Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1889 Nr. 19

Spalte:

488

Autor/Hrsg.:

Eisele, Eug.

Titel/Untertitel:

Die zehn Gebote nach den Jesuiten (und anderen Kasuisten) 1889

Rezensent:

Fay, Friedrich Rudolf

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

487 Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 19. 488

meint damit die traditionellen dogmatifchen Formeln.
Er verfolgt mit feiner Dogmatik die Tendenz, die ältere,
noch nicht fcholaftifch gewordene Orthodoxie als Ganzes
foviel wie möglich mit Hülfe des nachempfindenden
fubjectiven religiöfenBewufstfeins wiederherzuftellen, ohne
fich auf eine durch die Erkenntnifs ihrer gefchichtlichen
Genefis und durch die reformatorifche Heilserkenntnifs
erforderte Umbildung einzulaffen. Er möchte gern den
hiftorifchen Bekenntnifsen nicht nur die Bedeutung einer
Quelle beftändiger Kraft und Tüchtigkeit bewahren und
hat darum 1846 die Schaffung einer neuen Bekenntnifs-
formel durch die Generalfynode als die fchmerzlichfte j
Calamität, welche die evangelifche Kirche feit 100 Jahren
betroffen hätte, beurtheilt, fondern ihnen auch eine
ftrengere Geltung verfchaffen, vermöge deren fie zur;
rafchen Ausfcheidung der Neuerer dienen können. Wiederholt
fpricht er Schleiermacher gegenüber aus, dafs
er viel lieber mit den Katholiken in einer. Kirchenge-
meinfchaft leben möge als mit den Rationaliften, und
beklagt das Auftreten von Hengftenberg und Genoffen
befonders deswegen, weil er beforgt, dafs dadurch
Schleiermacher, Ullmann u. A. zu einer freundlicheren
Stellung gegen die Rationaliften getrieben werden könnten.
Es und diefe Stimmungen ja pfychologifch begreiflich
fowohl aus dem an fich berechtigten Rückfchlag gegen
den Rationalismus, wie aus gewiffen Mängeln, die Schleier-
macher's epochemachenden Entdeckungen von der Bedeutung
des Gefühls und der gefchichtlichen Gemeinfchaft in
der Religion anhafteten — ich denke an die äffhetifche
Freude an der ausgeprägten gefchichtlichen Befonderheit
als folcher, an die Anficht von dem hiftorifchen Charakter j
der Glaubenslehre und an die Auffaffung von der religiöfen
Erkenntnifs als dem nachträglichen Reflex des unmittelbaren
Gefühls im objectiven Bewufstfein, eine Auffaffung,
die die Grenzen Zwilchen der wirklichen Heilserkenntnifs |
und zwifchen Theologumenen verwifcht, die, obwohl nicht
Ausdruck der letzteren, doch von irgend einer Seite mit
religiöfen Gefühlen in Verbindung gefetzt werden können.
Aber diefe Stimmungen machen es auch begreiflich, dafs
ihre Mäfsigung durch Aufrichtigkeit, Befonnenheit, Gerechtigkeit
, Wahrheitsliebe, Sinn für wiffenfchaftliche
Freiheit, Tweften und die andern ehrenwerthen Männer,
deren Typus er ift, nicht zum Siege über die .Ganzen'
befähigt hat, dafs die Mehrzahl ihrer Schüler vielmehr
in das Lager der letzteren übergegangen ift.

Der Achtung vor der lauteren Perfönlichkeit und j
auch vor dem gefchichtlichen Werth der Wirkfamkeit |
Tweften's thut der Eindruck, dem ich Ausdruck gegeben, I
um fo weniger Eintrag, als der gefchichtlichen Entwicke-
lung gegenüber Geduld am Platze ift und als vielleicht
der Reftaurationsverfuch fich ausleben mufste, um durch
fein Scheitern der Regeneration Bahn zu machen.

Giefsen. J. Gottfchick.

Nippold, Prof. Dr. Friedr., Die vertrauten Briefe des Erz-
bischofs Spiegel von Köln. Barmen, Klein, 1889. (112
S. 12.) M. 1.20.

Vom 20. Mai 1825 bis zum 2. Auguft 1835 hat der
edle Graf Ferdinand Auguft von Spiegel zum Defenberg
an der Spitze des Erzbisthums Köln geftanden und in
mildem, wahrhaft verföhnlichem Geifte fein hohes kirchliches
Amt bekleidet. Dem Staate gegenüber wohlwollend
gefinnt, fand der treffliche Mann nicht nur nicht die
Unterltützung, die er mit vollftem Rechte erwarten
durfte, fondern es wurde ihm im Berliner Cultusmi-
nifterium geradezu entgegen gearbeitet. ,Der Cultusmi-
nifter von Altenltein, perfönlich vom beften Willen be-
feelt, war durch anhaltende Kränklichkeit unfähig, die
nöthige Controle zu üben. In den katholifchen Angelegenheiten
liefs er feinem vortragenden Rathe Schmed-
ding freie Hand. Die Folge davon für das Erzbisthum

