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Ausgabe:

1889

Spalte:

441

Autor/Hrsg.:

Ritschl, Otto

Titel/Untertitel:

Das christliche Lebensideal in Luthers Auffassung 1889

Rezensent:

Haering, Theodor

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Seite 1

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44'

Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 17.

442

In einem fechsten Capitel fuhrt dann der Verf. aus, was
Freiheit heifst im Sinne des Apoftel Paulus: ,es giebt
im Evangelium keine andere in letzter Beziehung ent-
fcheidende Autorität als den heiligen Geift in feiner
perfönlichen Bekundung an den Einzelnen und in der
Gemeinde', nicht kirchliche oder ftaatliche Autorität,
nicht Bekenntnifszwang, nicht Schriftbuchftabenknecht-
fchaft. Das fiebente Capitel führt die Ueberfchrift: ,Ein
Blick ins Jenfeits' und behandelt die chriftliche Auf-
erftehungshoffnung, wie fie fich gründet auf die That- j
fache der Auferftehung Chrifti, welche jedoch nicht nach
den evangelifchen Berichten als eine fleifchliche zu denken, j
fondern nach Analogie von 1 Cor. 15 zu deuten ift.
Gleichfam als Anhang folgt dann noch eine Erörterung j
des Begriffes der Sünde, oder wie der Verf. fich aus I
drückt .des inneren Falles des Menfchen', in welcher die
kirchliche Lehre von der Erbfünde abgelehnt, aber die
Thatfache eines ausnahmslofen Widerfpruches zwifchen
Ideal und Wirklichkeit mit allem Nachdruck betont wird.—
Dafs in einer folchen Skizze nicht alle Fragen er-
fchöpfend behandelt werden können, liegt auf der Hand.
Referent möchte hinter viele Ausführungen ein Fragezeichen
fetzen. Wie das in Chriflo vorhandene neue
Gottesverhältnifs Anderen zu Theil wird, ift nicht gefagt.
Wie die grofse Maffe der thatfächlich noch Unmündigen
für den Standpunkt der chriftlichen Freiheit erzogen
werden folle, auch diefe Frage bleibt unbeantwortet.
Ebenfo kann Ref. mit manchen Ausführungen des letzten
Abfchnittes lieh nicht einverftanden erklären, da ihm
,die volle Uebereinftimmung der kindlichen Seele mit
Allem, was fein irdifches Leben (?) braucht und begehrt'
keineswegs fo zweifellos feftfteht. Aber trotz mancher
Bedenken im Einzelnen bekennt Ref. gerne, dafs ihn die
begeifterte Wärme, die rückhaltlofe Wahrhaftigkeit und
die bei aller Bekämpfung hergebrachter Anfchauungen
durchaus politive Tendenz der Ausführungen des Verf.'s
auf's wohlthuendfte berührt hat, und bezweifelt nicht,
dafs diefe auf engem Raum reichen Inhalt bietende
Schrift in den Kreifen der wiffenfchaftlich Gebildeten
Viele unbegründete Vorurtheile zu zerffreuen geeignet lif.

Nuffe. H. Lindenberg.

Ritschi, l'rivatdoz. Lic. Otto, Das christliche Lebensideal
in Luthers Auffassung. Vortrag. Halle, Niemeyer, 1889.
(42 S. 8.) M. —. 80.
Nach A. Ritfchl's Hinfeheiden erfcheint es wie ein
fchlichtes Denkmal der Pietät, das der Herr Verfaffer
feinem Andenken fetzt, wenn er den Grundgedanken
unferes Reformators, fo wie ihn der Vollendete erfafst
und begeiftert verkündigt, in Vortragsform dem weiteren
Kreis der Gebildeten nahebringt. Es gefchieht dies in
durchaus anfprechender Weife, überfichtlich, warm und
einfach, wie es die Sache fordert. Paffende Citate werden
dem, der nicht fonfther Luther felbft kennen lernen
kann, befonders erwünfeht fein. Theologen anderer Richtung
dürften fich von diefer Darftellung gerne überzeugen
laffen, dafs die Zurückftellung des eigentlich Religiöfen
keineswegs, wie man im Blick auf eine andere Darfteilung
desfelben Thema's oft hat fagen hören, zu dem
Wefen jener Auffaffung der Reformation gehört; das
neue Verhältnifs zu Gott als Grund des neuen Verhaltens
zu der fittlichen Gemeinfchaft wird fehr nachdrücklich
hervorgehoben, dementfprechend auch die
Unlösbarkeit des chrilthchen Lebensideals von der ge-
fchichtlichen Offenbarung. Die Widmung an den Genoffen
einer anderen Facultät deutet mit Recht an,
was wir Theologen bei Darfteilung folcher Gegenftände
wünfehen müffen.
Zürich. Th. Häring.

