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Ausgabe:

1889 Nr. 24

Spalte:

595-599

Autor/Hrsg.:

Weiss, Johannes

Titel/Untertitel:

Der Barnabasbrief, kritisch untersucht 1889

Rezensent:

Link, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 24.

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diefer Art ift wohl folgendes (S*. 19): Le droit d'ainesse,
entre les fils d'epouse noble, creait un privilige considerable.
Dans le cas de jumeaux, i accoucheuse prenait soin de passer
un fil rouge autour du bras qui sortait d'abord (Gen. 38,
27—28). Es ift merkwürdig, wie andere Angaben, welche
der Erzählung den Schein gröfster Genauigkeit geben, aus
der Ueberlieferung unbedenklich aufgenommen werden:
Le campement d'Elim fut supportable. On y trouva douse
sources, soixante-dix palniiers et des tamarins procurant
une ombre agreable (S. 166). Aus Wundererzählungen
wird manchmal Gefchichte deftillirt: Au bout de trois
jours on arriva au Heu notnme Mara, a cause de ses eaux
saumätres. On chercha, en y faisant infuser certains bran-
chages, ä la rendre potable, sans y reussir beaucoup.

Eine Mifchung von Kritik und Kritiklofigkeit, von
kühner Hypothefenreiterei (Orkham — Abraham; der fehr
grofse und verderbliche Einflufs Aegyptens auf die Bene
Ifrael; die ganze Conftruction des femitifchen Urmono-
theismus, welche gänzlich in der Luft fchwebt) und übertriebenem
Skepticismus (z. B. das merkwürdige Schwanken
in Betreff Mofe's, der bald als eine gefchichtliche, bald
als eine mythifche Gröfse behandelt wird), wie fie feiten
vorkommt; daneben die Schönheit der Sprache, die
Gefchicklichkeit der Combinationen, die geiftreichen Bemerkungen
und Zufammenftellungen, die Anfchaulichkeit
der Erzählung, die literarifche Vollendung des Kunft-
werkes, allerdings manchmal dicht an der Grenze des
guten Gefchmacks; — auch find die zahlreichen Wiederholungen
auffällig; — ferner eine täufchende Sicherheit
und Unbefangenheit im Tone der Darftellung, über die
man fich faft ärgern möchte: in einem Worte, wie das
Leben Jefu, weniger eine Gefchichte als ein Roman.
Doch läfst fich überhaupt die Gefchichte der Zeit des
grofsen Zeltes fchreiben? Uebrigens find wir gewarnt
und find es doppelt: ,Comme pour la vie de Jesus, je
reclame pour le present volume, consacre a des temps fort
obscurs, un peu de Vindulgence qu'on a coutume d'accorder
aux voyants, et dont les voyants ont besoin'. Wir wiffen,
dafs jeder Satz von einem ,vielleicht' begleitet werden
mufs. ,Je crois avoir fall un usage süffisant de cette par-
ticule. Si on ri en trouve pas assez, qu'on en suppose les
niarges seniles a profusion. On aura alors la inesure
exacte de ma pensee'.

Das verliere man nicht aus dem Auge, fo man das
merkwürdige Buch mit Genufs und Gewinn — und mit
Dank für die köftliche Gabe des ,Sehers' lefen will.

Strafsburg iE. L. Horft.

Weiss, Privatdoc. Lic. Johs., Der Barnabasbrief, kritifch
unterfucht. Berlin, Hertz, 1888. (144 S. gr. 8.) M. 2. 80.

Nachdem bereits im 17. Jahrhundert Ifaac Vofs und
Steph. Le Moyne die Einheitlichkeit des Barnabasbriefes
in Zweifel gezogen, haben in neuerer Zeit Schenkel
(1837) und vor Allem Heydecke (1874) ausführliche Inter-
polationshypothefen aufgeftellt. Eines nennenswerthen
Beifalls haben diefelben fich nicht zu erfreuen gehabt,
und auch die unlängft erfchienene Abhandlung vonVölter
(Jahrbb. f. proteft. Theol. 1888) dürfte fchwerlich eine
günftigere Aufnahme finden. Diefen Arbeiten fchliefst
fich die vorliegende Unterfuchung von Joh. Weifs an, der
indefs im Unterfchiede von den vorangegangenen Hy-
pothefen nicht eine Reihe von zufammenhängenden
Stücken ausfcheidet, fondern eine einmalige, fortlaufende
Ueberarbeitung des Textes annimmt. W. geht dabei von
dem Grundfatze aus, dafs ,eine Interpolationshypothefe
nur dann Anfpruch auf Ueberzeugungskraft machen
könne, wenn eine genaue Betrachtung alles Einzelnen
zeigt, nicht nur, dafs hier und da der Zufammenhang
geftört ift, fondern, dafs diefe Störungen immer zufam-
mentreffen mit einer .... der Grundlage fremdartigen
Tendenz' (S. 3). Ift diefe Behauptung auch in der Allgemeinheit
, in der fie W. ausfpricht, fchwerlich richtig,

fo bekundet der Verf. doch durch Aufhellung jenes
Grundfatzes, dafs er in erfreulicher Weife beftrebt ift,
fich von der Gefchmackswillkür frei zu halten, welche
eine Hauptgefahr bei derartigen Unterfuchungen bildet.

