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Ausgabe:

1889 Nr. 18

Spalte:

460-461

Autor/Hrsg.:

Dibelius, Franz

Titel/Untertitel:

Beiträge zur sächsischen Kirchengeschichte. 4. Heft 1889

Rezensent:

Bornemann, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 18.

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gezeigt zu werden, und ift alfo dicht vor dem Jahre 754
verfertigt worden' (S. 143). Die andere find die Jahre,
als unter Paul I. fich eine ähnliche Situation wiederholte,
als die Furcht vor Defiderius grofs war und man gleichzeitig
von Byzanz Schlimmes erwartete, d. h. die Jahre
vor 766 (vgl. die Bemerkungen Scheffer-Boichorft's
S. 319). Die erftere Zeitbeftimmung ift die beliebtere;
fie liegt auch am Nächften zur Hand. Aber gegen fie
wird immer der Einwand in Kraft bleiben, dafs die
Sprache des C. weit mehr auf das Jahrzehnt Paul's I. hinweift
und dafs die Berührungen mit Stephan's Documenten
häufiger fein müfsten. Und wenn Janus' geneigt ift, die
Reitknechtsdienfte Pipin's als Befolgung des Vorbildes
im C. zu erklären, fo kann das Verhältnifs ebenfo gut
ein umgekehrtes gewefen fein. Mir ift das fogar wahr-
fcheinlicher. Wie der Fälfcher dazu kommen follte,
ohne beftimmte gefchichtliche Veranlaffung eine derartige
Dienftleiftung zu erfinnen, ift kaum verftändlich; dafs
aber Pipin, auch ohne jenes Vorbild zu kennen, dem
Papft aus Ehrfurcht die Steigbügel hielt, ift recht wohl
möglich. Doch find folche Erwähnungen ftets zwei-
fchneidig. Auch wird, wie bekannnt, die ganze Gefchichte
von fränkifcher Seite beftritten.

Ich möchte darum der anderen Beftimmung den
Vorzug geben. Wir kommen damit in die Zeitnähe der
Briefe Paul's bei Manfi XII, 619. 604. 613. 601. 643 Qaffe
IV, 108. 124. 129. 145. 134). Es find diejenigen, welche
neben der Vita Stephani und dem Constitutum Paul's betreffend
das Klofter S. Stephanus und Silvefter (Manfi
XII, 644fr.) befonders weitgehende Verwandtfchaft mit
dem C. im Stil aufzuweiten haben. Zu beachten ift ferner,
dafs der Brief über die Rückfchenkung des Klofters vom
h. Silvefter (Manfi XII, 597. Jaffe IV, 140), welcher die
bekannten Anklänge an Legende und C. enthält, zeitlich
gleich auf die genannten Briefe folgt. Es ift die Zeit,
wo fich Gerüchte bildeten, der in Krieg verwickelte Pipin
werde dem Papft feinen ftarken Arm gegen die Langobarden
nicht mehr leihen; wo erneuerte Verhandlungen
zwifchen Rom und Konftantinopel fowohl wegen der
Bilderftreitigkeiten, als auch wegen der Unterwerfung
des Exarchats unter K. ftattfanden. Da mag der
deutliche Hinweis darauf, dafs ein römifcher Kaifer,
noch dazu diefer Kaifer die Frage bereits erledigt,
dafs er fogar feine Refidenz nach dem Offen verlegt
habe, um die Kreife des Papftcs nicht zu ftören, recht
am Platze gewefen fein. Ich meine, das C. hat doch
eine greifbare Spitze gegen Konftantinopel, und die ver-
ftehe ich am Bellen in diefer Zeit. Man fagt, Paul I.
preife den Frankenkönig wohl als neuen Mofes und David,
nie als Konftantin (Langen, a. a. O. S. 420 Anm.).
Aber in diefem Zufammenhang mufste Pipin der Kaifer
Konftantin doch viel mehr imponiren als alle Heiligen
der Bibel und Kirche zufammengenommen. Vielleicht
erklärt fich, entfprechend dem, was Scheffer-Boichorft
S. 311 ausgeführt hat, manche fcheinbare Singularität
in der Invocation und dem Glaubensbekenntnifs des C.
gerade aus den um die von mir angenommene Zeit fehr
brennenden Verhandlungen über die Bilderftreitigkeiten
(Synode von Gentilly). Was aber die angeblichen Verleihungen
Konftantin's anbetrifft, fo hat wiederum Sch.-B.
hervorgehoben, dafs man in der ganzen Papftgefchichte
diefer Zeit nirgendwo Raum findet für fo ungeheuerliche
Anfprüche. Es verhält fich damit fchliefslich auch nicht
viel anders, als wenn eine Regierung das Doppelte von
dem fordert, was fie zu bekommen ficher ift.

Friedrich hat fehr nachdrücklich auf eine Stelle
aus einem der obengenannten Briefe Paul's (Manfi XII,
614 f.) aufmerkfam gemacht, wo der Papft von divina
verba et apostolica documenta redet, die auf Pipin viel mehr
Einflufs hätten, als jegliche andere suasionis fabulatio
(gemeint find die Anfprüche der Byzantiner). Der An-
fpruch der Päpfte gründet fich nach ihm einerfeits auf
göttliche Worte — es ift die Bibelftelle über Petrus Matth.

