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Ausgabe:

1889 Nr. 22

Spalte:

563-564

Autor/Hrsg.:

Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Die Bibel, das ist die ganze heilige Schrift. Mit Bildern der Meister christlicher Kunst. 5. - 11. Lfg 1889

Rezensent:

Schlosser, Georg

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563

Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 22.

364

pulfirende Frömmigkeit, deren fubjective Wahrhaftigkeit
in keiner Weife angefochten werden foll, ebenfalls. Zur
momentanen Aufrüttelung mag folche Predigt wohl dienen,
fie kann fogar erfchütternd gewirkt haben: aber gefunde
Nahrung bietet fie nicht. In Uebereinftimmung mit diefer
ihrer materiellen Befchaffenheit fleht, dafs fie formell fich
fchlechterdings an keine homiletifche Regel bindet, fondern
ebenfalls ganz und gar willkürlich verfährt. Gefetzlos
darf aber doch nur das Genie fein, weil es fich
felbft Gefetze giebt und diefelben in fich trägt; wo dagegen
das Original, das kein Genie ift, fich der Gefetz-
lofigkeit ergiebt, da kann nur Verkehrtes herauskommen:
ein Luther konnte die homiletifchen Gefetze feiner Zeit
verachten; für Kohlbrügge (und feine Zuhörer) wäre
es ein Segen gewefen, wenn er diejenigen unferer Zeit,
wenn er den Umfchwung der theologifchen Wiffenfchaft
überhaupt beachtet hätte.

Immerhin ift es ein Genufs, den alterthümlichen Kohlbrügge
zu lefen im Vergleich zu dem modernen Paffionsprediger
Quandt. Derfelbe erklärt (S. 4), einer Methode
der Paffionsbetrachtung folgen zu wollen, welche man
die ausquetfchende nennen könnte; über die Gethfemane-
fcene hält er allein heben Predigten, gerade heben offenbar
deshalb, weil dann der erfte Theil feines ,Paffions-
buches' in finniger Symmetrie fleht zu dem zweiten,
der die heben Kreuzesworte behandelt. Ich will das
Unternehmen nicht für fchlechterdings unmöglich erklären
; aber ich geftehe, von demfelben mehr als genug
zu haben, wenn ich nur die Dispohtionsangaben der
beiden erften Predigten lefe: I. Die Oertlichkeit von Gethf.:
es ift 1) ein Kelterthal, 2) ein Garten, 3) ein Afyl. II.
Die Stunde von Gethf.: he ift 1) des Heilands bängfte
Stunde, 2) feine längfte Stunde. Wer hier nicht boden-
lofe Gefchmacklofigkeit hndet, mit dem ftreite ich nicht.
Das Vorgetragene ift geiftliche Spielerei ohne Geift; und
dafs die Kraft eines Prediger in feiner Einfachheit befteht,
davon hat Q. keine Ahnung. Zur Charakteriftik des
Einzelnen füge ich nur noch hinzu, dafs S. 30 die Balken
des heiligen Tempels der Seele Chrifti krachen und
beben und S. 140 fein ,frommes Blut tropft'. Wen
nach mehr von folcher Pafhonspredigt gelüftet, lefe das
in 3. Aufl. erfchienene Buch felbft. Es giebt ja, wie man
heht, immer noch Leute, denen folche Leetüre Genufs
und Erbauung gewährt; wenn aber derer, bei welchen
dies nicht der Fall ift und die folche Predigten auch
nicht hören wollen, mehr und recht viele find, fo braucht
man nach den Gründen diefer Erfcheinung nicht allzuweit
zu fuchen, ja man wird he felbft nicht einmal fon-
derlich beklagenswerth hnden können. Der zweite Theil
des Buches von Q. ift übrigens beffer als der erfte.

Heidelberg. Baff er mann.

Bibel, die, d. i. die ganze heilige Schrift. Mit Bildern der
Meifter chriftlicher Kunft. Hrsg. von Dr. Rud.
Pfleiderer. 5—11. Lfg. Stuttgart, Süddeutfches
Verlagsinftitut, 1889. (Altes Teft. S. 41—96. Fol.)
ä M. —. 50.

Die weiter hier vorliegenden heben Hefte des trefflichen
Werkes reihen fich würdig den erften Heften an,
und Ref. kann fich daher begnügen, auf das in Nr. 5
diefes Jahrgangs darüber Gefagte hinzuweifen. Wenn
der Herausgeber wiederholt die Schwierigkeiten betont,
die bei einem Werke, das fich feine Aufgabe fo hoch
gefleckt hat, fich der Einhaltung der Lieferungsfriften
entgegenftellen und oftmals auch die Auswahl leidig
einengen, fo darf ihm bezeugt werden, dafs er es im allgemeinen
in bewunderungswürdiger Weife verftanden
hat, diefer Schwierigkeiten Herr zu werden. Selten begegnet
Einem ein minderwerthiges Bild, dagegen weifen
diefe Hefte eine ganze Reihe höchft bedeutender
oder doch fehr intereffanter Werke auf, darunter folche

