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Ausgabe:

1889 Nr. 20

Spalte:

513-514

Autor/Hrsg.:

Jaspis, Alb. Sigism.

Titel/Untertitel:

Denkmal der Liebe. Predigten 1889

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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5i3

Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 20.

514

Die Frage, welche Referent in der Befprechung des
erften Bandes aufwarf, wie der Lehrftoff zwifchen dem
Religionsunterricht der Schule (Elementarfchule und der
vielgeftaltigen höheren Schulen) und dem pfarramtlichen
Unterricht zu theilen und zu ordnen fei, hat der Herr
Verf. auf die einzig mögliche Weife dadurch beantwortet,
dafs er lediglich die Elementarfchule (Volksfchule), die
einklaffige und vierklaffige (vierftufige) in Unterfuchung
zieht. Für diefe und den pfarramtlichen Katechumenen-
und Konfirmanden-Unterricht verdienen die fehr durchdachten
und gefchickt entworfenen Lehrpläne die ein-
gehendfte Beachtung.

Auf principielle Entfcheidungen hinfichtlich der
Methode, befonders im Katechismus-Unterricht, läfst
fich der Herr Verf. nicht ein. Im pfarramtlichen Kate-
chumenen-Unterricht (S. 134 ff.) behandelt er in drei
Rubriken den kl. Lutherifchen, den Heidelberger und
den Rheinifchen Unionskatechismus, obgleich der Lehrgang
in allen dreien grundverschieden ift; er giebt keinem
den Vorzug, fondern verlangt, dafs der Unterricht fich
an den Gang des gerade vorliegenden Katechismus an-
fchliefse, während er für den Konfirmanden-Unterricht
ein prinzipielles Verfahren, von der Taufe beginnend,
zum hl. Abendmahl durchführend, verlangt und diefem
Gange gemäfs den Stoff der drei Katechismen vertheilt.
Dies Verfahren des Herrn Verf.'s kann man nun allerdings
von wiffenfchaftlichem Gefichtspunkte aus nicht billigen;
wir hätten gewünfcht, dafs auch der Katechumenen-Unter-
richt fo principiell behandelt und auch der Religions-
Unterricht der Volksfchule nach pfychologifchen und
methodifchen Grundfätzen hinfichtlich der Anordnung
des Lehrftoffs geordnet wäre. In der fchönen Tendenz
des Buches, eine Verfiändigung zwifchen Schule und
Kirche im religiöfen Jugend-Unterricht herbeizuführen,
hat das Verfahren des Herrn Verf.'s ein gewichtiges Moment
zurEntfchuldigung. Im Einzelnen möchten wir nur kräftigen
Proteft einlegen gegen S. 142 letzte Zeile, wo der Unter-
fchied der evangelifchen und katholischen Kirche am Bilde
der Maria und Martha (Lc. 10, 38—42) den Kindern darge-
ltellt werden foll.

Im Ueb/rigen fei das Werk den Pfarrern und Lehrern
wiederholt aufs wärmfte empfohlen.

Marburg. Achelis.

Jaspis. Gen.-Superint. M. D. Alb. Sigism., Denkmal der
Liebe. Predigten, erbaut aus den hinterlaffenen noch
ungedruckten Manufkripten von feinem Sohne Paft.
Johs. Sigism. Jaspis. Gotha, F. A. Perthes 1888.
(VII, 155 S. gr. 8.). M. 2. 40.

Der Verfaffer diefer Predigten, der hochverehrte
General-Superintendent der Provinz Pommern, D.Jaspis,
hat diefelben nicht für den Druck beftimmt, fie auch
nicht vor andern auserwählt; die Pietät des Sohnes meinte
dem heimgegangenen Vater ein Denkmal der Liebe dadurch
zu erbauen, dafs er dem Wunfche des Verlegers
nachgäbe und aus dem handfchriftlichen Nachlafs feines
Vaters diefe Sammlung von 18 Predigten und eine
Anzahl von ,Dispofitionen der Predigten über die Augic-
stana' demfelben zur Drucklegung überliefse. Diefer Pietät
gegenüber ift eingehende Kritik für den, der vor der
Perfon des entfchlafenen Oberhirten in aufrichtiger Ehrfurcht
fich weifs, nicht wohl angebracht, obgleich der
überfchwängliche kritiklofe Panegyrikus, den der Herr
Verleger jedem Exemplar auf einem befonderen Blättchen
beigiebt, die fchärffte Kritik geradezu herausfordert. Wir
befchränken uns auf eine kurze Charakteriftik der Predigten.

