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Ausgabe:

1889 Nr. 13

Spalte:

331-334

Autor/Hrsg.:

Noeldechen, Ernst

Titel/Untertitel:

Die Abfassungszeit der Schriften Tertullians - Neue Fragmente des Papias, Hegesippus und Pierius 1889

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 13.

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Clerus nach Carthago (Cypr. ep. 8, 1) keine Anfpielung
an Hermas, deren Heimlichkeit bevviefe, dafs die offene
Hermasfchwärmerei in de aleat. einer früheren Zeit angehöre
. Oder wenn Harn. S. 116 leife Spuren moda-
liftifcher Denkweife in unferem Tractat findet, die für
Victor willkommen wären, wegen des in evangelio dominus
dicit et iterum per prophetam, fo ift der Schlufs:
„Alfo ift ,dominusl in gleicher Weife für Gott und Chriftus
als Bezeichnung eines Subjects gebraucht" unzuläffig,
weil nicht Gott und Chriftus als ein Subject auftreten,
fondern Chriftus, d. h. der Logos, im A. T. wie in den
Evangelien redend gedacht wird, nur dort per prophetas,
hier ohne Vermittelung, — ganz wie bei Cyprian. Die
Beziehungen zu diefem find überhaupt noch reichere,
als man nach den Anmerkungen S. 11 ff. und der lexi-
kalifchen Ueberficht S. 133 annehmen könnte, nicht blofs
die einzelnen Worte begegnen faft fämmtlich in gleicher
Bedeutung bei dem carthagifchen Bifchof, auch keineswegs
am Wege liegende Formeln wie divina et paterna
pietas (Cypr. p. 655, 6) und die Gedanken. Insbefondere
aber bin ich fchliefslich an der Brauchbarkeit des Arguments
aus der Gefchichte der Disciplin irre geworden.
Der Rigorismus, welcher das Würfelfpielen für eine un-
vergebbare Sünde, ein delictum in Deum erklärt und
freilich nach Kailift nicht denkbar wäre, ift m. E. nur
ein fcheinbarer; nicht dafs feine Collegen überhaupt verzeihen
, fondern dafs fie es adsidue und ohne ratio thun,
empört den Verf., er verlangt Excommunication der
aleatores, aber dafs es für fie keine poenitentia und demnach
Wiederaufnahme gebe, hat er nicht deutlich genug
gefagt. ,Donec poenitentiam agat citirt er S. 19, 4. Wer
fo inftändig bittet (S. 28) desine abilla dementia tua, auch
S. 29 wieder desine ab Mos tuos furiacissimos mores, cohibe
praecipitem nequitiam tuam und zwar nicht in dem Sinne,
wie auch Novatian einen Todfünder mahnen könnte,
fondern mit dem Hinzufügen: apparatus tuos omnes ad
Studium ecclesiae distrahe . . . ut peccata tua donentur tibi
eleernosynis, der hat es nicht auf Mafsregeln tertullia-
nifcher Strenge abgefehen (man frage fich nur, ob in
Tert.'s Munde folche Worte gegenüber einem moechus
möglich wären), der hat nicht für den in feinem Ge-
wiffen feftftehenden Satz: delicti in deum nulla fit indul-
gentia Beweife aus der Schrift gefucht, fondern den bekannten
Schriftftellen diefe Einleitung vorangefchickt,
um in den Lefern heilfames Grauen zu erregen.

Leider mufs ich hier abbrechen, fo gern ich dem
Verf. meine Bedenken ausführlicher auseinanderfetzte.
Es wird eben auch hier noch eines längeren Streites bedürfen
, ehe eine Entfcheidung gefällt werden kann; als
widerlegt kann Hrn.'s geiftvolle Thefe nicht gelten.
Und wenn er fie aufgeben müfste, fo würde fein Ver-
dienft doch ein grofses bleiben um die Hervorhebung,
Erklärung, Würdigung einer eigenartigen, jedenfalls
alten Schrift, um die Anbahnung eines methodifchen
Studiums der pfeudocyprianifchen Tractate überhaupt:
und nach Harnack darf Niemand mehr de aleat. dies-
feits des 3. Jahrhunderts datiren.

Marburg. Ad. Jülich er.

