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Ausgabe:

1889 Nr. 20

Spalte:

501-506

Autor/Hrsg.:

Lenz, Max

Titel/Untertitel:

Briefwechsel Landgraf Philipp‘s des Grossmüthigen von Hessen mit Bucer 1889

Rezensent:

Enders, Ernst Ludwig

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Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 20.

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auch Baumann annimmt, fondern der Redactor derfelben
ift. Wahrfcheinlich hat Lotzer, der ein grofser Verehrer
Luther's war, dafür geforgt, dafs die zwölf Artikel in
Luther's Hände kamen. Man kann es nur beklagen, dafs
Luther den Kreis, aus welchem die zwölf Artikel hervorgingen
, nicht kannte. Denn das läfst fich nicht verkennen,
dafs die oberfchwäbifche Bauernbewegung an deren
Spitze Ulrich Schmid mit Sebaftian Lotzer ftand, einen
wefentlich anderen Charakter trägt, als die fränkifche und
die von Münzer geleitete. Der Ausbruch der Feindfe-
ligkeiten in Oberichwaben ift doch in erfter Linie der
heimtückifchen Politik des Schwäbifchen Bundes mit
feinem Spiritus rector Leonhard Eck zuzufchreiben. Ulrich
Schmid und Lotzer war es um friedliche Verftändigung
mit der Herrenpartei zu thun, wie fie denn auch zum Nachgeben
bereit waren, wenn die Gottesgelehrten ihre Forderungen
unbegründet fänden. Was Luther gerathen
(S. 186), ift ganz nach ihrem Sinn.

Beim Verkehr Münzer's mit den Züricher Wiedertäufern
wird wohl Wilhelm Reiblin oder Röublin, wie
die Schweizer feinen Namen fchreiben, das Mittelglied
bilden. Reiblin, ein agitatorifches Genie erften Ranges,
war nach Hubmaiers Zeugnifs ,der Anfänger der Wiedertaufe
'. Er, der einft Pfarrer in Grieffen gewefen, wufste,
wo die Züricher Täufer am ungehindertften mit Münzer
verkehren konnten, und es kann nicht Wunder nehmen,
dafs dazu Grieffen auserfehen wurde, wo fich Münzer
längere Zeit aufhielt. Reiblin, der fpäter in Strafsburg
und in feiner Heimat Rottenburg am Nekar wie in Mähren
eine Rolle fpielte, und Münzer find congeniale Geifter.

Für die Fortfetzung möchte Ref. wünfchen, dafs
Kolde Luther's Schriften in demfelben Mafs, wie in der
erften Hälfte des 2. Bandes heranzieht. Die Gefahr, dafs
feine Lutherbiographie ,ein Repertorium über die Ent-
ftehung von Luther's Schriften' werden möchte, ift damit
noch nicht gegeben. Ganz befonders aber wäre er-
wünfcht, wenn Kolde auch dem 2. Band jene gehaltreichen
Anmerkungen, die im 1. Band fo viel Neues
boten, beigeben würde. Die Lutherforfchung hat denn
doch in den letzten 6 Jahren manches Material gewonnen,
das da und dort zerftreut und gerade für die Kreife, die
fich Kolde wünfcht, nicht immer leicht zugänglich ift.
Endlich aber wäre dem Verfaffer die Mufse zu wünfchen,
dafs er das fchöne Werk etwas rafcher als bisher der
Vollendung entgegen führen könnte.

Nabern G. Boffert.

bei Kirchheim u. Teck (Württb.).

Lenz. Max. Briefwechsel Landgraf Philipps des Grossmüthi-
gen von Hessen mit Bucer. Herausgegeben und erläutert
. 1. u. 2. Thl. [Publicationen aus den k. preufsi-
fchen Staatsarchiven, 5. u. 28. Bd.] Leipzig, Hirzel,
1880 u. 87. (VIII, 542 u. X, 506 S. gr. 8.) ä M. 14.-+

Nachdem der in der Vorrede des 2. Bandes auf das
Ende des Jahres 1887 verheifsene Schlufsband durch
den W'eggang des Herausgebers von Marburg noch
längere Zeit auf fich warten laffen dürfte, will Ref. es
nicht länger anflehen laffen, diefen für die Reforma-
tionsgefchichte hochbedeutfamen Briefwechfel zur Anzeige
zu bringen. Freilich wird der hiefür zugemeffene
Raum zu einem ausführlichen Eingehen auf den reichen
Stoff nicht genügen, fondern Ref. wird fich befchränken
müffen, auf die wichtigften Punkte diefes Briefwechfels
nur hinzuweifen.

