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Ausgabe:

1889

Spalte:

512

Autor/Hrsg.:

Biedermann, Gust.

Titel/Untertitel:

Religionsphilosophie 1889

Rezensent:

Thoenes, Karl

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Seite 1

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SU

Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 20.

512

und meine Einwände gegen jeden, der es fo fafst, aufrechterhalte
; denn dafs es mir nicht geftattet fein foll,
heterogene Standpunkte, welche in dem von mir bekämpften
Punkt zufammentreffen, auch infofern zu-
fammenzufaffen (S. 99), ift ein Einwand, den ich nicht
verftehe. Und das damals geltend gemachte Bedenken,
dafs die gewöhnliche Methode bei einem philofophifchen
Syftem zu Lehen gehen mufs, wird mir durch R.'s Erörterungen
, die überall die Stellungnahme auf der Kant'-
fchen Philofophie verrathen, besonders nahe gelegt.
Aber ich will mich dabei nun nicht mehr aufhalten. Ich
will viel lieber zum Schlufs noch ein Doppeltes hervorheben
. Einmal dies, dafs der Werth des Buches nicht
davon abhängt, ob es feinen gegen mich gerichteten
kritifchen Zweck erreicht oder nicht. Und das Andere
ift dies, dafs es fich zwifchen uns fchliefslich um einen
Gegenfatz der wiffenfchaftlichen Grundanfichten
handelt.

Erfteres ift meine aufrichtige Meinung. Ich glaube
zwar oben für jedermann dargethan zu haben, dafs R.
fich in einem Irrthum befindet, wenn er meine Methode
kritifch zerfetzt zu haben glaubt. Er könnte ja aber
trotzdem in der Sache Recht haben, feine Methode
könnte die richtige und meine falfch fein. Ich glaube
das nicht, aber ich habe hier keine neuen Argumente
in diefem Sinn vorgebracht. Wen, wie R., das früher
darüber Gefagte nicht überzeugt hat, der wird feine Anficht
fefthalten. Und die Mehrzahl der Forfcher wenig-
ftens unter den Theologen fteht auf diefem Standpunkt.
Wer es aber thut, wird den Erörterungen R.'s, die ab-
gefehen von dem kritifchen Zweck ihren felbftändigen
Werth behaupten, gern folgen, und manches daraus lernen.
Ich felbft habe fie mit Vergnügen gelefen. Sie zeigen
in ihrer eindringenden Art überall den echten Forfcher,
der ftets den tiefften und letzten Punkt der Probleme
zu faffen und herauszuftellen bemüht ift. Wenn ich für
mein Theil pofitiv nicht viel daraus zu entnehmen vermag
, fo liegt das daran, dafs ich den Fortfehritt unferer
Wiffenfchaft nicht in diefer Richtung fuche und deshalb
das meifte, was hier vorgebracht wird, für Verfchwend-
ung des Scharffinns und refpectabler geiftiger Kraft an
eine unfruchtbare Aufgabe zu halten geneigt bin.

Aber worin befteht denn der Gegenfatz unferer
wiffenfchaftlichen Grundanfichten? Ganz einfach in Folgendem
. Es handelt fich um ein Doppeltes, um die Er-
kenntnifs des Wirklichen und um die Feftftellung des
Ideals. Letzteres ift nicht mehr eine ftreng wiffenfchaft -
liche Aufgabe. Wird fie doch in der Wiffenfchaft behandelt
, fo kann das nur auf der Grundlage gefchehen,
welche die Löfung der erfteren Aufgabe bietet. Diefe
mufs fich dann aber ganz ftreng auf dem Boden der
Wiffenfchaft als folcher halten ohne alle Einmifchung des
Ideals. Sonft wird die Erkenntnifs verdorben, und es
fehlt der Feftftellung des Ideals an jeder wiffenfchaftlichen
Grundlage. Das ift meine Anficht von der Sache.
R. und die, welche feinen Standpunkt theilen, ordnen j
das Verhältnifs der Aufgaben zu einander auf umge- j
kehrte Weife. Mitteilt einer philofophifchen Gefammt-
anficht ftellen fie das Ideal feft und behaupten, mittelft
desfelben auch erft die wahre Erkenntnifs der Wirklich- j
keit zu gewinnen, deren Eigenart gerade darin liege, das :
Gebiet des Ideals zu fein. So in der Ethik und fo in
der Wiffenfchaft von der Religion.

