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Ausgabe:

1889 Nr. 20

Spalte:

515-516

Autor/Hrsg.:

Tümpel, W.

Titel/Untertitel:

Geschichte des evangelischen Kirchengesanges im Herzogthum Gotha. I. Thl 1889

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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Seite 1

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515 Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 20. 516

Tümpel, Archidiak. W., Geschichte des evangelischen !
Kirchengesangs im Herzogthum Gotha. I. Thl. Gefchichte
des Gothaifchen Gefangbuchs. Gotha, Schloefsmann,
1889. (V, 121 S. gr. 8.) M. 2. —

Der Herr Verf. bietet uns in feinem Werke die Gefchichte
eines einzelnen Gefangbuches, eine der Special-
ftudien, wie fie in neuerer Zeit befonders durch die
Bemühungen der,Hymnologifchen Blätter',herausgeg. von
Fifcher und Linke, angeregt find. Der Titel des Werkes:
,Gefchichte des evang. Kirchengefangs' ift allerdings
fehr irreführend; denn auf diefen erften Theil, welcher die
Gefchichte des Gothaifchen Gefangbuches giebt, werden
zwei andere Theile folgen, welche die Gefchichte der
Gothaifchen Kirchenlieddichter und die Gefchichte der
Anwendung und Wirkung des Kirchenlieds im Herzog- I
thum Gotha darftellen werden, jedoch mit ausdrücklichem
Ausfehlufs der mufikalifchen und liturgifchen j
Seiten des Kirchengefanges, die ,nur gelegentlich' Be-
rückfichtigung finden follen. Alfo in diefer Gefchichte
des Kirchenge fanges wird vom Kirchenge fang kaum
die Rede fein. Bezeichnender und anfpruchslofer würde
der einfache Titel fein: Gefchichte des Gothaifchen
Kirchengefangbuches — alfo derfelbe Titel für das
Ganze, den jetzt der vorliegende erfte Theil führt; die
beiden folgenden Theile würden fich zwanglos diefem
Gefammttitel untergeordnet haben.

Die Arbeit des Herrn Verfs. ift ohne Frage reich
an Mühen und Ermüdung gewefen, an Ermüdung, weil
der bedeutendere Theil des Buches von mechanifch zu
verfertigenden Regiftern der Lieder angefüllt ift, an
Mühen, weil die Befchaffung und Kenntnifsnahme der
zahlreichen Drucke nicht leicht war. Von 1642 an, wo
in der für das Gothaifche Schulwefen grundlegenden
Schrift: ,Special- und fonderbahrer Bericht, Wie . . die
Knaben und Mägdlein . . . unterrichtet werden .. follen'
unter den Schulbüchern auch ein ,Teutfch Gefangbüchlein
' genannt wird, bis 1736 (?), wo das Gefangbuch durch
den ,Andern Theil' von 1725 und einen ,Neuen Anhang
' auf die Zahl von 1360 Liedern angefchwollen iit,
wird der Inhalt der Ausgaben nach Rubriken und den j
nach den Verfaffern angeordneten Verzeichnifsen aller
darin enthaltenen Lieder genau angegeben. Uebrigens j
ift das Gefangbuch bis 1699 nur Schulgefangbuch;
erft in diefem Jahr, alfo verhältnifsmäfsig fehr fpät, wird
es ein Kirchengefangbuch. Leider vermiffen wir nähere
Angaben darüber, auf welche Weife fich die Einführung
des Buches als alleiniges Kirchengefangbuch vollzogen
hat, ebenfo darüber, wie es mit den im Gottesdienft
gebrauchten Liedern bis 1699 fich verhalten, welche
Bücher vorzugsweife benutzt wurden und dergl. mehr.
Ein Nachweis gerade über diefe Dinge würde auf allgemeines
Intereffe rechnen dürfen.'

Bis 1776 behielt das Gefangbuch feinen urfprüng-
lichen Charakter trotz grofser Vermehrung der Nummern;
es herrfcht auch im 18. Jahrhundert die kirchlich-orthodoxe
, der pietiftifchen entgegengefetzte Richtung vor. Die
grofse Zahl der Lieder, unter denen viele mittelmäfsige
fich finden, die unberechtigte Bevorzugung der Poefic
eines B. Schmolck liefs eine Reform wünfehenswerth er-
fcheinen. Allein diefe Reform wurde in platt rationa-
liftifchem Geifte ausgeführt, 1778 noch in milderer Form,
1825 durch Bretfchneider in rückfichtslofefter Weife.
An diefem Gefangbuch krankt das Herzogthum Gotha bis
zum heutigen Tage. Die Ausgabe von 1736 hat übrigens
einen Nachdruck (1863?) in Mühlhaufen erfahren und
drei in der Provinz Sachfen in der Nähe von Mühl- !
häufen gelegene Gemeinden haben es noch jetzt im
Gebrauch.