Die Correfpondenz, für welche das reiche Marburger
Archiv das hauptfächlichfte Material darbot, während
andere Archive und Bibliotheken (Weimar, Strafsburg,
Zürich) nur in mäfsigem Umfange heranzuziehen waren,
beginnt im Jahre 1529 anläfslich des Verfuchs des Landgrafen
, eine Vereinigung zwifchen Luther und Zwingli zu
Stande zubringen, und erftreckt fich bis zum Jahre 1547, bis

zum unglücklichen Ausgang des Schmalkaldifchen Krieges.
Es find in Allem 253 Stücke, die fich freilich auf die
einzelnen Jahre fehr ungleich vertheilen. Bis zum Jahre
1535 weift die Correfpondenz nur wenige Briefe auf, 13,
wozu noch nachträglich ein Brief im Anhang zu Bd. 2
kommt; von da bis zum Auguft 1538 ruht der Briefwechfel
völlig (dafs wir hier eine wirkliche Paufe, nicht
etwa blofs eine Lücke durch für uns verlorene Briefe annehmen
müffen, weift Lenz I, S. V mit Evidenz nach ;
von diefem Zeitpunkt an tritt erft eine regelmäfsige
Correfpondenz ein, die fich in wichtigen Momenten zu
einer faft wöchentlichen, ja manchmal zu einer noch
häufigeren fteigert. Aber nicht blofs das, fondern fie wird
auch mit der Zeit zu einer immer intimeren und vertraulicheren
. Bucer ift keineswegs ein Correfpondent Philipp's
in dem Sinne, wie fie fich die Fürften damaliger Zeit an ver-
fchiedenen Orten hielten, die ihnen fog. Neue Zeitungen
zu berichten hatten: das Erträgnifs unteres Briefwechfels
für folche Neuigkeiten mehr oder minder wichtigen Wer-
thes ift nur ein verhältnifsmäfsig geringes; fondern Bucer
ift oder wird vielmehr je länger je mehr der vertraute
Rathgeber des Fürften, der ihm von feinen Plänen und
Abfichten kaum noch etwas zurückhält, fondern das
Wichtigfte und Geheimftc rückhaltslos eröffnet, weil er
bei Bucer dafür Verftändnifs und für feine Pläne manchen
klugen Rath findet, der, wenn auch nicht immer
mafsgebend für das Handeln des Landgrafen geworden,
doch feiten einflufslos auf daffelbe geblieben ilt. Umgekehrt
verfolgt Bucer mit Aufmerkfamkeit die politifche
Gefammt-Situation und bringt auch unaufgefordert dem
Landgrafen manchen Rathfchlag entgegen. Dabei tritt
aber bei Bucer hinter dem Diplomaten nie, oder nur mit
einer einzigen Ausnahme, der evangelifche Chrift zurück.
Wie die evangelifche Lehre ftets der Mafsftab ift, den er
an alle Entwürfe anlegt, fo ift die Stärkung und Befefti-
gung der evangelifchen Kirche das Ziel, das ihm vor-
fchwebt und das nie feinen Blicken entfehwindet. Lenz
ftellt daher das Verhältnifs zwifchen beiden vollkommen
richtig mit den Worten dar (I, S. VI f.): ,Bucer widmete
dem Landgrafen feine Dienfte, aber er war nicht fein
Diener. Sein Dienft galt der Kirche, ,,dem Reiche Chrifti
in deutfeher Nation", fein Intereffe war die Reformation,
in der Kirche und im Reich: die proteftantifche Politik.
Er diente dem Fürften, weil er diefe Principien gefördert
fah und fördern wollte . . . Ebenfo beruht auch bei dem
| Landgrafen das Vertrauen, das er Bucer entgegenträgt, auf
der Gemeinfamkcit diefer Ideen. Er unterwirft fich nicht
immer den Forderungen, welche der Reformator aus ihnen
herleitet, nur zu oft treiben ihn Egoismus, Unbefonnen-
heit und Leidenfchaft abfeits, aber er erkennt an, dafs er
ihnen verpflichtet, dafs es fein Amt fei, die Kirche recht
zu reformiren und die Freiheit deutfeher Nation zu erhalten
. Indem er den Rath Bucer's einholt oder zurückweift
, fowie eigene Entfchlüffe vor ihm zu rechtfertigen
und zu entfchuldigen fucht, wägt er die Gründe für
und wider doch immer nach diefen allgemeinen Grund-
fätzen ab'.

Bei der bedeutenden Stellung, welche der Landgraf
feinem Landbefitz nach als der zweite, feinen Geiltes-
fähigkeiten und feinem politifchen Scharfblick nach als
der erfte unter den proteftantifchen F"ürften einnahm,
einerfeits, und bei diefem unbegrenzten Vertrauen, das
er zu Bucer hegte, andererfeits, ift es von vornherein
klar, dafs diefer Briefwechfel eine Fülle des intereffan-
teften Stoffes darbietet: kein wichtiges Ereignifs, fei es
kirchlicher oder politifcher, fei es perfönlicher Natur,
tritt in jenen Jahren auf, das uns nicht vorgeführt wird,
deffen Entwicklung wir nicht mitdurchleben, und bei dem
der Briefwechfel uns oft auch hinter die Couliffen fehen läfst
und die geheimen Fäden uns zeigt, an denen es geleitet
wurde. In politifcher Beziehung find es befonders die
Stellung der dem Schmalkaldifchen Bunde angehörigen
Stände untereinander und zu dem Kaifer und den katho-