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Ausgabe:

1889 Nr. 15

Spalte:

375-378

Autor/Hrsg.:

Beyschlag, Willibald

Titel/Untertitel:

Zur Verständigung über den christlichen Vorsehungsglauben 1889

Rezensent:

Kaftan, Julius

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Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 15.

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dies ebenfo richtig, als wenn man fagt: das Weifse ift
nicht fchwarz' (S. 133). Der ,Semi-Liberalismus' der
,liberal-katholifchen Secte' ift ,das feine, höchft fcharf-
finnige Mittel, welches der Teufel anwendet, um viele
auf feine Seite zu ziehen, welche feine hinterliftigen An-
fchläge verabfcheuen würden, wenn fie diefelben erkannten
' (S. 21). Diefes ,fatanifche Mittel' wird nicht ohne
Erfolg angewendet; denn ,es giebt fogar manche Geift-
liche, die von dem Liberalismus angeneckt find' (S. 90).

Ein Seitenftück zu diefen cosas de Espana bildet
die ,Einbegleitung', welche der Salzburger Profeffor
Scheicher der deutfchen Ueberfetzung beigefügt hat.
Er rühmt fich, den Liberalismus nicht nur in fall; zahl-
lofen Artikeln, fondern auch in eigenen Brofchüren und in
feiner ,Allgemeinen Moraltheologie' bekämpft zu haben,
und klagt: ,Unfer ganzes Staatswefen ift auf der Grundlage
des Liberalismus aufgebaut. Auch jene Männer,
welche fich katholifch-confervativ nennen, find vielfach
vom Liberalismus angekränkelt. Selbft in die Reihen
der Klerikalen ift ein Sporn {sie) des Liberalismus eingedrungen
. In manchen Ländern ift er felbft in den
Klerus eingedrungen'. Nebenbei wird auch geklagt, dafs
,von kirchlichen Oberftellen manchmal eine Sprache nach
unten geführt werde, die fich nur mit der Sprache
Ludwig's XIV gegen feine devoteft und fubmiffeft erfter-
benden Unterthanen vergleichen laffe'.

Die Originalausgabe des Buches von Sardä liegt mir
nicht vor und ich kann darum über die Richtigkeit der
deutfchen Ueberfetzung nicht urtheilen; ftiliftifch ift fie
fehr mangelhaft. Delatio in dem Schreiben des Secre-
tärs der Index-Congregation ift unrichtig mit Anzeige'
ftatt mit ,Denunciation' überfetzt. Mit ,Arnauld Nicola'
S. 60 find Arnauld und Nicole gemeint. Cornelius Janfenius
heifst S. 123 ,Bifchof von Ipres' ftatt Ypern, Pazos S. XI
Domherr in Aich ftatt Vieh.

Bonn. F. H. Reufch.

Beyschlag, Prof. Dr. Willibald, Zur Verständigung über
den christlichen Vorsehungsglauben. Halle, Strien, 1888.
(VII, 114 S. gr. 8.) M. 1. 60.

Diefe Betrachtungen find urfprünglich in den Deutfch-
evangelifchen Blättern veröffentlicht worden. Nachträglich
hat fie der Verfaffer auf vielfache Aufforderung hin
im befonderen Abdruck einem weiteren Leferkreis zugänglich
gemacht. Den Ausgangspunkt derfelben bildet
aber der Hinweis auf andere, in der jüngften Vergangenheit
über die Räthfel der göttlichen Vorfehung gepflogene
Verhandlungen. Die Einen haben in das Ver-
ftändnifs derfelben dadurch einzudringen verfucht, dafs
fie eine gröfsere Selbftändigkeit des Weltlebens lehrten,
als gemeinhin gefchieht: im gewöhnlichen Weltlauf walte
diefelbe vor, und laffe fleh Gott an einem Gruppiren
und Ordnen genügen, während der Verwirklichung feines
Heilsraths ein befonderes, auch wunderbares Eingreifen
diene. So in verfchiedener Faffung Kreibig, Nagel und
Schmidt. Andere dagegen wie Herrmann und Kuttner
haben betont, dafs dergleichen Verfuche, zwifchen Glauben
und wiffenfehaftlichem Welterkennen zu vermitteln,
werthlos feien und nur dazu dienen könnten, die Energie
und die Freudigkeit des auf Chriftum fich ftützenden
chriftlichen Vorfehungsglaubens zu lähmen oder zu trüben.
Beyfchlag nun hat fich in der Prüfung diefer Urtheile
weder den Einen noch den Andern anfchliefsen können.
Das hat ihm Veranlaffung geboten, die eigenen Gedanken
darüber beftimmter zu gehalten und weiter dann auch
Andern vorzutragen. Genauer erkennt er mit den Erft-
genannten die hier erwachfende Aufgabe als folche
an, kann fich jedoch mit ihrer Löfung derfelben nicht
befreunden: in der von ihm verfuchten Löfung trifft er
dann gelegentlich mit den Letztgenannten zufammen,
weifs aber auch den Motiven der Erfteren gerecht zu

werden. Befonderen Werth legt er auf die von ihm
reichlich geübte Verwerthung neuteftamentlicher Gedankenreihen
, deren ungenügende Berückfichtigung feitens
feiner Vorredner er rügt.

