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Ausgabe:

1889

Spalte:

499-501

Autor/Hrsg.:

Kolde, Theodor

Titel/Untertitel:

Martin Luther. Eine Biographie. 2. Bd. I. Hälfte 1889

Rezensent:

Bossert, Gustav

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499

Theologifche Literaturzeitung. 18S9. Nr. 20.

500

S. 139—148, 2) die Gnofis der Apoftel S. 148—188, wobei
die Lehre derfelben abgehandelt wird nach den Ge-
fichtspunkten, welche bereits beim A. T. zur Verwendung
kamen, als Lehre von Gott und vom Menfchen und als
Lehre vom Heil in Chrifto. — Wir haben mit unferen
abweichenden Anfchauungen nicht zurückgehalten, geriehen
aber, dafs wir trotzdem das Buch zu unterer Belehrung
und an vielen Stellen mit Genufs und Erhebung
gelefen haben. Zu S. 103 fei übrigens bemerkt, dafs
Ex. 28,36 nicht rtjrT? tnp fondern flirrt 'p fteht.

Jena. C. Siegfried.

Kol de, Prof. Dr. Thdr., Martin Luther. Eine Biographie.
2. Bd. 1. Hälfte. Gotha, F. A. Perthes, 1889. (236 S.
gr. 8.) M. 4. -

Mit der neuen Lieferung ift das fchöne Werk von
Kolde nur um ein Capitel weiter gekommen, als Köhlin
mit dem erften Band feines grofsen Werkes. Man wird
darum kaum hoffen dürfen, dafs Kolde feine Lutherbiographie
im zweiten Band abfchliefsen kann. Es ift auch
kein Schaden, wenn er noch einen dritten Band in
Anfpruch nehmen mufs. Denn Kolde macht Ernft mit
dem, was der erfte Band verfprochen, ,Luthers Leben
in die Gefammtentwicklung feines Volkes hineinzuzeichnen
und nicht nur die kirchlichen und religiöfen Beftrebungen,
fondern auch die zeitgefchichtlichen politifchen, focialen
und wiffenfchaftlichen Factoren ausgiebig zu berück-
fichtigen', welche die Entwicklung des Reformators be-
einflufst haben. Gerade die vorliegende Lieferung beweift
den Ernft, mit dem Kolde die Aufgabe zu löfen
fucht, die er fich geftellt. Ift es doch die gährungsvollfte j
Zeit, in die wir Luther hinein begleiten. Jetzt flehen wir ]
vor der Frage: Kann fich die Kirche neu gehalten,
während allenthalben die alte Kirche mit ihren Ordnungen
Boden verliert und nur noch über wenige, der Geiftes-
kraft der Reformatoren nicht ebenbürtige Vertheidiger
verfügt und andererfeits ein ganzer Abgrund von phan-
taftifcher Schwarmgeifterei fich aufthutr Und wiederum
fteigt die fociale Noth, das Ergebnifs der wirthfchaft-
lichen Entwicklung des Mittelalters bis zum höchften
Gipfel. Die früheren Entladungen des Vulkans, auf dem
das deutfche Volk am Ausgang des Mittelalters ftand,
find dem furchtbaren Ausbruch im grofsen Bauernkrieg
nicht zu vergleichen. Das ,Evangelium' foll der Bewegung
die Berechtigung und das Ziel geben nach der
Meinung ihrer Führer. Wie hellt fich Luther dazu, und
welche Folgen hat feine ablehnende Stellung für die
Reformation? Es liegt eine ergreifende Gewalt in den
Worten Kolde's, mit denen er das Capitel vom Bauernkrieg
fchliefst: ,Er ftand wieder einmal allein, furchtbar allein.
Und gerade jetzt glaubte er einen Schritt thun zu follen,
der feinen Namen noch mehr als früher bei vielen verhafst
machen mufste: er verheirathete fich'. Das eine Beifpiel
mag genügen, um zu zeigen, wie Kolde das Intereffe für
Luther's Entwicklung hets neu zu feffeln und fehzuhalten
verheht. Habe ich in der Anzeige des erhen Bandes
(Theol. Lit.-Zeitung 1885, Nr. 5. Sp. 113 ff.) neben der inneren
Wärme die präcife, durchfichtige und knappe Darheilung
anerkennen dürfen, fo gelten diefe Vorzüge auch
dem vorliegenden Theil des Werkes. Man vergleiche die
Darheilung von Luther's Aufenthalt auf der Wartburg, die
Wittenberger Wirren und befonders Luther's Verhältnifs
zu den öffentlichen Gewalten. Genau werden die Zeit-
ereigniffe in ihrem Zufammenhang mit Luther's Leben
und Wirken beleuchtet. Vgl. z. B. die Wirkung von
Luther's UrtheilüberdieMonopolwirthfchaft auf diegrofsen
Kaufhäufer und ihre Stellung zur kirchlichen Frage (S.
120). Die Schwierigkeiten des Fortfehrittes von der
Prieherehe zur Mönchsehe werden dem Lefer mit einem
Schlag klar. Die neuerdings fehr hoch gefchraubte
Meinung von der Bedeutung der vorlutherifchen Bibel

