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Ausgabe:

1889 Nr. 15

Spalte:

382-385

Titel/Untertitel:

Christliche Bedenken über modern christliches Wesen. Von einem Sorgenvollen 1889

Rezensent:

Köstlin, Heinrich Adolf

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381 Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 15. 382

punkt der kirchlichen Ürganifation, gefegt ift, das findet , den Schüler find klar, warm und nüchtern. Verf. fpricht
fich ähnlich auch bei Luther. Was aber gegen den Geift 1 felbfl aus, dafs er fich bemühe, immer weniger rhe-
der lutherifchen Kirche nicht nur, fondern der grofsen ! torifch und fchwülftig zu werden. — Es ifl natürlich nicht
evangelifchen Kirchen überhaupt geht, das ift die völlige J möglich, auf die 63 cssays, addresses and sermons mannig-
Verkennung der gefchichtlichen Entwickelung und ihres , faltigften Inhalts einzeln einzugehen. Wer wiffen will,

1 wie man in theologifchen Kreifen drüben in Amerika
über die erwähnten und andere Dinge denkt und redet,
dem fei das in guter, leicht verftändlicher Sprache und
fall überall intereffant gefchriebene Buch warm empfohlen.
Leipzig. Härtung.

Rechtes. ,Wer follte denn, heifst es einmal, das Recht
haben, etwa an die Stelle des Untertauchens die Be-
fprengung zu fetzen?' Die Einzelgemeinde darf es fich
TOch nicht anmafsen, aber irgend einen andern berechtigten
Träger kirchlicher Anfchauung giebt es nicht,
weder ein verfaffungsmäfsiges Organ, noch eine ehrwürdige
Tradition. Ausdrücklich wird die Inftanz, dafs etwas
in ein hohes Alter der nachapoftolifchen Zeit reiche, als
irgendwie werthvoll verworfen. Das ifl: überaus bezeichnend
. Diefe dernokratifche Anficht von der Kirche fcheint
frei zu machen, aber fie bindet, bindet an den Buch-
ftaben, über deffen Inhalt nicht, aber über deffen äufsere
Form ein gefunder gefchichtlicher Sinn im Vertrauen auf
Joh. 16, 13 hinauszugehen geftattet. In einer Beziehung
aber trägt diefelbe ein Gegenmittel gegen ihre kirchlich
auflötende Wirkung in fich felbfl, fofern nämlich die
Taufe, auf deren buchfläblich ftiftungsgemäfsen Vollzug
fo gedrungen wird, doch nur eine fymboüfche Handlung,
der finnbildliche Ausdruck der bereits vollzogenen
Wiedergeburt ifl. So wird der Grund, welcher für Luther
fo bedeutfam war, dafs nämlich die Thatfache der
Geiftesmittheilung in der Kirche aller Jahrhunderte die
Wirksamkeit und damit das Recht der diefelbe vermittelnden
Kindertaufe beweife, auf diefem Standpunkt hinfällig,
weil ja die Kräfte des h. Geifles fchon vor der Taufe
und unabhängig von derfelben thätig find. Die Frage
der Kindertaufe, erft fo wichtig genommen, wird damit
zu einer verhältnifsmäfsig gleichgültigen. So erklärt es
fich auch, dafs, während "die Baptiften in Deutfchland
unter dem Eindruck des Gegenfatzes und der Agitation
von der Landeskirche, wie von einem Babel, reden, die
grofsen baptiflifchen Gemeinden drüben, wo es eine
Volkskirche in unferem Sinn nicht giebt und wo fie darum
ein weit gröfseres relatives Recht haben, fich immer mehr
deffen, was uns mit ihnen eint, als deffen, was uns von
ihnen trennt, bewufst werden. Und dafür ift diefes Buch

Bedenken, christliche, über modern christliches Wesen. Von

einem Sorgenvollen. Gütersloh, Bertelsmann, 1888.
(148 S. gr. 8.) M. 1. 80; geb. M. 2. 50.

Ein ,Einfamer', der fich ,nicht blofs ganz gefchieden
weifs von den fogenannten chriftlich Freifinnigen', fondern
,auch mit der Mehrzahl der fogenannten Politiven in Vielem
nicht fo, wie er wünfeht, zu gehen vermag, am wenigften
gerade in dem, was für das moderne chriftliche Leben
eigentlich charakteriftifch ift', giebt in dem vorliegenden
Schriftchen den zahlreichen Bedenken Ausdruck, welche
das ,modern chriftliche Wefen' feinem an dem üriginal-
chriftenthum des neuen Teflaments gefchärften Gewiffen
bereitet. Unter dem .modern chrifllichen Wefen' verlieht
er das, ,was die Chriflen unferer Zeit, darunter auch echte
Chriflen, von fich aus Menfchliches theils hinzu*
thun zu dem Werke Chrifti felbfl, teils an die Stelle
von diefem fetzen'. Wogegen fein Gewiffen Bedenken
erhebt, das ift .theils die Vermifchung von Menfchlichem
und Göttlichem, Weltlichem und Himmlifchem, theils die
Erfetzung des Göttlichen durch Menfchliches', fowie die
Art, ,wie fo viele moderne Chriflen meinen, ihr Chriften-
thum in die Erfcheinung treten laffen zu müffen, und
die Ziele, für welche fie glauben wirken zu müffen'.

