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Ausgabe:

1889

Spalte:

610

Autor/Hrsg.:

Rahlenbeck, H.

Titel/Untertitel:

Fürsorge für die konfirmierte weibliche Jugend. Vortrag 1889

Rezensent:

Schlosser, Georg

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mahnt uns wie ein Knabe, der Bilderbogen anmalt. Wo
Einer aus dem Studium des Textes, aus Selbfterkennt-
nifs und Menfchenkenntnifs klare Gedanken und fromme
Empfindungen fammelt und wo er davon durchdrungen
ift, dafs er einen künfilerifchen Beruf zu erfüllen hat,
wenn er eine Predigt fchafft, da wird fich auch ohne
befondere Hülfsmittel die Dispofition finden. Ein ab-
fchliefsendes Urtheil über die vorliegenden Entwürfe
vermöchte man erft dann zu fällen, wenn der Verf.
wenigftens etliche feiner Predigten in fein ausgearbeiteter
Form hätte mittheilen wollen. Wir dürfen annehmen,
dafs er bei feinen Ausführungen Manches gemildert,
Vieles gebeffert hat, dafs er Schatten und Licht wohl
zu vertheilen gewufst hat, und dafs mancher Strich, der
uns jetzt hart erfcheint, erft durch die umgebende
Schattirung zu feiner Geltung gekommen ift. So z. B.
will uns der Ausdruck nicht edel ericheinen, wenn der
Gemeinde am erften Adventfonntag zugerufen wird:
Hinein in die Gewänder des Lichts! Das klingt faft wie
ein Commando. Und was der Apoftel mahnt, läfst fich
nun einmal nicht commandiren! es bleibt Gottes Gabe!
Wie viel feiner ift der apoftolifche Ausdruck! Oder wenn
es heifst, aus der Adventspredigt, die der Apoftel uns
hält, vernehmen wir eine Heroldsftimme, eine Weihnachtbitte
, einen Freundesrath, einen Segenswunfeh, fo fcheint
uns das nicht concinn zu fein; es fehlt das einigende Band.
Bei der Predigt über i Theff. 4, 13—18 (S. 242 ff.) kommt
der diefem Text ganz eigenthümliche Inhalt nicht zu
feinem Recht. Wie anders hat das z. B. Steinmeyer zu
behandeln gewufst. Trotz alledem werden die Predigten
ihrer Wirkung nicht verfehlt haben; wir beanftanden nur
die gedruckte Mittheilung derfelben, noch dazu in einer
unfertigen Form.

2. Pfarrer Spach bietet uns mehr als Entwürfe; er theilt
uns ganze Predigten mit. Sie behandeln die Epiftel-
perikopen, welche in der Kirche Augsb. Conf. in Elfafs
und Lothringen vorgefchrieben find, und ffellen fich damit
eine Aufgabe, welche nach feiner Verficherung bisher in
gedruckten Predigten nicht verfucht worden ift. Wenn
der Verf. auf dem Titelblatt ausdrücklich hervorhebt,
dafs er ,kurze' Predigten ausgehen laffe, fo dürfen wir
annehmen, dafs er in ihrer Kürze ein charakteriftifches
Merkmal feiner Predigten findet und dafs er diefe Kürze
als einen befonderen Vorzug möchte angefehen wiffen.
Nun, die Kürze ift, wenn nicht bedingungslos, doch in
vielen Fällen allerdings ein Vorzug, nach unferem Dafürhalten
auch bei den in vorliegender Sammlung mitge-
theilten Predigten. Sie haben gewifs bei vielen Hörern
das innere Leben gefördert; fie werden ohne Zweifel
andere Prediger anregen, welche über diefelben weniger
behandelten Texte zu predigen haben. Aber was diefe
Predigten vor vielen anderen auszeichnet, dafs fie gedruckt
werden mufsten, das ift uns nicht klar geworden,
und ob fie abgefehen von den Amtsbrüdern Lefer finden
werden, das möchten wir bezweifeln. Wir vermiffen
namentlich das Individuelle; weder der Prediger noch
die Gemeinde, für welche die Predigten zunächft beftimmt
waren, treten in fcharfer Ausprägung vor unfer Auge.
Manche Ausführungen würde der Verf. bei näherer
Ueberlegung wohl anders geftalten und an der Form
würde er auch Manches zu beffern finden. So z. B. kann
man bei näherer Ueberlegung es fefthalten, dass die
Predigt, von welcher der Apoftel fagt, aus ihr komme
der Glaube, ausfchliefslich auf die fonntägliche Predigt
bezogen wird? (S. 150). Oder wenn bei einer Miffions-
predigt wenigftens der Schein entlieht, als ob das gemein
fchaftliche Handeln in der evangelifchen Kirche fchon
Anbetung im Geift und in der Wahrheit fei (S. 153)? In
Pf. 23 (S. 170) fafst das Urtheil ,mir wird nichts mangeln'
zufammen, was der Dichter im Nachfolgenden einzeln
ausführt. Der Verf. disponirt: 1) darum wird mir nichts
mangeln; 2) fürchte ich kein Unglück und 3) werden
Gutes und Barmherzigkeit etc. — Doch wir können nicht

in's Einzelne gehen; die mitgetheilten Predigten werden
ihre Bedeutung darin haben, dafs fie andere anregen,
fich auch an den neuen Perikopen zu verfuchen, und wenn
dann die fpäteren Verfuche den erften überflügeln, fo
wird unfer Verf. auch bei ihnen betheiligt fein — durch
die Anregung, welche er gegeben hat.

