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Ausgabe:

1889 Nr. 22

Spalte:

557-559

Autor/Hrsg.:

Hölder, Eug.

Titel/Untertitel:

Die christliche Glaubenslehre 1889

Rezensent:

Kaftan, Julius

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557 Theologifche Literaturzeitung. 18S9. Nr. 22. 558

bei der 300jährigen Feier der Reformation (S. 451) [felbft
noch bei amtlichen AnlälTen in Garnifongemeinden S. 561]
auch noch in den 1840er Jahren (S. 463, vgl. 435) ward
deutfch gepredigt, wie denn überhaupt crft gegen die
Mitte diefes Jahrhunderts auch im Verkehre mit den
Kirchengemeinden (S. 450, 442, 179, 83, XXI) das
Franzölllche allmählich an Melle des Deutfchen zu treten
fachte. — S.I —191 werden die Handfchriften quellenmäfsig
erläutert, S. 192—712 die Bucher und Zeichnungen aufgeführt
. Den Schlufs bilden Perfonen-, insbef. Schrift-
fteller- und Ortsverzeichnifse. Unter den, auslchliefslich
auf die evangelifche Kirche lieh beziehenden mindeftens
300 Werken S. 438, 548, 619 ff. heben wir die älteften
Bekenntnifsfchriften S. 439 u. 443 und die evangelifchen
Kirchenordnungen für Hagenau (S. 433, vom J. 1566),
Strafsburg (S. 439. von 16701, Reichenweier und Mömpel-
gard S. 440 u. 681, von 1568; hervor. (Die Entleihung
von Handfchriften und Buchern geftattet gern gegen Er-
fatz der Baarauslagen das Bürgermcifteramt Colmar;
folche wird übrigens zweckmäfsiger durch die betreffende
Univerfitätsbibliothek vermittelt. Die Hauptausbeute
bietet fonft der Katalog noch für die elf. Staats-, Ortsund
Kunftgefchichte.)

Colmar. F. Geigel.

leais. Reg.-Rath a. D.

Holder, ref. Archidiak. Dr. Eug., Die christliche Glaubenslehre
, in apologifch-rationeller Fällung und Begründung
für die laudierende Jugend und nachdenkende Chriften
aller Stände dargeftellt. Stuttgart, Metzler's Verl., 1S89.
(VII, 382 S. gr. 8.) M. 4. 50.

Dem VerfalTer diefes Buches, einem praktifchen Geift-
iichen, ift es Bedürfnifs gewefen, fich über die Hauptpunkte
der chrifilichen Glaubenslehre ein eigenes Urtheil
zu bilden. Die Anflehten, zu denen er kam, hat er beim
Religionsunterricht an höheren Lehranltalten erprobt.
Allmählich ward aus dem Einzelnen ein Ganzes. Und
diefes legt er nun, durch Aufforderungen dazu ermuthigt,
einem gröfseren Publicum vor. Ja, er hat zum Behuf
der fchriftlichen Ausarbeitung für einige Zeit fein geift-
liches Amt niedergelegt: fo fehr ift es ihm um eine lach-
entfprechende Ausführung der übernommenen Aufgabe
zu thun gewefen. Ein doppeltes Ziel hat er aber dabei
im Auge. Vor Allem möchte er die ftudirende Jugend in
die dogmatifche Gedankenarbeit der Gegenwart einführen,
fie für die hier erwachfenden Aufgaben und die Mitarbeit
an denfelben begeiltern. In zweiter Linie find es die
denkenden Chriflen aller Stände, denen er mit feiner
Arbeit dienen und zu eigenem Urtheil verhelfen möchte.

Sein Standpunkt wird im Titel fo charakterifirt, dafs
er eine apologifch-rationelle Faffung und Begründung
der Glaubensfätze erftrebt. Rationell mufs die chriltliche
Lehre in allen Punkten fein, aber nicht rationaliftifch,
d. h. fie mufs dem Urtheil der Vernunft entfprechen,
darf aber des pofitiven biblifchen Inhalts nicht entbehren.
Die heil. Schrift giebt den Stoff her, die Vernunft be-
urtheilt und bearbeitet ihn: fo kommen die einzelnen
Sätze zu Stande. Von einem folchen Verfahren darf
dann aber auch gehofft werden, dafs es indirect, ohne
direct darauf auszugehen, der Vertheidigung des Chriften-
thums dienen wird. Daher: apologifch-rationell! Weniger
Werth als auf die Uebereinflimmung mit der heil. Schrift
legt der Verf. auf den Einklang mit der Kirchenlehre,
die nicht feiten der Uebertreibung und Einfeitigkeit bezichtigt
wird. Ihr gegenüber läfst er der Vernunft und
ihrer Kritik freien Spielraum, während, was er lehrt, ihm
ftets als der Kern und der tiefere Sinn der biblifchen
Ausfprüche erfcheint.