Köln fpeciell war, dafs alle von dort kommenden Gefuche
durch diefen alten Feind des Erzbifchofs entweder durchkreuzt
oder wenigftens auf die lange Bank gefchoben
wurden' (S. 34). In diefes höchft unerquickliche Treiben
gewähren die vertrauten Briefe einen fchmerzlichen, aber
fehr lehrreichen Einblick. Sie find, wie uns die von anderer
Hand gefchriebene, intereflänte Einleitung (S. I bis
30} benachrichtigt, zuerft im Jahre 1883 von Nippold im
.Deutfchen Merkur' in München veröffentlicht worden.
Dafs fie jetzt ,aus der vorübergehenden Form einer Zeit-
fchrift' losgelöft und .felbftändig' herausgegeben worden
find, können wir nur mit Dank annehmen, da fie über
die Vorgefchichte der Kölner Wirren manchen werthvollen
Auffchlufs enthalten.

Krefeld. F. R. Fay.

Eisele, Pfr. Lug., Die zehn Gebote nach den Jesuiten (und
anderen Kasuisten). Halle, Strien, 1889. (58 S. gr. 8.)

M. —. 80.

Seiner vortrefflichen, im vorigen Jahrgang diefes Blattes
(1888, Nr. 21) von uns befprochenen Studie über Jefuitis-
mus und Katholizismus' läfst Eifele diefes kleinere Büchlein
folgen, das wir jedem evangelifchen Geiftlichen, der
fleh über die Moral der Jefuiten orientiren will, ohne Zeit
zu haben, gröfsere Werke zu ftudiren, beftens empfehlen.
Der Stoff ift klar und überfichtlich geordnet und beruht,
wie man das bei dem verehrten Verf. gewöhnt ift, auf
forgfältigem Quellenftudium. Die älteren Moraliften des
Ordens, wie z. B. Bufenbaum. Diana, Escobar, Filliucius,
Sa, Mariana u. A. find fänimtlich benutzt. Vermifst
haben wir nur Hurtado, von welchem der bekannte Aus-
fpruch herrührt: .Media honestantur a fine'. Von neueren
fehlt Lehmkuhl, den Eifele, wie er uns fchreibt, nicht
mehr berückfichtigen konnte, Gury hingegen, deffen Com-
pendium theologiae moralis von den ultramontanen Theologen
fo hoch gefchätzt wird, findet überall die ihm an-
gemeffene Berückflchtigung. Die Lehre vom Tyrannenmorde
hält Gury für ,improbabel und falfch', doch als
echter Cafuift nur temporum rationc Iiabita (S. 33)! Aufser
Mariana haben .Escobar, Delrio, Beccanus, Valentia,
Bonartius, Salas, Comitolus u. f. w.' den Königsmord
gelehrt. ,Und das Brockhaus'fche Converfationslexikon,
d. h. fein jefuitenfreundlicher Mitarbeiter fetzt die Behauptung
in die Welt: Mariana fei der einzige Jefuit, der
etwas wie Tyrannenmorcl lehre!! So finden die „fchwarzen
Jacobiner" immer wieder ihre Vertheidiger' (S. 32). Wir
fügen hinzu: So laffen fleh unfere proteftantifchen Verleger
immer wieder von den Jefuiten und ihren Helfershelfern
hinter das Licht führen!

Krefeld. F. R. Fay.

Herrmann, Prof. Dr. W., Die Gewissheit des Glaubens und
die Freiheit der Theologie. 2. neu bearb. Aufl. Freiburg
i. Br., Mohr, 1889. (IV, 71 S. gr. 8.) M. 1. 20.

Leider konnte Herrmann in diefer zweiten neu bearbeiteten
Auflage feiner Schrift nicht an den Auffatz
anknüpfen, welchen Luthardt als Erwiderung auf die
erfte Auflage in der Zeitfchrift für kirchliche Wiffen-
fchaft und kirchliches Leben (1887. IV, 197 — 207) veröffentlicht
hatte. War doch L. in keine grundfätzliche
Erörterung des Problems eingetreten, fo dafs H. nur
an wenigen Stellen fleh veranlafst fah, auf L.'s Entgegnung
kurz einzugehen. Während Luthardt in jenem
,Der Scholaftiker Luther' betitelten Auffatz erklärt hatte,

dafs er fleh feinen Luther nicht halbiren laffe, dabei
aber thatfächlich wie fein Gegner in der Theologie des
Reformators zwifchen bleibenden und vergänglichen

; Elementen unterfcheidet, bringt H. diefe Unterfcheidung
zu einem klaren principiellen Ausdruck: ,Ich bin der