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Ausgabe:

1889 Nr. 13

Spalte:

334-338

Autor/Hrsg.:

Döllinger, Joh. Jos. Ign. v.

Titel/Untertitel:

Geschichte der Moralstreitigkeiten in der römisch-katholischen Kirche seit dem 16. Jahrhundert, mit Beiträgen zur Geschichte und Charakteristik des Jesuitenordens. 2 Bde 1889

Rezensent:

Mueller, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 13.

334

der berühmte Alexandriner, liefert in Nr. 2 einige fehr
überflüffige Etymologien im Gefchmack des Origenes
(z. B. &ili7t7io$'Ov6fia la/.i7iädwi>, wohl T>Bb ^B), in
Nr. 5 berichtet er, Paulus habe eine Frau gehabt, fie
aber did ctjc (?) e/./Aijff/ac Gotte geweiht; in Nr. 7 fteht
dasfelbe; doch fügt der Excerptor jetzt noch literatur-
gefchichtliche Mittheilungen über die Arbeiten des gelehrten
MärtyrersPierius bei, dem ein AdvocatTheodor in
Alexandria ein Epos von mindeftens 13 Büchern widmete.
De Boor ift bemüht, unter Zuhilfenahme des Wenigen,
was wir fonft über Pierius wiffen, diefe Nachrichten auszunutzen
. Erfcheint mir nur S. 180 zuüberfehen, dafsunfer
Gewährsmann die Predigt auf den Hofea wie die über die
Gottesgebärerin keinenfalls zu den Ofterpredigten rechnet,
da er von diefer zu jener mit xul hegoig orcovöäapaai
übergeht. Sonft habe ich an de Boors verdienftlicher
Abhandlung kaum noch etwas auszufetzen, höchftens
wäre hie und da tieferes kritifches Eingehen auf den
Inhalt feiner Ouellenftücke erwünfcht.

Die erften" 164 Seiten des Heftes füllt Nöldechen's
Verfuch, die Reihenfolge der Schriften Tertullian's feft-
zuftellen, ein Unternehmen, dem Mancher, nachdem es
in den letzten Jahrzehnten fo oft und immer mit ver-
fchiedenem Refultat gewagt worden, mit einem gewiffen
gereizten Mifstrauen entgegenkommen wird. Jedenfalls
hatte Nöldechen fich zu dem Werke gut vorbereitet; in
Schriften und Abhandlungen (letztere find in 4 theolo-
gifchen und 2 profangefchichtlichen Zeitfchriften zerftreut)
hat er feit Jahren nur Tertullianifches tractirt. Das Un-
angenehmfte an feiner Arbeit ift der unglaublich gezierte
Stil, der im Streben nach Abfonderlichkeit oft genug
nicht gefchmacklos nur, fondern dunkel wird; hoffentlich
würde aufser Nöld. Niemand von einem literarifchen
Mann, einem ftark mit Schriften befrachteten Zeitraum,
einem Anti-Kränzler, von handlich ftarken Beziehungen
zwifchen 2 Schriften, von erften deductorifchen Spuren,
von 3 confpirirenden Thatfachen, von ,endfchaftlich' und
.Entfprechung' reden. Aber im Uebrigen mufs des Ver-
faffers Exactheit anerkannt werden; auch feine Stoffan-
ordnung verdient Lob: in einer Einleitung (S. i —19)
fetzt er zuerft die allgemeinen Grundfätze, nach denen
Tertullian's Werke chronologifch fixirt werden können,
auseinander, dann befondere Hilfsmittel zu diefem
Zwecke, um nunmehr S. 20 f. die Merkmale der frühe-
ften Schriften zufammenzuftellen. Sehr richtig nämlich
unterfcheidet er in erfter Linie gewiffe (6) Gruppen,
deren Reihenfolge über jeden Zweifel erhoben werden
könne, während das Verhältnifs der einzelnen Beftand-
theile einer folchen Gruppe nicht immer mit gleicher
Sicherheit definirt werden kann. In einem Anhang S.
159—163 befpricht er noch die Ortsfragen; mit gutem
Recht verlegt er da weitaus die meiften Werke Tert.'s
nach Karthago, nach Rom nur de bapl., bei einem
fpäteren Aufenthalt advers. Valentin, und vielleicht adv.
Hermog. Im Einzelnen ift Mancherlei angreifbar, z. B.
die wunderliche Anm. 1 auf S. 55, über die alexandri-
nifche Abneigung gegen noch lebende Schriftfteller'
oder die Behauptung S. 54, Tert. zeige fich fich er vielfach
mit den clementinifchen Homilien bekannt (wozu
freilich der Ton der Anm. 5 wenig Itimmtj; die Vor-
ltellung, dafs das frühefte tertull. Schriftthum aus Vor-
lefungen erwachfen fei (S. 4 u. fonft), fcheint mir ganz
haltlos, die Berufung auf Apolog. 22, wo die nunc lecti-
ones resonantes den tnncprophetae contionantes gegenüber-
geftellt werden (S. 20 n. 1), geradezu ungeheuerlich.
Gröfsere Vorficht in der Entfcheidung wäre durchweg
angezeigt gewefen; der Gefahr, chronologifch brauchbare
Anfpielungen feinem Schriftfteller aufzubürden, ift Nöld.
wohl nicht ganz entgangen; und ein Argument wie
S. 27: ,Es ift nicht gerade wahrfcheinlich, dafs Tert.
innerhalb eines mäfsigen Zeitraums von Schroffheit zur
Milde und von Milde zur Schroffheit hinüberfchwankt',
beweift doch wohl, dafs hier das Temperament des

Afrikaners und fein Advocatenthum nicht hinreichend
in Betracht gezogen worden ift.

