Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1889

Spalte:

560-562

Autor/Hrsg.:

Felix, Ludwig

Titel/Untertitel:

Entwicklungsgeschichte des Eigenthums unter culturgeschichtlichem und wirthschaftlichem Gesichtspunkte. 3. Thl. A. u. d. T.: Der Einfluß der Religion auf die Entwicklung des Eigenthums 1889

Rezensent:

Löber, Richard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

559

Theologifche Literaturzeitune. 1889. Nr. 22.

560

inneren Motivirung zum Verftändnifs zu bringen. Man
erhält hier den Eindruck, dasfelbe beflehe aus einer
Summe von mehr oder minder begründeten Meinungen,
die nun mittelft rationeller Bearbeitung der Vernunft
annehmbar zu machen feien. Aber die Vernunft des
dogmatifchen Subjects in allen Ehren — jedenfalls waltet
doch in den alten Sätzen auch eine Art Vernunft, der
man zunächft nachgehen mufs, ob man nun zuftimmen
oder widerfprechen will. Es ift z. B. nicht eine fonder-
bare Meinung der alten lutherifchen Dogmatiker, wenn
fie die menfchliche Natur Chrifti als Subject feiner
Erniedrigung und Erhöhung bezeichnen, fondern das ift
bei ihrer Lehre von der communicatio idiomatum eine
nothwendige Ergänzung ihrer Chriftologie. Aber auf diefe
Zufammenhänge achtet der Verf. nirgends. Auch an
eigentlichen Schnitzern fehlt es nicht. So werden die
Griechen wegen ihrer Abweifung des filioqtie belobt, weil
des Verf.'s Vernunft entfcheidet, dafs die Sendung des
Geiftes direct vorn Vater und von ihm allein ausgehe.
Aber darum handelt es fich in jener Controverfe zwifchen
Morgenland und Abendland gar nicht, fondern um die
immanenten Verhältnifse der Trinität; in dem Punkt, der
dem Verf. am Herzen liegt, hat er die Griechen fo gut
wie die Lateiner und das neue Teftament gegen fich.

Endlich noch ein Drittes. Der Verf. fagt wörtlich:
,einen Unterfchied von Glauben und Wiffen giebt es für
uns in der religiöfen Erkenntnifs nicht'. Und dem ent-
fprechend wird überall verfahren. Die ganze neuere
dogmatifche Arbeit, die an Schleiermacher anknüpft, ja
dies ganze Ferment der heutigen Dogmatik, das bei den
hervorragenden Vertretern aller Richtungen fich in bedeutender
Weife geltend macht — das Alles exiftirt für 1
ihn nicht. Es ift wie mit einem Schwamm ausgewifcht. |
Nicht etwa erklärt fich der Verf. begründeter Weife da- |
gegen, es ift einfach nicht vorhanden. Die Dogmatik ift
hier zu den Traditionen der alten Rationalilten und
Supranaturaliften zurückgekehrt, der räfonnirende Ver-
ftand hat das Wort.

Nach alle dem kann ich nur den Wunfeh ausfprechen,
die ftudirende Jugend möchte fich nicht durch dies Buch
in die heutige dogmatifche Gedankenarbeit einführen
laffen. Es ift für diefen Zweck fchlechterdings ungeeignet.
Ob es dem einen oder andern Laien dienen mag, weifs
ich nicht. Für unmöglich halte ich das nicht. Man wird
in diefer Beziehung immer auch den relativen Mafsftab
des gerade vorhandenen Bedürfnifses anlegen dürfen, ja
müffen. Und es giebt ficherlich manche fromme Laien,
denen ihre Zweifel durch die Ausführungen des Verf.'s
aufs fchönfte befeitigt erfcheinen würden. Die ,Vernunft'
ift eben keine einfache Gröfse. Sie bedeutet bei den
verfchiedenen Menfchen etwas fehr verfchiedenes.

Zum Schlufs möchte ich nicht unerwähnt laffen, dafs
ich die Gabe und das Gefchick des Verf.'s nicht verkenne
. In feinen kritifchen Erörterungen und pofitiven :
Ausführungen finde ich Einzelnes, dem ich in etwas
anderer Wendung des Gedankens zuftimmen könnte.
Aber jene Mängel wiegen fo fchwer, dafs dies dagegen
nicht aufkommt.

Berlin. Kaftan.

Tolstoi, Graf Leo, Ueber das Leben. Autorifierte Ueber-
fetzung von Sophie B ehr. Leipzig, Duncker & Humblot,
1889. (VIII, 264 S. 8.) M. 5. 40.