" Frankfurt a,M. Ehlers.

Rahlenbeck, Paft. H., Fürsorge für die konfirmierte weibliche
Jugend. Vortrag, gehalten auf der XIII. Jahres-
verfammlung des Evang. Vereins für Innere Miffion
in der Graffchaft Mark und mit Ergänzungen hrsg.
Gütersloh, Bertelsmann, 1888. (58 S. gr. 8.) M. —. 60.

Aus reicher Erfahrung und umfaffender Kenntnifs
von Noth und Hülfe auf diefem Gebiet, wie fie nur
einem Reifeagenten des Centralausfchuffes zu Gebote
flehen, erwachfen, kann diefer Vortrag allen, denen die
Noth und Gefahr unferer confirmirten weiblichen Jugend
auf dem Herzen brennt, gute Dienfte leiften, theils als
treuer Rathgeber, theils, um damit auch Anderer Herzen
dafür zu erwärmen. Der überaus reichhaltige Inhalt bietet
Anregung und Stoff zu einer ganzen Reihe von Vorträgen
im kleineren Kreife. Befonders werthvoll find die
im Anhang beigegebenen Verzeichnifse, Statuten und
Hausordnungen von Vereinen und Anftalten. Hat auch
der Verf., wie begreiflich, mehr die Verhältnifse und
Zuftände unferer Grofsftädte im Auge, fo find doch die
Bedürfnifse kleinerer Gemeinden nicht unberückfichtigt
geblieben. Ift doch, getreu den gefunden Grundanfch.au-
ungen Wichern's, das Hauptgewicht auf die Bewahrung,
Stärkung und Wiederherftellung des chriftlichen Familienlebens
und Familicnfinnes gelegt. Was in diefer Beziehung
über die Erziehung unferer Töchter, über die
Behandlung der Dienftboten ausgeführt wird, ift, obwohl
nicht neu, wegen feiner lebenswahren Darfteilung befonders
beherzigenswerth. Allerdings wird diefer Eindruck
dann wieder etwas beeinträchtigt durch die Fülle
von befonderen Veranftaltungen, die gegenüber der Unzulänglichkeit
deffen, was die Familie zu leiften vermag,
aufgeboten werden. Ref. hat fich dem gegenüber, wie
fchon fo manches Mal, nicht des bedrückenden Gefühls
erwehren können: Ups auch möglich, diefe ftets wachfende
Laft der Verpflichtungen zu tragen? Es find doch immer
nur verhältnifsmäfsig Wenige, die da zugreifen. Können
fie in der That gutmachen, was die Gefammtheit ver-
fchuldet? Vermögen fie mehr, als Hundert zu retten von
Taufenden, die tliatfächlich fort und fort durch die Schuld
der Verhältnifse in den Strudel des Verderbens gefchleu-
dert werden? Wird es nicht zuletzt mehr Hofpitäler geben
als Häufer, in denen Gefunde wohnen? Erwächft nicht
gerade daraus wieder eine neue Gefahr für das Familienleben
? Der Herr Verf. möge das nicht als einen Vorwurf
gegen feine Darftellung anfehen, fondern als einen
Stofsfeufzer Eines, der auch in der Arbeit fleht, und der
gerade darum aus diefer fymptomatifchen Art der Behandlung
, die uns durch die Lage der Dinge aufgenöthigt
ift, fich herausfehnen gelernt hat nach einer grundmäfsigen
Behandlung, die das Uebel an der Wurzel angreift, einer
Behandlung, die wir uns freilich nicht geben können,
die uns gefchenkt werden mufs von üben durch eine
neue Geifteserweckung, zu der ja — um hoffnungsvoll
und nicht peffimiftifch zu fchliefsen — unfere heutige
Krüppelei den Boden bereiten hilft.

Giefsen. Gg. Schloffer.

Kurzgefasste Mittheilungen.
Melitor, J. N., Hutten und Sickingen. Trier, Paulinus-
Druckerei, 1889. (IV, 64 S. 8.) M. —. 50.

Zur Kennzeichnung diefer Schrift mit vielen Anmerkungen und zahl-
lofen Citaten wird es genügen, den Schlufs der Vorrede hier abzudrucken: