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Ausgabe:

1889

Spalte:

378-379

Autor/Hrsg.:

Kähler, Martin

Titel/Untertitel:

Berechtigung und Zuversichtlichkeit des Bittgebetes 1889

Rezensent:

Kaftan, Julius

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So der Grundfatz: erft Adam, dann Chriftus. So fein
Verfuch, die ganze vorangehende Gefchichte als Vorbereitung
auf Chriftum zu deuten. Und vor Allem die
den gefammten Verlauf unter Juden und Heiden berück-
fichtigende Betrachtung in Rom. 9— 11. Aber läfst fich
diefe Erkenntnifs nun auch am Einzelnen durchführen?
Hiervon handelt das fünfte und letzte Capitel. Was
die Vielen betrifft, die ohne chriftliche Erkenntnifs, ja
ohne alle Berührung mit Chrifto dahinfterben, glaubt
Beyfchlag auf Gottes Liebe verweifen zu dürfen, die
auch diefen Allen in einem andern Leben den Weg der
Gnade öffnen werde, und meint, dafs auch Paulus nicht
feiten den Gedanken einer Befeligung Aller ftreife. Was
aber die vielen und fchweren Uebel betrifft, unter denen
der einzelne Chrift noch zu leiden hat, verweift der Verf.
auf Rom. 8, 28 und Rom. 8, 18, und führt uns in ein
rechtes Verftändnifs diefer paulinifchen Sätze ein. Dafs
wir von Herzen mitfprechen lernen, was der Apoftel
Rom. 5, 1 ff. fagt, erfcheint auch ihm als die Hauptfache. —
Darf ich ein Wort zur Beurtheilung hinzufügen, fo
weifs ich nicht recht, ob diejenigen, welche auf einen
Ausgleich zwifchen unferm Glauben und der wiffenfchaft-
lichen Erkenntnifs bedacht find, von Beyfchlag's Ausführungen
befriedigt fein werden. Um mit dem letzten
Capitel anzufangen, fo habe ich die zweite Hälfte desfelben
mit Erbauung und Zuftimmung gelefen. Auch gegen die
erfte Hälfte habe ich nichts einzuwenden, dergleichen ift
gewifs, in der hier mit Fleifs hervorgehobenen Ein-
fchränkung, berechtigt. Aber jenes ift doch nichts anderes
als Erkenntnifs des Glaubens, die Niemand fich persönlich
aneignen kann, ohne die Kraft dazu aus dem
Glauben zu fchöpfen. Und diefes möchte ich eine aus
dem Glauben gefchöpfte fromme Meinung nennen, auf
welche man individuell Werth legen kann, ohne fie
jemandem aufdrängen zu wollen. Etwas, was jenem Ausgleich
dient, fcheint mir weder in dem Einen, noch in
dem Andern zu liegen. Und ich würde meinen, dafs eine
kräftige Betonung deffen, wie eine folche Erkenntnifs
nur unter beftimmten perfönlichen Bedingungen zu Stande
kommen kann, den Eindruck der Betrachtung Gläubigen
wie Ungläubigen gegenüber nur verftärken könnte. Dafs
ferner der Glaube immer wieder den Verfuch machen
wird, fich die Wege Gottes in der Gefchichte zu deuten,
wie hier im vierten Capitel gefchieht, ift gewifs zweifellos.
Doch möchte ich auch da betont wiffen, dafs nur aus
dem Glauben der Muth erwachfen kann, diefe Deutungen
für reale Erkenntnifs zu halten. Und dem gegenüber
endlich, was in diefem Capitel wie in den beiden vorangehenden
zur Löfung der Aufgabe (eben jenes Ausgleichs)
gefagt wird, vermag ich mich eines doppelten Bedenkens
nicht ganz zu erwehren. Einmal deffen nicht, dafs es
dabei nicht ohne Erwägungen abläuft, gegen welche fich
der Glaube fträubt. Nach meiner Einficht wollen wir,
wenn wir's am nöthigften brauchen, uns der göttlichen
Vorfehung zu getröften, am wenigften von Zwifchen-
urfachen u. dergl. hören, und wir erleben es dann mit
innerer Gewifsheit, dafs wir's in Allem, was uns umgiebt,
mit dem ewigen Gott, mit feinem gnädigen Willen und
damit allein zu thun haben. Das andere Bedenken aber
ift dies, ob es hier mit der wiffenfchaftlichen Erkenntnifs
auch ftreng genug genommen wird. Geht es wirklich an,
zwifchen Naturgefetzen und Naturleben zu unterfcheiden?
Ift dabei nicht unbeachtet geblieben, was gerade den
Unterfchied zwifchen Naturgefetzen und Gefetzen im
menfchlichen Leben ausmacht? Giebt es einen Vertreter
der mechanifchen Weltanfchauung, der nicht ohne Zögern
behaupten wird, dafs es lediglich mechanifche Urfachen
waren, welche den Guftav Adolf bei Lützen tödtenden
Schufs zu Wege brachten (S. 43)? Und läfst fich dem
entgehen, wenn man einmal von Naturgefetzen redet?
Ift aber trotzdem der Eindruck Beyfchlag's berechtigt,
dafs eine folche Pointirung der mechanifchen Weltanfchauung
zum hellen Unfinn wird — entfpricht es