Allein trotz vieler Zweifel im Einzelnen glaube ich,
kann man in der Hauptfache mit den Ergebnifsen Ns'.
einverftanden fein; feine Anfätze repräfentiren einen
Fortfehritt gegenüber Bonwetfch. Nicht über 15 — 20,
fondern über c. 30 Jahre erftreckt fich — fo N. — Tert.'s
fchriftftellerifche Thätigkeit. Er hat angefangen mit de
baptismo etwa 194 und geendet mit de pitdicitia etwa
222. Mit Recht fetzt jetzt auch N. de jejun. früher als
de pud. aber ebenfalls unter Kailift, wie adv. Prax., de
exhort. cast., de monog. In die fünfte Gruppe (213—217)
verlegt er u. A. de virg. veL; in die vierte (211—213)
zur Zeit der erneuerten Drangfale de fnga; weitaus am
umfänglichften ift die erfte Gruppe. Wichtig ift der
Anfatz von de poenit. auf Anfang 204, ein wenig fpäter
de patient. und ad nxorem; da bahne fich der Montanismus
des Verf's. erft an; vollendet werde er in adv. Valent.
207. Gewöhnlich wird, wie bekannt, Tert's. Uebertritt
zum Montanismus fchon 203 angenommen. Dafs N.
Scorpiace nicht anzweifelt (Frühjahr 213 verfafst), wird
ihm heute Niemand mehr verdenken; ob er gleichen
Beifall finden wird mit feiner Löfung des Problems, das
die Verwandtfchaft von Marc. III und adv.Jndaeos bildet,
ift mir nicht fo ficher. Er fetzt nämlich die Juden' in
das Jahr 195 als eine der älteften Schriften und nennt
die Beftreitung der Echtheit von adv. Jud. — die Zahn
jüngft in feiner Gefch. des Kanons einfach als pfeudo-
tertullianifch citirt — ein irriges Vorurtheil. Jedenfalls,
wenn Tert. der Verfaffer ift, kann er nicht ,gegen die
Juden' nach der Streitfchrift gegen Marcion gefchrieben
haben.

Dafs Nöld. mit grofsem Fleifs alles zufammenge-
fucht hat, was aus der Zeitgefchichte irgendwie verwendbar
fein könnte, um Tertullianifche Arbeiten genauer
zu datiren, mag zum Schlufs rühmend hervorgehoben
werden; man findet bei ihm viel mehr neues Detail diefer
Art, als bei feinen Vorgängern; Hiftoriker, Chronologen,
Geographen, Aftronomen, Phyfiker hat er zu Rathe gezogen
, alte wie neue, verfchollene Gymnafialprogramme
wie berühmte Werke. Nicht fo vertraut ift er mit der
neueren theologifchen Literatur, fofern fie fich nicht ausdrücklich
auf Tertull. erftreckt; wäre er es, fo würde er
unter Anderem einige von feinen Refultaten nicht für
fo neu halten, und manche Argumentation würde anders
lauten.

Marburg. Ad. Jülich er.

Döllinger, Ign. v., u. Fr. Heinr. Reusch, Geschichte der
Moralstreitigkeiten in der römisch-katholischen Kirche seit
dem 16. Jahrhundert, mit Beiträgen zur Gefchichte
und Charakteriftik des Jefuitenordens. Auf Grund
ungedruckter Aktenftücke bearbeitet und hrsg. 2 Bde.
Nördlingen, Beck, 1889. (VII, 687 u. Aktenftücke
XI> 398 S. gr. 8.) M. 22. —

Das vorliegende Werk zerfällt in zwei nur locker
verbundene Abtheilungen: Gefchichte der Moralftreitig-
keiten in der RKirche des 17. u. 18. Jahrh. und Beiträge zur
Gefchichte des Jefuiten-Ordens. Für beide Theile haben die
Verf. im zweiten faft 400 S. ftarken eng gedruckten Band
eine grofse Mengeneues oderfchwer zugängliches Material
veröffentlicht, auf dem die Darftellung wefentlich mit
beruht. Der Druck der Quellenftücke, der offenbar fchon
vor einer längeren Reihe von Jahren vollzogen worden
war, ift aufserordentlich fehlerhaft: aber die Fehler find
im erften Band, fo gut es ging, verbeffert. Mit Ausnahme
von zwei aus einer VatikanifchenHf. flammenden Nummern
(1 u. 5) find wohl alle übrigen Stücke aus der in den
Münchener Bibliotheken und Archiven verwahrten Hinter-
laffenfchaft des Jefuitenordens entnommen (vgl. Vorrede).