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Ausgabe:

1889 Nr. 24

Spalte:

607

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Das Gewissen. Vortrag 1889

Rezensent:

Haering, Theodor

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607

Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 24.

608

fatzes, dafs die Lehre Ausdruck des Glaubens fein foll.
Denn er läfst dabei aufser Acht, dafs der chriftliche
Glaube nur in der fteten Beziehung auf die Offenbarung
die ihn erzeugt und zu einer Kraft des Uebervvindens
macht, vorhanden ift. Der Inhalt diefes Glaubens läfst
fich nur als etwas aus der Offenbarung in Empfang Genommenes
darftellen; nicht aber läfst er fich aus einem
frei fchwebenden Bewufstfein der Wiedergeburt herauswickeln
.

Marburg i/H. W. Herrmann.

Schmidt, Pfr. Dr. Wilh., Das Gewissen. Vortrag, im
Berliner Evang. Verein am 25. Febr. 1889 gehalten.
Berlin, Wiegandt & Grieben, 1889. (52 s. 8.) M. —. 75.

Der erfte Abfchnitt will durch einen hiftorifchen
Ueberblick zeigen, dafs das Gewiffen ,fo alt ift wie die
Menfchheit. Es giebt ein Menfchengewiffen, das nicht
Folge der Civilifation, aber auch nicht einer Religion,
fondern Vorausfetzung aller Religion ift'. A. und N. T.
beftätigen, fügt der 2. Theil hinzu: ,Das Gewiffen ift die
endgiltige Inftanz in fittlich-religiöfen Dingen'. Wie kann
es dann aber irren? Dies das eigentliche Problem, von
dem der 3. Abfchnitt handelt. Haben nicht doch diejenigen
Recht, die ,den Inhalt des Gewiffens als etwas
im Gemeinfchaftsleben Erworbenes betrachten'? Nein,
es giebt,eine innere,demMenfchen eingefchriebeneNorm',
aber deren Inhalt ift ,nicht als wörtlich ablesbarer Codex
zu denken, nicht als eine Formel, fondern als ein
Princip, das für alle Fälle des fittlich-religiöfen Lebens
fchlechthin ausreicht, indeffen immer erft der Anwendung
bedarf. Bei diefer Annahme erklärt fich bereits: ,die
Möglichkeit einer f. r. Höherentwickelung', denn das
Gewiffen hat ,in feinem principiellen Inhalt den compe-
tenten Mafsftab für alle Bewegungen auf dem fittlich-
religiöfen Gebiet'; andererfeits erklärt fich ,die Möglichkeit
widerfprechender Gewiffensforderungen', denn ,der
principielle Inhalt mufs immer erft angewendet werden',
was von der jeweiligen Erkenntnifs u. f. w. abhängig ift.

Man urtheilt leicht unbillig über einen Vortrag,
der von fo grofser Sache handelt. Aber die Forderung
ift berechtigt, es müffe jener ,principielle Inhalt'
des Gewiffens bezeichnet, und es müffe gefagt werden,
was es denn heifse, dafs derfelbe ,angewendef werde.
Wo nicht, fo fagen die Gegner, welche der Hr. Verf.
bekämpft: fobald man diefe Forderung erfüllen wollte,
würde man inne, dafs jenes ,Princip' eine leere Abftrac-
tion ift und fich überhaupt nicht ,anwenden' läfst.
Sie glauben ferner zeigen zu können, die Wahrheit
, dafs die Offenbarung fich an den fittlichen Willen
wendet, komme keineswegs allein, ja nicht einmal am
beften bei der hier wieder empfohlenen Conftruction
eines ,identifchen Gewiffensinhalts' zum Rechte. Endlich
werden fie den PIr. Verf. fragen, wie er von feinem Satz
,das Gewiffen ift die endgiltige Initanz in fittlich-religiöfen
Dingen' die in der Gefchichte des Dogma und der Phi-
lofophie unzählige Mal gezogene, von ihm natürlich
nicht gebilligte, aber doch wohl unausweichliche Confe-
quenz ablehne, nämlich die Entwerthung der gefchicht-
lichen Offenbarung in Chriftus. Die blofse Verficherung,
dafs ,das Gewiffen aus fich heraus nicht zum chriftl. Gottesbegriff
führe', reicht hierzu nicht aus, wenn das Gewiffen
die ,endgiltige Inftanz in fittlich-religiöfen Dingen' ift, und
zwar f. o., eben in feinem principiellen ,Inhalt'. Infofern
dient vielleicht diefe Schrift entgegen ihrer Abficht dazu,
wieder Einigen deutlich zu machen, auf welcher Seite
das Princip der Offenbarung wirklich vertreten und
feine Begründung erftrebt wird.

Göttingen. Th. Häring.