dann nicht der Sache beffer, die ganze mit Naturgefetzen
operirende Betrachtung zwar in ihrer Vollftändigkeit gelten
zu laffen, aber ebenfo nachdrücklich ihren lediglich hypo-
thetifchen und relativen Charakter zu betonen? Ift das
nicht auch apologetifch wichtiger? — ganz abgefehen
davon, dafs es dazu dient, die aus dem chriftlichen
Glauben entfpringende höchfte Welterkenntnifs von dem
Gedanken des Naturgefetzes zu entladen. Kurz, wenn
Beyfchlag fich in die Gedanken derer mit Recht nicht
finden kann, welche die göttliche Vorfehung einfchränken
wollen, ift es dann nicht ein nothwendiger weiterer Schritt,
die von jenen geftellte Aufgabe zu verneinen und andere
Frageftellungen zu fuchen?

Noch möchte ich ein Wort hinzufügen über die von
Beyfchlag befürwortete und durchgeführte Verwerthung
biblifcher Gedanken. Es verfteht fich von felbft, dafs
das Heranziehen und die reichliche Verwerthung der-
felben die Sache nur fördern kann, fo lange es fich um
die concrete und lebendige Ausführung der chriftlichen
Glaubensgedanken handelt. Das tritt auch und namentlich
in den hier vorliegenden Betrachtungen deutlich
hervor. Aber dürfen wir die theologifchen Gedankenreihen
der biblifchen Autoren auch direct in die Erörterung
der uns befchäftigenden theologifchen Probleme
hineinziehen? M. E. giebt es nichts, was dieThatfache
aufheben kann, dafs fie fich die Probleme in anderem
Zufammenhang vergegenwärtigt haben, als wir, und dafs
wir defshalb, wenn wir das nicht beachten, ganz unvermeidlich
ihre Gedanken umdeuten. Das macht fich gelegentlich
auch in Beyfchlag's Erörterungen geltend.
So z. B. in der Verwerthung von Rom. 9—11. Es mag
unbefcheiden ausfehen, wenn ich das einem fo verdienten
und gewiegten Exegeten entgegenzuhalten wage. Aber
ich fehe nicht anders, als dafs Rom. 9 eben doch die
abfolute Prädeftination zu lefen fteht, und dafs Rom. 11
den gegentheiligen Gedanken von Rom. 10 auf diefe
Rom. 9 vorangeftellte Betrachtungsweife zurückzuführen
dient. Gewifs ift das nicht das Ganze der paulinifchen
Gedanken über diefe Sache. Kein Zweifel, dafs ihm die
menfchliche Freiheit und Verantwortlichkeit feftgeftanden
hat. Aber wir dürfen darauf hin nicht corrigiren, was er
an diefer Stelle fagt. Wir müffen uns eben klar machen,
dafs wir es nicht mit einem fyftematifchen Theologen
zu thun haben, fondern mit einem Apoftel, der in ganz
concreter Lage jedes Mal für diefe Lage das Noth-
wendige fagt, ohne dabei das Ganze im Auge zu haben.
Beruht doch darauf der unvergleichliche Werth, die nie
veraltende göttliche Kraft feiner Worte. Freilich aber
auch das Andere, dafs es in die Irre führt und feinen
Worten Gewalt anzuthun verleitet, wenn fie direct in
die Erörterung gegenwärtiger theologifcher Probleme
hineingezogen werden. Es ift das eben eine irrige Methode
, aus deren Zwang wir uns nur fehr langfam löfen.
Und doch werden wir's müffen — um der Wahrheit willen.
Berlin. Kaftan.

Kahler, Martin, Berechtigung und Zuversichtlichkeit des Bittgebets
. Vortrag, auf der fächfifchen Paftoralkonferenz
zu Halle a. d. S. gehalten. Halle, Fricke's Verl., 1888.
(32 S. gr. 8.) M. —. 50.

Diefer Vortrag behandelt fein fchweres und wichtiges
Thema, wie von dem Vortragenden nicht anders
zu erwarten, in der trefflichften Weife. Fordert die Aufgabe
reife innere Erfahrung und einen weiten, das Ganze
überfchauenden Blick, fo ift hier beides in glücklicher
Verbindung gegeben. Und die fchlichte P'orm macht das
Wort um fo eindrucksvoller. Ein paar Hauptgedanken
mögen hervorgehoben werden. Die Frage, wie es wohl
mit der Möglichkeit der Erhörung liehen möge, wird nur
kurz erörtert. Der Verfaffer Hellt einfach fett, dafs über
das ,Dafs' kein Zweifel unter Chriften aufkommen kann,

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