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Ausgabe:

1889

Spalte:

536-537

Autor/Hrsg.:

Funcke, Otto

Titel/Untertitel:

Brot und Schwert. Ein Buch für hungernde, zweifelnde und kämpfende Herzen. 2. Aufl 1889

Rezensent:

Lindenberg, H.

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Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 2t.

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zahl der Gemeinden nicht wagen können, ohne damit den
gröfsten Anftofs zu erregen. In Schottland und zwar gerade
in der bis vor wenigen Jahren wegen ihrer dogmatifchen
Enge und Unduldfamkeit oft als abfchreckendes Beifpiel
aufgeführten fchottifchen Freikirche fleht es anders. Dafs
der Verf. der hier vorliegenden Predigten weder mit feinen
Anfchauungen, noch mit feiner Predigtweife allein fleht,
dafs vielmehr dort eine immer wachfende Zahl von Geldlichen
, auch der orthodoxen, nicht nur fich felbd der ge-
fchientliehen Auffaffung von der Schrift mit Entfchieden-
heit zuzuwenden, fondern fich auch in ihrer Verkündigung
an die Gemeinde auf diefen Standpunkt zu dellen beginnt
, beweid u. a. das in No. 12 diefes Jahrg. der Theol.
Lztg. befprochene , The book of Isaiah' von G. A. Smith,
fowie die dort gemachten intereffanten Mittheilungen von
Prof. Budde. Das Bede dabei id, dafs die Gemeinde, das
rechtgläubige Kirchenvolk, dem im wachsenden MafsTheil-
nahme und Verdändnifs entgegen bringt, wie u.a. der grofse
Erfolg von in folchem Geid gehaltenen Predigtfammlungen
bezeugt. Und in der That erbringen Predigten, wie die
hier befprochenen, den Beweis, dafs die Bibel dabei nichts
verliert, fondern nur gewinnt; dafs wir aus ihr Gottes
Stimme an uns viel eindringlicher vernehmen, wenn wir
uns ehrlich bemühen, fie mit dem Ohr jener Zeit zu hören
und aus ihr zu verdehen, als wenn wir ungefchichtlich
den Schriftbuchdaben ohne weiteres als Glaubens- und
Lebensgefetz für uns hinnehmen. Wie klar und fcharf
und lebenswahr tritt uns in diefen Predigten die gran-
diofe Perfönlichkeit Mofis im Lichte der Gefchichte entgegen
! Wohl hört er auf, Gefetze zu weisfagen für eine
Zukunft, für die damals jede Vorausfetzung fehlte; felbd
die zehn Gebote in der Faffung, wie de uns überliefert
find, gehören einer fpäteren Zeit an. Der Gefetzgeber
verfchwindet hinter dem Befreier, dem Führer, dem Richter
. Aber um fo gröfser deht er da als der Erzieher feines
Volkes zu gefittetem Dafein und geordnetem Volksleben,
um fo unvergänglicher id feine Bedeutung als der Stifter
einer Religion, deren unveränderlicher Zufammenhang mit
der Uebung der Rechtfchaffenheit im täglichen Leben,
und darum mit Wahrheit und Freiheit, in einer für alle
Zeiten vorbildlichen Weife durch ihn fedgedellt id. Wie
wenig die Bibel dabei ihre religiöfe Eindringlichkeit ein-
büfst, zeigt ferner der zweite Vortrag, in dem die Frage
beantwortet wird, in welchem Sinne die zehn Gebote
demnach mit Recht auf Gott zurückgeführt werden,
nämlich nicht fo, that tliese words were spoken direct out
of heaven by God on a particular day and at a particular
spot on the eartlls surface, fondern in dem Sinne, dafs
der Schöpfer den Menfchen alfo darauf angelegt habe,
dafs fie mit Nothwendigkeit in der Culturentwicklung
der Völker auftauchen und fich immer klarer enthüllen
mufsten.

Damit hängt denn die gefammte Auffaffung der zehn
Gebote zufammen. Darnach haben wir in diefen Geboten
nicht etwa das Ideal für die göttliche Entwicklung
des einzelnen Menfchen, fondern vielmehr die Grundlinien
des focialen Lebens zu fuchen. Sie enthalten nicht
fittliche Grundfätze, fondern die Grundgefetze menfeh-
lichen Gemeinfchaftslebens. Studying the commandments
is studying the very origin of civihsation, the A B C of human
society. Darin erkennt der Verf. auch die hohe prak-
tifche Bedeutung der zehn Gebote für unfere Zeit. Sie
bieten the religious grounds of the foundations of society.
Der Verf. hält es mit Recht für eine wichtige Aufgabe
der Kirche unferer Tage, diefe religiöfen Grundlagen
unferer heutigen Gefellfchaftsordnung zu vertheidigen,
und diefer Aufgabe find diefe Predigten gewidmet. Das
ift es auch, was der auf den erften Blick befremdliche Titel
National religion befagen will. Es kennzeichnet dabei
den Standpunkt des Verf.'s, wenn er jene Abficht fo ausdrückt
: to shew, that the various arrangements of the social
State have their basis i?i reason and necessity, or m other
words, the will of God. Diefer ftarke Glaube an das

