute Frucht
bleiben. Nicht gefchwind gefertigte leichte Waare wird
hier dargeboten, fondern das langfam in fchwerer Arbeit
gereifte Ergebnifs redlicher Forfchung, welche nicht feiten
auch da, wo fie irrt, noch anregend wirken kann. Möge
es dem Verf. vergönnt fein, fein Werk in nicht zu langer
Frift zu einem glücklichen Ende zu führen!

Bonn. Ad. Kamphaufen.

Weizsäcker, Carl, Das apostolische Zeitalter der christlichen
Kirche. Sach und Stellenregifter. Freiburg i. B., Mohr,
1889. (XVIII und XIX S. gr. 8.) M. 2. —

Diefes ausführliche Sach- und Stellenregifter ift eine
fehr dankenswerthe Zugabe zu dem Werke von Weiz-
fäcker und wird hoffentlich dazu beitragen, dafs das
Buch noch fleifsiger ftudirt und benutzt wird. Wir befitzen
in unferer Literatur kein zweites Werk über die
Anfänge der chriftlichen Kirche, welches fich mit dem
Weizfäcker'fchen an Reichthum und Vielfeitigkeit der
Gefichtspunkte, an Klarheit und Präcifion der Darfteilung
und an echtem Glanz der fchriftftellerifchen Kunft vergleichen
liefse. Indem der Verf. eine in vieler Hinficht originale
Gefammtanfchauung in ihm niedergelegt hat, mufste
er die Divination walten laffen, allein eine Divination, die
nirgendwo darauf ausgeht, das Unbekannte mit erborgten
Farben auszumalen oder intime Schilderungen zu geben,
wo uns nur nackte Thatfachen oder Maximen bekannt
find. Alles in dem Werke dient dem Zwecke, den
geiftigen Zufammenhang der Dinge nachzuweifen, und
indem der Verf. hier überall die entfeheidenden Frage-
ftellungen mit unvergleichlicher Sicherheit trifft, hat er
die ganze Darftellung des gefchichtlichen Stoffes auf
eine Höhe gehoben, auf welcher die Fragen der niederen
Kritik einen grofsen Theil ihrer Bedeutung einbüfsen.

Zukünftige Forfchung mag den Quellenwerth diefer oder
jener Schrift anders beurtheilen oder diefe oder jene
Thatfache anders einreihen; aber den bewegenden Kräften
des apoftolifchen Zeitalters wird fie das Mafs laffen,
welches Weizfäcker ihnen gegeben hat, und fie wird gut
thun, fich in den Reichthum der ihr eröffneten Gefichtspunkte
erft einzuarbeiten, bevor fie diefelben zu erweitern
oder zu corrigiren verflicht. Noch läfst fich in der kirchen-
hiftorifchen Literatur der letzten Jahre die Exiftenz diefes
Werkes nicht fo fpüren, wie man das wünfehen mufs.
Es wird fich langfam Bahn brechen; denn es gehört umfallende
Sachkenntnifs und innere Freiheit dazu, um es
wahrhaft zu würdigen. Aber ich zweifle nicht, dafs, wenn
das nächfte Jahrhundert Mufterung halten wird über die
Gefchichtswerke des unfrigen, diefes Werk als das geift-
volle Gemälde einer aus dem Geilt und Glauben fich entfaltenden
Gefchichte und als hohes Kunftwerk in erfter
Linie genannt werden wird, und es wird dann noch fortwirken
und gelefen bleiben, wenn die hiftorifchen Com-
pendien und Lehrbücher unferer Generation längft durch
eine neue Compagnie abgelöft worden find.

Berlin. A. Harnack.

Möller, Prof. Dr. Wilh., Lehrbuch der Kirchengeschichte.

1. Bd. Freiburg i/Br., Mohr, 1889. (XII, 576 S. gr. 8.)
M. 11.—

Nach einer langen Periode, in welcher kein prote-
ftantifcher Kirchenhifforiker es gewagt hat, die Gefammt-
gefchichte der Kirche aufs Neue aus den Quellen felbft-
ffändig zur Darftellung zu bringen, hat uns Möller in dem
vorliegenden Werke mit dem erlten Bande eines folchen
Unternehmens befchenkt. Wer die Gröfse der Aufgabe
würdigt, die neben der Kirchengefchichte von Hafe und
dem fast jährlich sich verjüngenden trefflichen Lehrbuch
von Kurtz doch eine noch ungelölte war, wird die neue
Kirchengefchichte mit Spannung in die Hand nehmen.
Diefe Spannung aber wird fich bei dem Studium des
Werkes in den herzlichften Dank verwandeln; denn
Möller hat in diefem Lehrbuch in ausgezeichneter Weife
feiner Aufgabe genügt und uns eine Darfteilung gegeben,
die einerfeits dem Stand der heutigen Forfchung in jeder
Hinficht entfpricht, andererfeits aus dem unmittelbaren
Studium der Quellen genoffen ift.

Vielleicht der höchfte Vorzug des Werkes ift, dafs
durchweg der Gefchichte der Inftitutionen die forg-
fältigfte Beachtung gefchenkt ift. Augenfcheinlich hat
fich der Verfaffer ftreng an die Regel gehalten, vor allem
die Entftehungsgefchichte der fetten Formen zu ermitteln
und diefe felbft zu fchildern, in der richtigen Einficht
, dafs die Inftitution das Rückgrat der Gefchichte
ift. In diefer Hinficht bedeutet das Werk einen ausgezeichneten
Fortfehritt über alle bisherige Gefchichts-
fchreibung. Es find nicht nur die einzelnen, reichhaltigen
Abfchnitte über Cultus, Verfaffung, Rechtsordnung und
Dogma, die ich hier im Sinne habe und die verhältnifs-
mäfsig umfangreicher und ftrenger ausgearbeitet find,
als dies fonfl üblich war, fondern vom erften bis zum
letzten Blatt herrfcht die gefunde Methode, überall die
Umriffe mit fefter Hand zuerft zu umfehreiben und das
geiftige Bild aus ihnen entftehen zu laffen. Wir haben
kirchengefchichtliche Gefammtdarftellungen, die mit lebhafterem
Antheil und mit gröfserer Kunft gefchrieben
find, aber wir befitzen keine zweite, die fo lehrreich ift.
Man darf vom Studium diefes Werkes einen wirklichen
Fortfehritt in dem Studium der Kirchengefchichte erwarten
; denn ein folider und breiter Unterbau für alle
weitere Forfchung auf dem Gebiete der erften fechs Jahrhunderte
ift hier gegeben, der Anfänger mufs aus diefem
Werk wiffenfehaftlichen Sinn und gefchichtliche Methode
lernen und der, welcher die Wiffenfchaft weiter führen
will, wird mit Freude hier anknüpfen. Zugleich aber