Schon die unruhige, von einem gereizten Sprachton
begleitete Gedankenentwicklung macht es fühlbar, dafs
der Verfaffer mit redlichem Pathos der nihililtifchen j
Denkweife feiner Heimath fich erwehren will, um diefelbe
durch eine beffere Auffaffung des Lebens zu verdrängen.
Aber fowohl in den polemifchen als in den pofitiv entwickelnden
Partien feines Buches ift die klare Einficht
zu vermiffen und durch breite Wiederholungen wird

das Verftändnifs feiner Grundgedanken nicht erleichtert.
Schon in der Einleitung wendet der Verf. mehrere Seiten
daran, durch das befremdliche Gleichnifs von der Mühle
den Lebensprocefs zu erläutern. Obgleich er verfichert,
dafs das Wort ,Leben' von Jedem verftanden werde, fo
bekennt er (S. 13) doch, dafs er eine Lebensauffaffung
vertrete, welche von der fonft üblichen fich unterfcheide.
Er eifert dagegen, dafs man immer nur über die Ent-
ftehung des Lebens mehr oder minder verunglückte
Hypothefen aufftelle, ftatt fein Gefetz zu erforfchen und
das Leben darnach vernünftig zu gehalten.

Nachdem der Verf. ausführlich in der hinreichend
bekannten Weife den Egoismus als die Zerfetzung des
Lebens und als den Krieg Aller gegen Alle charakte-
rifirt hat, legt er nicht minder ausführlich dar, dafs das
,vernünftige Gefetz des Lebens' in der Entfagung, in der
Liebe, in dem Füreinander der einzelnen Lebenspotenzen
zu finden fei. Nun mufs er zwar hiebei geftehen, dafs
diefe Vernunft in den verfchiedenen Lehrmeiftern der
Welt, in ,den gröfsten Geiftern derMenfchheit', von denen
er in bunter Mifchung Confucius, die Brahmanen, Buddha,
Lao-tfe, die Stoiker und Chriftus nennt (S. 30), fehr ver-
fchiedene Gehalten angenommen habe, die kraft ihrer
Vernunft gegen einander handhaft fich behaupten (S. 263).
Dennoch redet der Verfaffer fortwährend von dem, was
,der Menfch' denkt und will, als ob dies eine feftftehende,
fich überall gleichbleibende Gröfse wäre.

Chrihus ih dem Verf. die Stimme des ,ganzen vernünftigen
Bewufstfeins der Menfchheit, das fich auch in
jedem befonderen Menfchen kund giebt und in der Mehrzahl
der Menfchen fich offenbart' (!) Dem entfprechend
bezeichnet er ,die Geburt durch den Geift' (S. 115) als ,den
Durchbruch des vernünftigen Bewufstfeins im Menfchen'.
Durch diefe willkürliche Umdeutung der chrihlichen
Grundbegriffe wird die Gedankenwelt des Verfaffers nicht
gelichtet, fondern verdorben. Doch mag ihm auch hiebei
die nicht zu Ende gedachte Wahrheit vorfchweben,
dafs Chriftus das Licht und das Leben der Menfchen
ift, und dafs ohne ihn das von feinem Urfprung abge-
fchnittene Leben weder eine rechte Gegenwart noch
eine Zukunft hat. Da nun in der gegenwärtigen Lebens-
geftalt die Bürgfchaft feiner Vollendung liegt, fo ift es
vergeblich, dafs der Verfaffer aus der Unvollkommen-
heit der erfteren auf die Nothwendigkeit der letzteren
Ichliefst und dafs er mit etwas unbeholfener Nachbildung
der bekannten Fechner'fchen Gedanken uns belehrt, dafs
das Leben der geftorbenen Menfchen nicht aufhöre, in
diefer Welt zu wirken (S. 207 f.). All diefen Aufftellungen
wohnt überhaupt nicht, wie der Verf. zuverfichtlich erwartet
, die Kraft inne, die nihiliftifche Denkweife zu
überwinden.

Dresden. Löber.

Felix, Ludw., Entwicklungsgeschichte des Eigenthums unter
culturgefchichtlichem und wirthfehaftlichem Gefichts-
punkte. 3. Thl. A. u. d. T.: Der Pünflufs der Religion
auf die Entwicklung des Eigenthums. Leipzig,
Duncker & Humblot, 1889. (IX, 388 S. gr. 8.) M. 8. —

Der Verfaffer, welcher in feinem grofs angelegten
Werke die Entwicklungsgefchichte des Eigenthums unter
culturgefchichtlichem und wirthfehaftlichem Gefichts-
punkte darlegen will, hält diefen Gefichtspunkt auch in
dem vorliegenden 3. Theile feines Werkes feft, in welchem
er es unternimmt, den Einfiufs der Religion auf die Entwicklung
des Eigenthums zur Anfchauung zu bringen.
Denn der Religion gefleht er nur infoweit eine Berechtigung
zu, als fie die Cultur und den wirthfehaftlichen
Fortfehritt fördert. Da nun unter den weiten Begriff
,Religion' Vieles fubfumirt wird, darin weder wahre Religion
noch cultivirende Lebensmacht zu erkennen ift,
fo kommt der Verf. in feiner Schlufsbetrachtung zu dem