Walten des göttlichen Willens in der Entwicklung unferer
Gefittung verleiht feinen Ausführungen eine eigen-
thümliche praktifche Energie. Deutfchen lutherifchen
Chriften wird es dabei auffallen, dafs die Begründung
diefes Glaubens in dem Glauben an Jefus Chriftus nirgends
zum Ausdruck gekommen ift, dafs dementfprechend auch
die letzten Grundgedanken unferes chriftlichen Glaubens:
das Reich Gottes und das ewige Leben, auch nicht einmal
anklingen. Unferer deutfchen Auffaffung von der Aufgabe
evangelifcher Predigt wird damit fchwerlich Genüge
gethan. Jedenfalls find aber diefe Predigten für die wichtige
Aufgabe chriftlich-fittlicher Beleuchtung des focialen
Lebens überaus lehrreich und anregend.

Giefsen. G. Schloffer.

Funcke, Paff. Otto, Brot und Schwert. Ein Buch für hungernde
, zweifelnde und kämpfende Herzen. 2. Aufl.
Bremen, C. E. Müller, 1889. (XX, 340 S. 8.) M. 3. —;
geb. M. 4. —; m. Goldfehn. M. 4. 20.

Unter diefem nicht gerade glücklich gewählten Titel
bietet der bekannte Verf. in diefem Buche eine populäre
Apologie des Chriftenthums, vorzugsweife für Solche berechnet
, die theils aus Unkunde, theils in Folge einfeitiger
Polemik dem biblifchen Chriftenthum entfremdet find und
doch in ihrer Glaubenslofigkeit fleh nicht befriedigt
fühlen. Er hat, wie es feine Art ift, die fchwere Rüftung
wiffenfehaftlicher Deduction verfchmäht und behandelt
die in Frage kommenden Gegenftände ungezwungen in
feffelnder, allgemein verftändlicher Weife. Trotzdem ift
ein gewiffes Schema durchgeführt: das Bedürfnifs des
Heils, die Begründung des Heils und die Aneignung des-
felben. Der erfte Abfchnitt, ausgehend von dem Gefühl
der Erlöfungsbedürftigkeit, entwickelt gegenüber der modernen
naturaliftifchen Weltanfchauung die Begriffe Sünde,
Erbfünde (oder wie Verf. lieber fagen will: ,Erbfündig-
keit'), Schuld und Verantwortlichkeit (Cap. III). Dann
folgt in Cap. IV eine populäre Chriltologie, der der Verf.
ein in Gebetsform gekleidetes Selbftbekenntnifs voraus-
fchickt, und die mit dem beherzigenswerthen Satz beginnt:
,Von Anfang des Chriftenthums find es nicht die theo-
logifchen Erklärungen über die Geheimnifse der Perfon
Chrifti gewefen, welche die Menfchenherzen für das Evangelium
gewonnen haben. Nein, es war faft immer die
Anfchauung des Bildes Chrifti, wie es einerfeits durch
die Evangeliften, andererfeits durch echter Chriften Zeug-
nifs ihnen vor Augen geführt wurde'. Von diefem Ge-
fichtpunkt aus werden dann die Grundzüge des biblifchen
Chriltusbildes kurz fkizzirt, ohne dafs der Verfuch gemacht
wird, das Geheimnifsvolle, das über demfelben ichwebt,
begrifflich zu definiren. ,Die Apoftel haben kein Syftem
über die heilige Dreieinigkeit aufgeftellt, fie haben auch
nicht gegrübelt, wie die göttliche und menfehliche Natur
zu einander geftellt feien; es war ihnen genug, zu fehen,
wie das Göttliche und Menfehliche hier in der wunder-
barften Harmonie vereint war. Ueber die Bedeutung des
Todes Chrifti befchränkt fich der Verf. auf Andeutungen.
In den Vordergrund ftellt er ,die Vollendung' feines Ge-
horfams in feiner dienenden Liebe. In Betreff der Stellvertretung
zieht er fich auf den Satz zurück: ,1m Aller-
heiligften der Götter mufs es dunkel fein. Das innerfte
Heiligthum der chrifti. Religion verbirgt fich vor dem
gemeinen Tageslicht'. Defto mehr Gewicht wird auf die
Thatfache gelegt, dafs von dem Tode Chrifti die mächtig-
ften Impulfe auf die Welt wie auf die Einzelnen ausgegangen
find und noch ausgehen.

Die Abfchnitte, die von der Heilsaneignung handeln,
find vielfach, wie der Verf. felbft ausdrücklich hervorhebt,
durch das Buch von Drummond ,Das Naturgefetz in der
Geifteswelt' beeinflufst, deffen Anregungen jedoch felb-
ftändig verwerthet werden. Die ,Einpflanzung des neuen
Lebens' wird an der Gefchichte des Nikodemus und der