In diefer Weife wird der ganze Stoff der Glaubenslehre
durchgefprochen. Die Reihenfolge der einzelnen
Lehrftücke ift die übliche. Sie wird näher fo motivirt,

dafs zuerlt das Wefen und dann das Wirken Gottes
zu betrachten fei. Im Wirken wird wieder zwifchen
Schöpfung, Erlöfung und Heiligung gefchieden, und
unter diefe drei Titel werden alle Lehren untergebracht.
Freilich begegnet fo die Lehre von der Sünde in dem
Abfchnitt, der von der Erlöfung handelt, und die Es-
chatologie wird dem Titel der Heiligung untergeordnet.
Doch hat der Verf. offenbar um folcher Inconvenienzen
willen auf die anfeheinend ftraffe und einfache Gliederung
nicht verzichten zu follen geglaubt. Ein Bericht über
alles Einzelne ift nun hier natürlich nicht möglich. Im
Ganzen ift, was vorgetragen wird, die überlieferte Lehre,
aber mit Harken Abzügen und Milderungen, durch die
der Vernunft Rechnung getragen wird. So wird das
Wunder in der decidirtelten Weife geleugnet. Die Welt-
fchöpfung ift eine ewige, Gott wollte nie ohne die Welt
fein. Chriftus ift nicht der ewige Gottesfohn felbH, lon-
dern ein Menfch, der aber vom Anfang feines Dafeins
an mit der ganzen Fülle des heiligen und göttlichen
Geiftes ausgeruftet war. Und in diefer Weife wird die
Lehre auch fonH herabgefetzt, indem der Verfaffer erklärt
, dafs fie nur fo rationell fei, was fie eben einmal
fein mufs.

Offen geftanden will nun meine Vernunft fich nicht
recht in die des Verfaffers fchicken. Ihr fehlt gerade an
diefen rationell gemachten Lehren oft das Wefentlichfte
zu ihrer Befriedigung. Ich würde überhaupt, was der
Verfaffer ,die Vernunft' nennt, als räfonnirenden Ver-
ftand bezeichnen und meinen, dafs eine Glaubenslehre,
vom Standpunkt eines folchen Verftandes aus entworfen,
keine grofse Förderung der dogmatifchen Arbeit bedeute.
Es wird mir daher fchwer, den guten Ablichten und dem
nicht zu verkennenden Gefchick des Verfaffers gerecht
zu werden, wie es eben geht, wenn Einer den Andern
beurtheilt, und beide auf fo verfchiedenem Standpunkt
flehen, dafs fie kaum zwei Schritte des Wegs gemeinfam
zurücklegen können. Indeffen giebt es doch einige Fortierungen
, die man an jede Glaubenslehre richten mufs,
die hier aber nicht befriedigt werden. Und darauf hin
meine ich doch auch aus objectiven Gründen den wiffen-
fchaftlichen Werth des vorliegenden Buchs nicht fehr
hoch anfchlagen zu follen.

Zuerft vermiffe ich vollftändig einen methodifchen
Schriftgebrauch. Es ill zwar vielfach von der biblifchen
Theologie die Rede. Aber dafs der Verf. fich in der
Weife derfelben mit der heil. Schrift befafst, den Inhalt
der Schrift fich unabhängig von der Kirchenlehre und
feinen eigenen rationellen Anflehten zum Verltändnifs gebracht
und fo die grofsen Grundgedanken der heil. Schrift
überall feinen Ausführungen zu Grunde gelegt hätte,
davon ift auch keine Spur zu entdecken. Im Gegentheil,
es herrfcht ein durchaus willkürlicher Schriftgebrauch.
Gelegentlich weifs der Verf., was fich der heil. Geift bei
einem Wort gedacht, während es dem menfehlichen Autor
allerdings ganz fern lag. So wird dergleichen von dem
aaronitifchen Segen und der in ihm enthaltenen Hin-
weifung auf die Trinitätslehre gefagt. Anftatt eines ge-
fchichtlichen Verftändnifses ift es ein dogmatifches. welches
von vorn herein gefucht und gefunden wird: ,des Menfchen
Sohn' z. B. in der Selbftbezeichnung des Herrn ift der
ideale Menfch. Und mit den einzelnen Ausfprüchen des
Apoftels Paulus über den Tod des Herrn wird verfahren,
wie wenn fie überhaupt nicht in einem beftimmten Zu-
fammenhang ftänden, und das für das Verltändnifs derfelben
in Betracht zu ziehen wäre: fo ift dem Verf.
Rom. 8, 3 eine grundlegende Stelle über das Opfer
Chrifti, obgleich der Opfergedankc dem ganzen Zufam-
menhang fremd ift. Aber das Alles nur beifpielsweife.
Es herrfcht einfach die Willkur, d. h. die Vernunft des
Verfaffers, die fich nun einmal im Kern der biblifchen
Ausfprüche felber wiederfinden will.

Nicht minder vermiffe ich den Verfuch, das kirchliche
Dogma nach feinem Zufammenhang und feiner