Kratz, Dr. Heinr., Katholik oder Protestant? eine Frage
des Gewiffens und der Gefchichte. .Material zur Beantwortung
derfelbcn. Hanau, Alberti, 1888. (III 41 S
gr. 8.) M. -. 75.

Der Verfaffer, gegenwärtig Rehgionslehrer am Gymna-
fium zu Neuwied, hat fich fchon früher durch ein gröfseres
wiffenfchaftlich gehaltenes Werk: ,Das Weltproblem und'
feine Löfung in der chriftlichen Weltanfchauung' dem
theologifchen Publicum bekannt gemacht. In dem vorliegenden
Schriftchen bietet er, indem er die Frage:
,Katholik oder Proteftant?' als ,eine Frage des Gewiffens
und der Gefchichte' aufhellt, .Material zur Beantwortung
derfelben' dar und zwar in fo knapper und gemeinver-
ftändlicher Weife, dafs wir das Büchlein in den pfänden aller
unferer gebildeten Gemeindcglieder, denen der Unter-
fchied zwifchen Katholicismus undProteftantismus oft noch
recht undeutlich zu fein pflegt, wiffen möchten. In zwei,
je fechs Capitel umfaffenden Abfchnitten wird zuerft das
religiöfe, dann das fittliche Leben behandelt und überall
darauf hingewiefen, wie der Katholicismus auf Unfreiheit
und Unfclbftändigkeit, der Proteftantismus auf Freiheit
und Selbftändigkeit feiner Bekenner hinarbeitet. ,Der
Katholicismus' heifst es in dem die gefundenen Ergebnifse
zufammenfaffenden Schlufscapitel ,ift nach dem Gefagten
die Religion der perfönlichen Gebundenheit, Unfelbftän-
digkeit, Unfreiheit, der Proteftantismus die der perfönlichen
PYeiheit, nicht der vollen Ungebundenheit, der
Willkür oder gar der Zügellofigkeit, aber der Freiheit'

(S. 30).

Krefeld. F. R. Fay.

Dennert, E., Parabeln nach der Natur. Dem Englifchen
nacherzählt. Wolfenbüttel, Zwifsler, 1888. (154 S. 12.)
M. 1. 80; geb. M. 2. 50.

Unfere unruhige und realiftifche Zeit hat kein Ohr,
den Stimmen Gottes in der Natur finnend zu laufchen,
das geheimnifsvollc Walten in der fichtbaren Schöpfung
auf ein höheres unfichtbares Reich zu deuten, oder fich
deuten zu laffen im Sinne des tiefreligiöfen Dichterwortes
,alles Vergängliche ift nur ein Gleichnifs'. Und doch, wer
es nur verfteht, das reiche und bewegte Stillleben der
Natur mit der Naivetät zu fchildern, mit der es ein
Ludwig Richter gemalt hat, und die ahnungsvollen
Stimmen der Natur zu deuten, in der Natur den Geift
und Gott zu fuchen, der wird auch in diefen Tagen
noch damit die Gemüther zu feffeln verliehen. Der
unbekannte englifche Autor der .Parabeln nach der
Natur', welche der Herausgeber diefer Schrift in freier
Weife reproducirt hat, fo dafs fie fich völlig lieft wie
ein deutfehes Original, hat es aufs Trefflichfte verftanden.
Welch grofses Gefchick die Engländer haben, die religiöfen
Gedanken an das natürliche Leben anzuknüpfen
und von diefem Gebiet auf jenes ungezwungen überzuleiten
, davon ift diefe Schrift ein neues Zeügnifs. Ref.
hat lange Nichts in diefem Genre gelefen, was ihn fo
gefeffelt hätte, als diefe .Parabeln', die im Spiegel der
Natur und der mannigfaltigften Scenen aus ihrem Leben
das Leben des Geiftes fich reflectiren laffen und auf den
tiefen Zug hindeuten, der durch die ganze Schöpfung
zu Gott und feinem Reiche hingeht. Die wunderbare
Poefie, von der das Schriftchen durchhaucht ift, die finnige
PTeude an allen Greaturen Gottes bis herab auf che
kleinfte, die lebensfrifche, naive Schilderung, der köftliche
Humor, der in den verfchiedenen Thieren die Typen
von Menfchen fieht, und über dem Allen der warme
Ton gefunden Glaubens, der ungefucht in der Natur
die Zeugnifse für eine höhere Welt lieft — dies Alles
macht diefe Schrift zu einer vorbildlichen für unfere
chriftliche Literatur. Wie prächtig ift z. B. in der erften
Parabel (,eine Gefchichte vom Glauben') das Gefpräch