In 4 Abfchnitten trägt Beyfchlag nach diefem einleitenden
kritifchen Capitel feine eigenen Gedanken vor.
Und zwar fafst er zuerft (im zweiten Capitel) das allgemeine
Problem ins Auge. Vorfehung und Weltregierung
gehören zufammen, indem jene der Aus- und Durchführung
diefer dient. Der Begriff der Weltregierung
fchliefst aber die relative Selbftändigkeit der zu regierenden
Welt ein. Und nichts ift gewiffer als eine folche
Selbftändigkeit. Das Ethifche ift das Wirklichfte, das es
giebt, und die Freiheit ift das reale Fundament des
Ethifchen. Aber auch die Natur hat unverkennbar eine
gewiffe Selbftändigkeit. Man mufs zwifchen mittelbarem
und unmittelbarem Wollen (und Handeln) Gottes unter-
fcheiden. Der determiniftifche Pantheismus und Akos-
mismus widerfpricht ebenfo fehr der Vernunft wie dem
Chriftenthum. Nur darf diefe Selbftändigkeit der Welt
auch nicht in deiftifcher Weife übertrieben werden, da
das blofse Factum der Weltfchöpfung ohne die einem
beftimmten Ziel entgegenleitende Weltregierung völlig
unverftändlich bliebe. Ebenfo wenig ift die Weltregierung
auf befondere Sphären des Weltlebens oder befondere
Anläffe zu befchränken. Der Vernunft entfpricht einzig
die chriftliche Weltanfchauung, welche die rechte Mitte
hält, indem fie eine alles umfaffende Weltregierung Gottes
zur Verwirklichung feines Heilsplans erkennen lehrt.
Den Gegenftand des dritten Capitels bildet dann die
Natur im befonderen. Gewifs giebt es Naturgefetze.
Aber diefe find nicht das Naturleben, fondern laffen
dem Leben in mannigfaltiger Weife freien Spielraum.
Und fo wenig die tief eingreifenden freien Handlungen
der Menfchen die Gefetze aufheben oder den Naturlaui
ftören, fo wenig die frei ordnende Hand Gottes, welche
Geiftiges und Natürliches feinen Zwecken entfprechend
zu und für einander fügt. Vor allem aber: die Natur
wird, ift in der Entwicklung begriffen zu einem ewigen
Ziel. Das bedingt aber, dafs fie fortlaufend aus dem
göttlichen Lebensquell gefpeift wird {concursus dei), ein
Sachverhalt, der auch das v erftändnifs des Wunders ermöglicht
: Gott läfst in demfelben um befonderer Zwecke
I willen etwas keimhaft fchon Gegebenes wirklich werden,
was fonft unverwirklicht geblieben wäre. Auch was das
Uebel betrifft, darf an dies Werden und das vom Apoftel
berührte Seufzen der Creatur erinnert werden, das Üebel
ift darin der Möglichkeit nach begründet. Verftändlich
wird es freilich erft, wenn man zugleich die menfehlichen
Dinge berückfichtigt. Von diefen handeln nun die folgenden
Capitel. Und zwar das vierte zunächft von
der Menfchengefchichte im Grofsen. An der Natur entwickelt
fie fich und in der Wechfelwirkung mit ihr, wie
diefe .fich unter der göttlichen Leitung geftaltet. Das
Ziel der Gefchichte ift das Reich Gottes, die Freiheit
daher unerläfslich, mit der Freiheit aber ift die Möglichkeit
des Böfen gegeben, welche durch der Menfchen
That zur Wirklichkeit geworden. Im Böfen und im
Uebel thürmen fich dann freilich die Räthfel der göttlichen
Vorfehung. Und deren wird nur der Glaube an
Chriftum wirklich Herr: darin haben Herrmann und
Kuttner Recht. Aber nicht fo, dafs nun die Erkenntnifs
ausgefchloffen wäre. Jedenfalls nicht die Erkenntnifs im
Grofsen. Das Uebel wird uns verftändlich als Strafe
der Sünde, Strafe im Sinn der gnädigen Zucht. Auch
die Freiheit der Menfchen läfst fich wohl mit der Freiheit
Gottes reimen. So hat fie ihre von Gott gefetzte
Schranke darin, dafs das Böfe Selbftwiderfpruch ift und
fchliefslich zur Selbftvernichtung führt. Andererfeits ift es
keine Schranke für Gott, dafs er die freie Entfcheidung
nicht voraus weifs, fondern das hat er felbft gewollt und
gefetzt. Auf den grofsen Gang der Weltgefchicke werfen
aber die paulinifchen Gedankenblitze ein helles Licht