für die Vorbereitung der Reformation und in ihrem Verhältnifs
zur Lutherbibel wird fehr hark ermäfsigt (S. 31).
Neben dem monumentalen Denkmal, das Kolde Luther
fetzt, erhalten auch die Nebenfiguren wie Karlhadt, Zwilling
, Hausmann, Stiefel, J. Straufs etc. ihr fcharf ausgeprägtes
Medaillonbild. Es genügen Kolde wenige
Striche, um z. B. den ganzen Karlhadt, wie er leibte und
lebte, vor den Lefer treten zu laffen: ,Eine wunderliche,
unharmonifche Natur, mit der Neigung, immer den zweiten
Schritt vor dem erhen zu thun, warf er in fich felbh über-
hürzender Hah feine neuen Ideen in die Menge' (S. 14).

Im Nachfolgenden feien mir einige Bemerkungen
gehattet, um einige kleine lapsus calami zu berichtigen
oder einzelne Punkte in Kolde's Darhellung näher zu be-
himmen. S. 86 tritt Stiefel mit dem Vornamen Matthias
auf, S. 232 ih der richtige Name Michael gegeben. Der
bekannte Volksfchriftheller heifst nicht Eberlein, fondern
Eberlin (S. 87). Jener Alber, an den Zwingli den Brief
über das Abendmahl fchrieb, ih nicht Erasmus, der vielgewanderte
Mann, fondern Matthäus Alber von Reutlingen
(S. 158). Jene tapfere Frau Argula (S. 198 lies die
muthige hatt der muthigen) nennt Medicus in feiner Ge-
fchichte der evang. Kirche Bayerns gewifs mit Recht von
Stauf, wie man jetzt in Bayern den Ortsnamen fpricht,
den die Schwaben Staufen nennen. Damit man nicht an
ein fchwäbifches Gefchlecht denkt, fondern erkennt, man
hat es mit einer bayerifchen Familie zu thun, ih die
Form Stauf vorzuziehen. Den Dichter Speratus wird man
nicht mehr als Paulus von Spretten bezeichnen dürfen.
Ein Gefchlecht von Spretten hat es nie gegeben, und
ein Spreter von Rottweil ih Speratus auch nicht gewefen.
Ich darf hier auf meine Abhandlung ,Paul Speratus, feine
Herkunft und fein Familienname' (Blätter für württb.
Kirchengefchichte 1886, 29 ff.) verweifen. Ich habe dort
den kleinen Weiler Röthlen bei Ellwangen als feine Heimath
und als wahrfcheinlichen Familiennamen Hoffer
nachgewiefen. Leider hat Hermes in dem Auszug, den
er kürzlich in Beyfchlag's deutfch-evangel. Blättern gab,
den Namen Röthlen im Handumdrehen in Röthlingen verwandelt
, was nur zu leicht als Druckfehler für Röhlingen
OA. Ellwangen angefehen werden und fo zu einer neuen
Sagenbildung Anlafs geben könnte, wie Speratus für
Melch. Adami der Anlafs war, ihn für einen Spreter zu
erklären.

Ungerne vermiffe ich unter den Laienpredigern S. 87
den Johann Murer von Freiburg, der als Karhhans in Strafsburg
, Bafel und Vorderöherreich wirkte. Seine Angabe,
dafs er fich mit 24 Anderen verbunden, das Evangelium
als Wanderprediger unter Todesgefahr zu verkündigen,
fcheint einer weiteren Unterfuchung werth zu fein. S. 118
lies Fronleichnam hatt Frohnl. Wenn Kolde S. 131 fagt:
Männer wie Jakob Straufs, Brunfels, Stiefel und Mantel
verwirrten mit ihrer überftürzenden Predigt die Köpfe,
fo dürfte jedenfalls Mantel, diefer gereifte Mann, nicht in
die Gefellfchaft eines Jakob Straufs, diefes ehrgeizigen,
unruhigen Kopfes gehören. Was ihm die öherreichifche
Regierung Schuld gab, ih noch gar nicht bewiefen. Be-
himmt hat er alle Gemeinfchaft mit den unruhigen Bauern
abgewiefen. Ebenfo zweifelhaft fcheint mir der Satz:
Nicht ohne das Zuthun niederer Geihlicher, die fich

| den Bauern angefchloffen, kam es' zur Formulirung von
zwölf Artikeln. Hier könnte doch nur Schappeler in

; Betracht kommen. Von anderen Geihlichen, die dabei

betheiligt gewefen fein könnten, ih fchlechterdings nichts
bekannt. Schappeler aber hat behimmt die Autorfchaft
der zwölf Artikel zu einer Zeit, als fie ihm keine Gefahr
mehr bringen konnten, abgeleugnet. In den Blättern für
württb. Kirchengefchichte habe ich auch genau nachzu-
weifen gefucht, aus welcher trüben Quelle die Befchul-

: digung gegen Schappeler hammt T887, S. 75). Dort habe
ich den Beweis zu erbringen gefucht, dafs Sebahian

' Lotzer, der Laienprediger und Bauernkanzler, nicht nur
Antheil an der Abfaffung der zwölf Artikel gehabt, wie