erften Ranges. Ich nenne beifpielsweife die Vollbilder:
die Beftrafung des Zauberers Elymas, nach den Vati-
kanifchen Teppichcartons von Rafael; zwei Bilder zur
Gefchichte Jofeph's aus der Cafa Bartholdi, von Cornelius;
die Segnung der Söhne Jofeph's, von Rembrand; Jefus
unter den Schriftgelehrten, von Bernardo Luini; ferner
von den kleineren: Die Segens- und die Hungerjahre,
von Veit und Overbeck (Cafa Bartholdi); die charaktervollen
Zeichnungen von Sandrart (f 1688); und vor
allem eine überaus intereffante Handzeichnung von Rafael
, von geradezu packender Lebendigkeit: Jofeph's Becher
wird in Benjamin's Sack gefunden. Als eine recht
zweckmäfsige Neuerung ift es zu begrüfsen, dafs vom
6. Heft an die Namen der Künftler auch unter den im
Text enthaltenen Bildern angegeben find. Bei einem fo
fehr auf hiftorifches Verftändnifs angelegten Werk, wie
diefes, das die Productionen fo verfchiedener Zeiten und
Meifter vereinigt, ift eine folche Etikettirung eine wirkliche
Erleichterung.

Mit Heft 10 ift das I. Buch Mofis abgefchloffen. Der
Herausg. macht darauf aufmerkfam, dafs diefes mit be-
fonders reichem Bildfchmuck geziert fei, fo dafs es mit
feinen rund 60 Text- und 20 Vollbildern dem Werthe
nach bereits gegen ein Viertel des ganzen Alten Tefta-
ments repräfentire.

Zum Schlufs möchte Ref. noch einen Wunfeh aus-
fprechen. Eine Bibel, wie diefe, die doch in erfter Linie
den Gebildeten zu dienen beftimmt ift, und die darum mit
dem unfere Bibelausgaben fonft beherrfchenden Gefichts-
punkt der Billigkeit — Ref. hörte ihn jüngft als Materialismus
beurtheilen — muthig gebrochen hat, follte fich auch
dazu berufen fühlen, Hindernifse des Verftändnifses, welche
in der herkömmlichen Anordnung des Textes liegen, zu
befeitigen. Es gehört dazu vor allem unfere übliche
Verseintheilung, die in fo Hörender Weife den Zufammen-
hang unterbricht und nur fchwer zu dem Eindruck einer
einheitlichen Erzählung kommen läfst. Aber der Wunfeh,
fie befeitigt und durch Notirungen am Rand erfetzt zu
fehen, kommt, abgefehen davon, dafs er vielleicht als
zu einfehneidend empfunden würde, wohl zu fpät. Dagegen
könnte dem anderen Wunfche in der weiteren
Fortfetzung wohl noch Rechnung getragen werden: die
poetifchen Stücke als folche durch abgefetzte Zeilen
kenntlich zu machen. Es leuchtet ja wohl ein, dafs das
eine gar nicht unwefentliche Förderung des Verftändnifses
fein würde. Unfere Laien würden manches anders
beurtheilen und richtiger würdigen, wenn fie wüfsten, dafs
fie es mit Poefie zu thun haben. Einfichtige Lefer werden
für diefen Gewinn gern einige Lieferungen mein in Kauf
nehmen.

Giefsen. Gg. Schloffer.

Dechent, Marie, Aus dem Leben einer Pfarrfrau. Gedichte.
Frankfurt aM., Evangel. Buchhandlung, 1889. (IV,
88 S. 12.) M. 1. 50; geb. M. 2. —

Ref. ift es eine befondere Freude, im Gegenfatz zu
fo vielen, an Form und Inhalt werthlofen Poefien, die
fich unberechtigt auf den Markt drängen, hier auf eine
wirklich gehaltvolle Erfcheinung aufmerkfam machen zu
dürfen. Es ift ein anfpruchslofes Büchelchen — Gelegenheitsgedichte
, die nie für die Oeffentlichkeit beftimmt
waren, von dem Sohne pietätvoll ausgewählt und ohne
der Mutter Wiffen zu deren Ueberrafchung herausgegeben.
Nach des Herausgebers Abficht foll es eine Art Selbft-
biographie fein, und ift es auch. Was die Braut am
Hochzeitstag, was die junge Pfarrfrau, die Mutter und
Grofsmutter in einem durchaus ftill verlaufenden Leben
in Freud und Leid innerlich und äufserlich erlebt hat,
das ilt, wie fie es in ,Mein Erfatz' (S. 76 flg.) finnig be-
fchreibt, ihr, der Gott ,der Dichtung Gabe, diefen Frühling
in der Bruff, verliehen, zum Lied geworden. In