Für die Melodien der Lieder des G.-B. forgte die Psal-
viodia sacra von 1715, nebft Anhang von 1726, bis der
mufikkundige K. G. Umbreit zu Sonneborn bei Gotha,
der Vater des bekannten Theologen Friedr. Wilh. Karl

Umbreit, im Jahre 1811 ein vorzügliches ,Allgemeines
Choralbuch' herausgab, welches 1879 m revidirter neuer
Ausgabe erfchien.

Den Freunden fpecieller hymnologifcher Studien,
befonders auch den Pfarrern und Lehre rn des Herzogthums
Gotha, wird die forgfältige Arbeit des Herrn Verfs. willkommen
fein.

Marburg. A che Iis.

Grimelund, Bifchof a. D. U., Die Geschichte des Sonntags.

Ein Beitrag zur Löfung der Sabbathsfrage. Aus dem
Norwegifchen überfetzt von Paftor H. Hänfen.
Gütersloh, Bertelsmann, 1889. (83 S. 8.) M. 1. —

Das Eigenthümliche diefer Schrift ift, dafs fie die Frage
beantworten will, ob die Chriften berechtigt feien, den
Sonntag (ftatt des Sabbaths) als Ruhetag zu feiern. Sie
ift alfo gegen alte und neue Sabbaththeorien gerichtet; die
amerikanifche Secte der .Siebcntags-Adventiften' beunruhigt
feit 1879 auch Norwegen.

Man könnte fragen, ob die deutfehe theologifche Literatur
durch die Ueberfetzung eine Bereicherung erfahren
habe; denn das Refultat der Unterfuchungen ift dasfelbe,
welches uns durch eine Reihe gründlicher deutfeher
Schriften, von denen ich nur Th. Zahn: Die Gefchichte
des Sonntags, vornehmlich in der Alten Kirche, und die
Abhandlungen von Dr. Henke, zuletzt unter dem Titel:
Zur Gefchichte der Lehre von der Sonntagsfeier in Th.
St. u. Kr. 1886 S. 597—664 nenne, fichergeftellt ift.
Allein gegenüber der Gefahr, in welcher grofse Theile
unferes Volkes flehen, den Sonntag und feine Segnungen
zu verlieren, gegenüber dem fchweren Nothftande der
Sonntagsentheiligung tritt die Verfuchung ftets neu hervor
, die evangelifche Freiheit zu verleugnen und in der
Behauptung der göttlichen Einfetzung des Sonntags ftatt
des Sabbaths und der Geltung des Sabbathgebotes für
den Sonntag den einzigen Schutz des Sonntags zu fuchen.
Darum kann es nie genug hinausgerufen und bewiefen
werden, welches der evangelifche Standpunkt fei, und dafs
es erft eine in der Kirche des Papftthums aufgekommene
Lehre ift, dafs die Heiligung des Sonntags durch den
Dekalog verordnet fei, und dafs das Wefentliche und
Bleibende in dem Sabbathgebot der göttliche Befehl fei,
einen Tag in der Woche als Feiertag zu heiligen. Dafs
auch Grimelund mit deutlicher Stimme und mit eingehender
Gelehrsamkeit die in der Qout. Aug. Art. 28
verfochtene, von Luther, Calvin und allen anderen Reformatoren
auf das ernftefte vorgetragene evangelifche Lehre
vom Sonntag ins Licht geftellt hat, foll ihm und feinem
Ueberfetzer warm gedankt fein.

In dem erften Abfchnitt: Sonntag und Sabbath im
A. Teft. hätte die Ausführung fchärfer betonen dürfen,
dafs die Heiligung des Sabbaths vornehmlich in dem
Nichtantaften einer gottgeweihten Sache beftand; im
dritten Abfchnitt: Der Sabb. und Sonntag in der apoft.
Zeit (S. 17—30) würde zu bemerken gewefen fein, dafs
die Sonntagsfeier eine freie Bildung der heidenchrift-
lichen Gemeinden ift; zu S. 54 ift zu bemerken, dafs nicht
Hospinian in feinem Buche Festa Christianorutn 1593
das Zeichen zur Abweichung von der paulinifchen und
reformatorifchen Lehre gegeben hat — H. ift noch rein
evangelifch —, fondern Th. Beza, der in feinem Novum
Test, ad Apoc. I, 10 (1598 p. 525) es ausfpricht, der
Sonntag fei von den Apofteln auf Anleitung des heil.
Geiftes an die Stelle des Sabbaths gefetzt, daher
apoftolifeher und wahrhaft göttlicher Tradition
(vergl. Henke a. a. o. S. 636 ff.).

Die Ueberfetzung ift im Ganzen recht gut. Nur
der letzte Satz auf S. 14 ift völlig unverftändlich. Zu
tadeln ift die fyntaktifche Nachläffigkeit, welche der
Herr Ueberf. fich angewöhnt hat, einen durch einfache
Copula angefchloffenen Satz in veränderter Conftruction