1. Bussler, Divif.-Pfr. Wilh., Predigtentwürfe und Dispositionen
zu den epistolischen Perikopen. Gotha, Schloefs-
mann, 1889. (VIII, 274 S. gr. 8.) M. 3. 60.

2. Spach, Pfr. Friedr., Kurze Predigten über die in der
Kirche Augsburgischer Confession in Elsass-Lothringen vorgeschriebenen
Epistelperikopen. Strafsburg, Heitz, 1889.
(262 S. gr. 8.) M. 3. —

1. Skizzen und Studien von der Hand hervorragender
Meifter gewähren dem Befchauer einen eigenthümlichen
Reiz — wir belaufchen in ihnen das Werden des Künft-
lers und feiner Werke. Sind Predigten Kunftwerken vergleichbar
, fo dürfte Predigtentwürfen und Dispofitionen
die Bedeutung von Skizzen und Studien zukommen. Wir
werden um des Meifters Willen, den wir fchon kennen,
gern nach ihnen greifen! Anders ift es, wenn uns die
Dispofitionen den Meifter empfehlen follen. Von dem,
der fie mittheilt, wird man vorausfetzen können, dafs
er fich felbft als Meifter fühlt und Andere in feine
Werkftätte hineinfchauen läfst, damit fie an Entwürfen
und Skizzen feine Pligenart ftudiren, nacheifernd von ihm
lernen und nach ihm fich bilden. Ob auch der Verfaffer
fich felbft als folchen Meifter fühlt? Er wird diefe Frage
kaum mit Ja beantworten; feine Vorrede klingt be-
fcheiden; er bezeichnet die Sammlung als eine ,fchlichte'
und möchte als Vorzug feiner Entwürfe nur das in Anfpruch
nehmen, dafs fie textgemäfs feien. Das kann uns nicht
hindern, von den Skizzen einen Schlufs zu machen auf
den Künftler, ob er wirklich berechtigt war, nicht blofs
vollendete Werke, fondern auch mehr oder weniger ausgeführte
Entwürfe den Mitftrebenden zum Studium, zum
Genufs und zur Nacheiferung darzubieten. Und da
können wir unferen Zweifel nicht zurückhalten, ob das
B.'fche Buch der homiletifchen Literatur wirklich zur
Bereicherung und zur Zierde dient. Wir erkennen den
Fleifs feiner Arbeit an, die Mannigfaltigkeit der Gedanken,
feine Gefchicklichkeit, den Text zu gruppiren, die,
wie uns allerdings Rheinen will, doch vergebliche Mühe,
die er fich gegeben hat, feinen Text vollftändig zu behandeln
, was freilich ,oft rechte Schwierigkeiten hat*,
Schwierigkeiten, die fich doch keiner braucht aufzwingen
zu laffen, die Jeder leicht überwindet oder umgeht, der
fich nicht fklavifch an den Text bindet, fondern fich
demfelben gegenüber die Freiheit nimmt, welche jedem
Prediger ohne Rückhalt zuzuerkennen ift. Wir verkennen
auch nicht die Vorzüge, welche diefe Entwürfe in der
Einfachheit ihrer Form, in der Schlichtheit ihrer Rede
und vor Allem in dem Ernft der Frömmigkeit haben,
welcher fich in ihnen ausfpricht. Aber zur Erbauung
wird kaum Einer diefe Entwürfe lefen — und fo originell
wollen uns nicht die Gedanken, fo eigenartig nicht
die Textbehandlung, fo tief nicht die Frömmigkeit er-
fcheinen, dafs man jüngeren und älteren Predigern ver-
heifsen könnte, fie würden in diefen Entwürfen Etwas
finden, was fie aus den zahlreich vorhandenen fonftigen
! Hülfsmitteln nicht zu fchöpfen vermöchten. Denn als
,textgemäfs' können doch auch andere Predigten be-
j zeichnet werden und eine bündige, dem Gedächtnifs
■ leicht fich einprägende Formulirung der Eintheilung fucht
I man auch fonft nicht vergeblich. Ob überhaupt auf
diefelbe ein * fo befonderes Gewicht zu legen ift? Die
Rückficht aber auf Lehrer, welche fich auf ihren Religionsunterricht
vorbereiten wollen (vgl. Vorwort), dürfte
die Herausgabe diefer Entwürfe erft recht nicht rechtfertigen
. Der Lehrer bedarf ganz anderer Hülfsmittel,
als diefes Büchlein fie zu geben vermag. — Die als Anhang
mitgetheilten Dispofitionen hätte der Verf. nach
unferem Dafürhalten vollends zurückbehalten follen. Wir
können ihnen gar keine Bedeutung zuerkennen; fie dienen
höchftens der Oberflächlichkeit und der Luft, mit der
Predigtvorbereitung fchnell fertig zu werden. Ein Prediger
, der nach den Dispofitionen Anderer arbeitet, ge-