Den Eindruck wird jeder Empfängliche davontragen,
dafs wir es hier mit einem innig frommen, Chriftum und
die Heil. Schrift über alles liebenden, auf fein eigenes
und feiner Hörer Heil mit heiligem Ernft bedachten
Manne zu thun haben. Wir wiffen, dafs der Name

Jaspis in Elberfeld, wo er vor langen Jahren Paftor war,
noch heute in weiten Kreifen unvergeffen ift, und es ift
keine Frage, dafs der .innerliche' Mann (ein Lieblingsausdruck
von ihm) auch in Pommern viele Herzen gewonnen
hat. Vor allem befchäftigt fich feine Rede mit dem
,inneren Leben', dem Verhältnifs der Seele zu ihrem Herrn,
und man merkt, dafs er dabei nicht auf einer terra
incognita wandelt. Eine Eigenthümlichkeit der Predigten
hängt damit zufammen: der Prediger wendet fich gern
ausdrücklich nur an einen Theil feiner Hörer, an ,die
kummervollen Seelen', an ,befondere Seelen unter euch',
indem er lediglich für diefe redet und von den Andern
erwartet, dafs er bei ihnen gar kein Gehör finde. Gemeindepredigten
fehen wir alfo wohl nicht vor uns. Eine andere
Seite diefer Eigenthümlichkeit dürfte darin beftehen, dafs
der Prediger nicht feiten zu der Hörerfchaft im Ganzen
eine oppofitionelle Stellung, die Stellung einer gereizten
Oppofition, einzunehmen fcheint. Es wird oft ein Ton
angefchlagen, als ob er vermuthe, die Hörer würden
fich über feine Art luftig machen oder doch diefelbe
einer ungünftigen Kritik unterziehen.

Der Prediger fieht feine Aufgabe darin, das Bibelwort
der Gemeinde auszulegen, und das gefchriebene
Wort ift ihm. die ultima ratio. Oftmals weift er auf
das Dunkle und Geheimnifsvolle des Textwortes hin und
bietet fich an, es zu erklären; auf Erklärung der ,geheim-
nifsvollen' Dinge, z. B. dafs Gott auf jeden der zahllofen
j Menfchen achte, der unbegreiflichen Dinge, z. B. dafs
' die Ewigkeit an diefe kurze Zeitdauer geknüpft fei, läfst
I der Prediger fich nicht ein, fondern beruhigt fich ohne
jeden Grund dabei: ,wir müffen der Bibel aufs Wort
glauben' oder: ,der Herr will's nun fo'; dafs das debitum
zugleich ein neccssarium fei, tritt nicht hervor; die Hl. Schrift
und durch fie der Herr felbft werden vielmehr als eine
äufserliche, gefetzliche Autorität gewerthet, wie überhaupt
eine gefetzliche und ängflliche Auffaffung des Chriften-
thums unverkennbar ift. Die Sprache in den Predigten
ift die nicht von Nachläffigkeiten freie Umgangsfprache
des gewöhnlichen Lebens, auf Gedankenentwicklung
wird weniger Werth gelegt, als auf Ungezwungenheit im
Aneinanderreihen der Gedanken; formelle Feile ift nicht
angewendet.

Eine unangenehme Einrichtung des Druckes ift, dafs
die Texte nur angegeben, nicht wörtlich ausgefchrieben
find. Auch hätte weit mehr Sorgfalt auf Entfernung
finnftörender Druckfehler verwendet werden follen. Z. B.
S. I: ,Beim Anfang des Kalenderjahres (ftatt Kirchenjahres
); S. 9 letzte Zeile: erft ftatt ernft; S. 66: Zweies
nur bleibt; S. 70 Z. 16: Frieden ftatt Feinden u. f. w.

Endlich fei die Frage geftattet, ob nicht die Pietät
gegen den Heimgegangenen erfordert hätte, Eigenthümlich-
keiten, die, vielleicht charakteriftifch, den perfönlich Nahe-
ftehenden nicht unwerth find, allen Fernerftehenden aber
als recht unberechtigt erfcheinen müffen, auszumerzen.
Wir denken an S. 6: .Katechismus-Predigten paffen nicht
für einen Neujahrs-Gott'; S. 13: ,Es giebt zuerft Leichtfinnige
, unter ihnen find viele von euch' .... .Unglückliche
Sinnenmenfchen, wenn ihr unter uns wäret'; S. 17:
,Wir können erwarten, dafs diefe Bitte eueren Seelengrund
bewegt' .... können wir folchen Ernft aber auch erwarten?
erwarten bei vielen? Nein' und dgl. mehr. Zufammen
mit unteren oben vorgetragenen Bemerkungen drängen
folche Beobachtungen zu dem Wunfeh, dafs die Predigten
des hochverehrten Entfchlafenen ,als Manufcript für
Freunde' möchten ausgegangen fein.

Marburg. Achelis.