Wer hat Recht? Nach meiner Einficht ift die Ge-
fchichte der Wiffenfchaft die Gefchichte ihrerEmancipation j
von der Philofophie, aus deren Mutterfchofs fie geboren. |
Für die Aufgabe der meiften Wiffenfchaften hat die Philo-
fophie heute ihre frühere Bedeutung verloren. Ich bezweifle
nicht, dafs das auch in der Wiffenfchaft von der Religion und
vom fittlichen Leben fich durchfetzen wird. Die Zuverficht '
zum guten Recht meiner Pofition erwächft mir daher
aus einem folchen Blick auf den grofsen Gang in der
Entwicklung des geiftigen Lebens und daraus, dafs ich :

die Möglichkeit, auch auf unferem Gebiet zunächft
ohne Philofophie zu arbeiten, durch den Verfuch erprobt
habe. Die Erkenntnifs, dafs es auch hier wie bei jedem
folchen Fortfehritt den Widerftand zäher, eingewurzelter
Denkgewohnheiten zu überwinden giebt, beeinträchtigt
diefe Zuverficht nicht.

Berlin. J. Kaftan.

Biedermann, Gull., Religions-Philosophie. Prag, Tempsky,
1887. Leipzig, Freytag. (XXI, 175 S. gr. 8.) M. 4. —

Das kurze Vorwort, welches der Herr Verf. feiner
Schrift mitgegeben, wird beffer, was die letztere bietet,
zu charakterifiren vermögen, als es den Worten eines
Beurtheilers gelingen dürfte. Dasfelbe lautet: ,Heidnifcher
Geift bedrängt feit Spinoza mehr als fonft das Chriften-
thum in feinem Bekenntnifse des Gottesgeiftes als Men-
fchengeift, neben dem er das als Naturgeift erhalten
wiffen möchte. Auch mufs der in feiner Beftimmung
des menfehgewordenen Gottes fich übernehmende Glaube
diefer Forderung gerecht werden — zum eigenen Heile.
Ein Rückfall ins Heidenthum ift deshalb nicht zu befürchten
, zwei Jahrtaufende Arbeit des Menfchengeiftes
find nicht ungefchehen zu machen. Wer aber bejahrt
fein Leben lang in der Wiffenfchaft gelebt und an ihr
gewebt, der wird wohl in diefes ihr Heiligthum einzutreten
fich geftatten dürfen. Giebt doch auch in dem
abfchliefsenden Entwickelungsantheil der Philofophie des
Geiftes der Geift vom Geifte Zeugnifs, der wiffende vom
glaubenden'.

Diefe Sätze fprechen nach Form und Inhalt fo fehr
für fich felbft, dafs trotz der Achtung, welche die Selbft-
charakteriftik des Herrn Verfaffers uns auflegt, das Ur-
theil kaum zu hart erfcheinen dürfte, dafs er beffer ge-
than hätte, feine Religionsphilofophie ungefchrieben zu
laffen. Zwar find gewifs manche feiner Urtheile richtig,
wie z. B. das auf S. X fich findende, dafs die Frage:
Haben wir noch Religion? gerade fo gefcheidt fei, wie
die, ob wir noch Sittlichkeit und Recht haben, aber wir
glauben nicht, dafs der Verf. eine Religionsphilofophie
des Heidenthums (S. 1—45), des Chriftenthums (S. 49—
in) und eine Religion der Philofophie (S. 115 —175)
fchreiben mufste, um das bezeichnete und andere einzelne
richtige Urtheile über religiöfe und philofophifche Dinge
für andere nutzbar zu machen.

Lennep. Lic. Dr. Thönes.

Schulze, Reg.- u. Schuir. Geo., Die einheitliche Christenlehre
im evangelifchen Schul- und Pfarrunterrichte.
(In 2 Bdn.) 2. Bd. Zum praktifchen Ausbau. Drei
Anhänge: Lehrpläne, Katechefen und Entwürfe, Büchernachweis
. Gütersloh, Bertelsmann, 1888. (VIII, 282 S.
gr. 8.) M. 4. -

Den erften Band vorliegenden Werkes hat Referent
im Jahrgang 1888 Nr. 1 zur Anzeige gebracht. Die Anerkennung
und der Dank, welche dort zum Ausdruck
kamen, find ungefchmälert auch für den 2. Band geltend.
Was uns im erften Abfchnitt: ,zum prakt. Ausbau' in
fieben Paragraphen über die Katechefe überhaupt und
die Katechefe in der bibl. Gefchichte, der bibl. Lehre,
Kirchengefchichte, im Katechismus, Kirchenlied und ,im
übrigen gottesdienftlichen Unterricht' geboten wird, ift
gleich anregend und inftruetiv für Pfarrer und Lehrer.
Die ,Lehrpläne' des erften Anhangs berückfichtigen die
einklaffigen und vierklaffigen Volksfchulen und unter
der Vorausfetzung, dafs der Lehrplan in diefen durchgeführt
ift, den zweijährigen Katechumenen- und Konfirmanden
-Unterricht. Der zweite Anhang (S. 145—263)
giebt Katechefen und Entwürfe nach den Kategorien
des Abfchnittes ,zum praktifchen Aufbau'; der dritte
Anhang enthält einen fehr ausführlichen Büchernachweis.