16,18. 19 gemeint — andererfeits auf apoftolifche, d. h.
päpftliche oder von den Päpften vorgelegte Documente,
in welchen ins et potestas des h. Petrus (fo fagt auch
das Constitutum) enthalten find. Ich wüfste aber kein
anderes von den Päpften vorzulegendes Document zu
nennen, welches die Herrfchaft derfelben über Rom
und feinen Ducat fowie das Exarchat, um die es fich
handelte, enthielte, als die Konftantinifche Schenkung.
Und P. Paul I. hat auch in der That diefe im Auge, da
aus dem (nach Fr.) jüngeren Theile derfelben fogar feine
Worte entlehnt find (folgt das entfprechende Citat aus
^ 17)'. Ich möchte diefe Worte unterfchreiben; nur
braucht man nicht zuzugeben, dafs der Papft fich hier
auf ein fchon vor längerer Zeit unter der Regierung
feines Bruders abgefafstes Document bezieht, fondern
darf entfprechend dem oben Ausgeführten annehmen,
dafs er von der Konftantinifchen Schenkung als einer erft
vor Kurzem Pipin zur Kenntnifs gelangten Urkunde redet.
Uebrigens entnehme ich Friedrich, S. 166 Anm., dafs
bereits de Marca (de Concord. sacerd et imper. II, 94ff.
Bamberg 1788) zu der von mir angenommenen Zeit das
C. abgefafst fein läfst, und zwar auf Befehl Paul's I. und
unter Zuftimmung Pipin's durch den päpftlichen Ge-
fandten Subdiakon Johannes (über ihn vgl. Manfi XII,
602. 605) am pipinifchen Hofe gegen die Griechen.
Alfo auch bei ihm die Spitze gegen die Griechen! Das
Einverftändnifs Pipin's dagegen will mir fehr unwahr-
fcheinlich vorkommen, obwohl es das Räthfel löfen würde,
wie man fich in den mafsgebenden Kreifen am fränkifchen
Hof fo dupiren liefs. Aber Janus' fagt wohl richtig: ,Es
waren damals Tage der Finfternifs im Frankenreiche,
und bei dem voliftändigen Erlöfchen aller Studien gab
es auch nicht einen Mann in Pipin's Umgebung, deffen
Schartblick die römifchen Agenten zu fcheuen gehabt
hätten' (S. 146).

Ich faffe das Gefagte zufammen: 1) die fogenanntc
Konftantinifche Schenkung ift das Werk eines Fälfchers.
Friedrich's Verfuch, die Fälfchung zu zertheilen und fie
zwei Fälfchern verfchiedener Jahrhunderte zuzuweifen,
mufs als ganz verfehlt betrachtet werden; 2) fie ift zu
Rom entftanden (vgl. Brunner's diplomatifche Nachweife
), und zwar führen fprachliche Vergleichungen mit
Sicherheit in die Zeit Stephan's II. und Paul's I., mit hoher
Wahrfcheinlichkeit in die Zeit des letztgenannten Papftes (fo
auchScheffer-Boichorft); 3) auf Grund der fprachlichen
Vergleichungen und unter Heranziehung der politifchen
und kirchlichen Zeitfragen ift die Zeit kurz vor 766 als
die der Abfaffung der ,Schenkung' anzufehen.

Giefsen. G. Krüger.

Beiträge zur sächsischen Kirchengeschichte, hrsg. im Auftrage
der ,Gefellfchaft für fächfifche Kirchengefchichte' von
Konfift.-R. Superint. Dr. Frz. Dibelius und Geh.
Kirchenr. Prof. Dr. Ghard. Lechler. 4. Hft. Leipzig,
Barth, 1888. (III, 234 S. gr.'S.) M. 4. —

In diefem vierten Heft der,Beiträge zur fächf. Kirchengefchichte
' (vgl. Jahrgang 1883 d. Bl. Sp. 131) veröffentlicht
Dibelius einen Auffatz ,zur Gefchichte und Cha-
rakteriftik Nicolaus Selneckers', in welchem er — ab-
gefehen von einer allgemeineren Betrachtung über die
Stellung diefes irenifchen Lutheraners — befonders aus
der Zeit, da S. Hofprediger in Dresden war, allerhand
bedeutfame Züge, z. B. den charakteriftifchen Verlauf
eines Conflicts zwifchen den Dresdener Predigern und
dem Hof, berichtet. Eine geiftreiche, aber doch etwas
gebuchte Analyfe und Conftruction des Selnecker'fchen
Liedes ,Lafs mich dein fein und bleiben' aus den ge-
fchichtlichen Verhältnifsen um 1570 befchliefst den angenehm
lesbaren und rhetorifch wirkfamen Auffatz.
Dibelius' Urtheil über Selnecker's Charakter ift weit gün-
ftiger als dasjenige, welches Wagenmann in feinem in-