Mafsftab für die Beurtheilung des .modern chrifllichen
Wefens' und die Prüfung desfelben auf feine Echtheit
ifl das neue Teftament. .Alles, es fei noch fo gut
gemeint, und Höffe es aus engelgleicher Liebe und Weisheit
, und erwiefe fich darin der Eifer eines Elias, alles,
ein intereffanter Beweis. | was am Prüfftein des Neuen Teflaments geprüft nicht

Leipzig. Härtung.

Strong, Aug. Hopkins, Prof. D. D., Philosophy and Religion,

a series of addresses, essays and sermons designed to
set forth great truths in populär form. New York,
Armstrong and Son, 1888. (XV, 632 S. gr. 8.)

Was von der Dogmatik desVerf.'s gilt, das kann auch
von diefem noch umfangreicheren Werk desfelben gefagt
werden, welches 48 Effays und Vorträge nebfl 15 Ab-
fchiedsreden an die Schüler des Seminars zu Rochefter
enthält: es ift von tiefem fittlich chrifllichen Ernft getragen
, zeugt von umfaffender Bildung, und läfst hinter
dem allgemein chrifllichen das baptiftifche Element feiner
Ueberzeugung weit zurücktreten. Der Titel .Philofophie
und Religion' ift der des erflen Auffatzes, aber nur ein
Theil der folgenden behandelt diefes Thema. Sonft
werden auch rein theologifche Fragen, wie Infpiration,
Chriflologie von apologetifchem Standpunkt behandelt.
Praktifche Theologie, wie die Ausbildung der Geifllichen,
die Miffion, Zeitfragen, wie die Frauenfrage, in welcher
ein fehr gefunder Standpunkt eingenommen wird, die
Wiederverehelichung Gefchiedener, worüber fehr flreng
geurtheilt wird, Chriflenthum und Politik, befonders die
fociale Frage, auch gefchichtliche und literarifche Dinge
find der Gegenfland anderer Vorträge, wie die Kreuzzüge
, deren Einflufs auf Kirche und Staat dargeflellt
wird, Dante und deffen divina comedia. Auch Gedächtnifs-
reden, wie auf Präfident Garfield und einzelne Profef-
foren find beigefügt. Die Anfprachen an die fcheiden-

befleht, können Chriflen nicht als wahrhaft chriftlich anerkennen
'. Die Prüfung nach diefem Mafsftab aber kann
das modern chriftliche Wefen nach der Empfindung des
Verfaffers nicht beliehen. Das Ziel, welches die modern
chrifllichen Beftrebungen verfolgen, ift nicht oder doch
nicht in mafsgebender oder ausfchliefslicher Weife dasjenige
, welches der Entwicklung des Chriftenthums durch
das Neue Teftament, beziehungsweife durch den Herrn
felbfl gefleckt ifl; die Verrückung des Ziels bedingt fodann
eine gewiffe methodiftifch-manieriftifche, in ihrer noXvaaaf-
Hoavvn] der biblifchen Einfalt, Lauterkeit und Keufchheit
widerflrebende Betriebfamkeit in Forderung chrifllich-
kirchlicher Intereffen, weiter, was ja damit enge zufam-
menhängt, die unwillkürliche Herabftimmung der ethifchen
Forderungen des Chriftenthums, und endlich die Zurück-
ftellung der ethifchen Grundordnungen hinter das chriftlich
-kirchliche Parteiintereffe, die Ueberfchätzung der
chrifllichen Etiquette, der fWQipoatg rfjg etotjjtt'ug.

Unbiblifch ifl es, wenn das moderne Chriflenthum
darnach flrebt, ,eine Weltmacht, ja die Weltmacht' zu
werden; denn .Chrifti Reich will nicht von diefer Welt
fein und die Weltherrfchaft im jetzigen Aeon kann nur
etwas erlangen, was von diefer Welt ift'. Es zeigt fich
dies an den Confequenzen: denn zur Weltherrfchaft kann
das Chriflenthum nur kommen durch Eroberung der Maffen,
diefe aber kann nur gelingen durch Verweltlichung des
Chriftenthums, dadurch, dafs dasfelbe den Maffen mundgerecht
gemacht wird. ,Das Chriflenthum des neuen
Teflaments, das Bekenntnifs zu dem Sünderheiland, zu
dem, welcher gekommen, nicht Gerechte, nicht Sittliche,
fondern Ungerechte, Unfittliche zur Bufse zu rufen, die