Von der Richtigkeit der Weifs'fchen Hypothefe habe
ich mich nicht überzeugen können. Gegen diefelbe fpricht
zunächft die Thatfache, dafs von einer Verfchiedenartig-
keit der Tendenz, welche die als Aenderungen und Zu-
thaten des Interpolators ausgefchiedenen Stücke beherr-
fchen foll, gegenüber den Gedanken des Urbarnabas
nicht die Rede fein kann. In der Grundlage ermahnt
der Verf. feine Lefer zu einem heiligen Wandel, indem
er befonders vor leichtfertigem Vertrauen auf den Belitz
des Bundes warnt und zur Verftärkung feiner Paränefe
auf das in der Zerftörung Jerufalems befiegelte Schick -
fal Ifraels hinweift, deffen Sünden vor Allem auch bewirkt
haben, dafs der Bund auf die Chriften übergegangen
ift (S. 80—87). Zu diefen Gedanken des Urbarnabas
bringt der Interpolator befonders Beifpiele auffallender
Weisfagungserfüllungen hinzu, — die für uns nicht in
Betracht kommen, da derartiges fich auch in der Grundlage
reichlich findet (S. 92 f.), — fodann aber feine typo-
logifche Deutungen altteftamentlicher Stellen (S. 120 f.).
Es fleht nun aber der Annahme, dafs auch diefe vom
Verf. des Urbarnabas herrühren, nichts im Wege. Denn
wenn derfelbe, wie thatfächlich der Fall ift, feine Lefer
darüber belehrt, welche Bewandtnifs es mit den alttefta-
mentlichen Opfern (Cap. 2), der Befchneidung (Cap. 9),
den mofaifchen Speifegeboten (Cap. 10), dem alten Bunde
(Cap. 13.14), dem Sabbatgefetz (Cap. 15) und dem Tempel
(Cap. 16) hat, fo konnte er fich auch auf typologifche
Deutung altteftamentlicher Riten und Inftitutionen ein-
laffen. VV. giebt felbft feinen Standpunkt im Principe
auf, wenn er bemerkt, dafs möglicher Weife auch in der
Grundlage (Cap. 8) das altteftamentliche Bundesopfer als
Vorbild des Opfers Chrifti gedeutet ift (S. 91 f.). Aber
auch wenn dies nicht der Fall wäre, fo bliebe die Sachlage
doch diefelbe. Denn einem Manne, der, wie der
Verf. des Urbarnabas, z. B. die moiaifchen Speifegebote
allegorifch zu erklären vermag (Cap. 10), dürfen wir auch
die Fähigkeit und den Trieb zu typologifchen Deutungen
zutrauen. W. findet es zwar charakteriftifch, dafs in der
Grundlage ,die altteftamentlichen (Speife-)Gebote nicht
typologifch, fondern fpiritualiftifch und zu diefem Zwecke
allegorifch behandelt werden' (S. 92). Die mofaifchen
Speifegebote laffen fich indefs überhaupt nicht typologifch
verwerthen, da denfelben keine der neuteftamentlichen
Gefchichte angehörende Thatfache entfprechen kann.
Will man folche Gefetze überhaupt neuteftamentlich
deuten, fo ift dies nur vermitteln allegorifcher Auslegung
möglich.

Mit der Frage nach den an der Hand des A. T.'s
gegebenen Belehrungen hängt die andere nach dem Anti-
judaismus des Briefes zufammen. W. fpricht fowohl die
Grundlage, wie die Ueberarbeitung von der Abficht, vor
judaiftifchen Verirrungen zu warnen, frei (S. 87 ff.). Ich
ftimme ihm hierin vollkommen bei, nur dafs ich fein
Urtheil auf den jetzigen Brief übertrage. Mit Recht ent-
fcheidet fich W. in Anlehnung an Weizfäcker in der
Hauptftelle 4, 6 für die Lesart des Sinaiticus (S. 57 f.).
Die des Lateiners beruht m. E. nur auf Conformation
unferer Stelle mit 13, 1. Folgen wir dem Sinaiticus,
deffen Wortlaut fich befonders deshalb empfiehlt, weil
hier ovicog zu feinem Rechte kommt, fo warnt der Verf.
nur vor einem leichtfertigen Vertrauen auf den Befitz
des Bundes, indem er der Berufung auf denfelben in
fcharfer Antithefe die Thatfache entgegenhält: ,Aber
jene, die Juden, find des Bundes durch gleiches Verhalten
verluftig gegangen!' Damit verliert aber die Stelle
den Schein antijudaiftifcher Polemik. — Es ift fehr zu bedauern
, dafs W. durch feine unglückliche Interpolationshypothefe
verhindert war, die Frage nach dem Zweck
des Briefes von einem umfaffenderen Gefichtspunkt aus zu