Noeldechen, Prof. Gymn.-Oberlehr. Dr.E., Die Abfassungszeit
der Schriften Tertullians. — Neue Fragmente des
Papias, Hegesippus und Pierius in bisher unbekannten
Excerpten aus der Kirchengefchichte des Philippus
Sidetes. Von Kult. Dr. C. de Boor. [Texte und Unter-
fuchungen zur Gefchichte der altchriftl. Literatur von
O. v. Gebhardt u. A. Harnack, 5. Bd. 2. Hft] Leipzig,
Hinrichs, 1888. (184 S. gr. 8.) M. 6. —

Mit dem gröfsten Intereffe haben wir die ,neuen
Fragmente' berühmter Kirchenfchriftfteller des 2. und
3. Jahrhunderts gelefen, mit denen uns de Boor auf

S. 167—184 des vorliegenden Heftes befchenkt. Doch,
wer einer Enttäufchung entgehen will, möge nicht zu
viel erwarten. Es handelt fich um 7 Nummern, die zu-
fammen 2 Druckfeiten füllen. Die gröfsere Hälfte ihres
Inhalts ift aber Auszug aus Eufeb's Kirchengefchichte;
von dem, was nicht dorther ftammt, ift wiederum Einiges
bereits bekannt gewefen oder nacheufebianifchen Ur-
fprungs, fo dafs des ganz Neuen von Papias, Hegefippus
und Pierius aufserordentlich wenig ift.

In einer durch den Codex Baroccianus 142 erhaltenen
Sammlung von Excerpten aus griechifchen Kirchen-
hiftorikern, die de Boor mit guten Gründen zwifchen
c. 600 und 800 n. Chr. abgefafst denkt, finden fich einzelne
Notizen, die weder aus Eufeb noch aus einem
feiner fpäteren Fortfetzer berühmteren Namens entnommen
fein können: der Herausgeber vermuthet, dafs
wir fie zurückführen müffen auf die c. 430 gefchriebene
XgiOTtavixri tazogia des Philippus Sidetes. Mehrere
Male nämlich wird er ausdrücklich als Gewährsmann
genannt und dem Excerptor felber wird Niemand die
unmittelbare Bekanntfchaft mit jenen alten Gelehrten,
welche im 5. Jahrhundert noch nicht auffallend ift, zutrauen
. Es ift fehr dankenswerth, dafs de Boor S. 182 ff.
auch diejenigen Nachrichten aus Philippus mitgetheilt
hat, welche, in der Handfchrift hinter den Auszügen aus
Eufeb ftehend, nur auf die Gefchichte des 4. Jahrhunderts
fich beziehen; mit einer Art von Commentar hat er blofs
diejenigen verfehen, welche an Elufebianifches Gut angeknüpft
find. Nr. 1, unbekannter Herkunft, nennt Emmaus-

| Nicopolis als Geburtsort des Julius Africanus, was de
Boor trotz des qü.öaocpoQ Aißvg bei Suidas für glaubhaft
hält: ich auch. Nr. 4, ein Katalog häretifcher Evangelien,
ftammt aus Origenes : das hat Harnack gefehen, der auch
fonft ein paar gute Anmerkungen zu dem Auffatze de
Boor's liefert. In Nr. 6 wird ein Ausfpruch des Chry-
foftomus citirt, dafs die bei Chrifti Kreuzigung von den
Todten Auferftandenen wie alle vor ihnen Erweckten
wieder geftorben find; den Fundort (eV xij d biaUu xov
ÖEvxtQov XLiriiaxoq zfjg et 7tQng xoQiv-d-iovg imozohrjg)
hat de Boor leider nicht genauer beftimmt, wohl aber
auf die intereffante Art des Citats (S. 174) aufmerkfam

j gemacht; nur fcheint mir nicht ficher, dafs die Eintheilung
in rifi/iaxa hiernach den Homilien zugefchrieben wird —
warum nicht dem Briefe an die Korinther: Ift Philippus
der Schreiber, fo haben wir in dem Satz einen Beweis
mehr dafür, wie frühe Johannes den Beinamen Chryfo-
ftomus erhalten und wie bodenlos C. Burk's Verficherung
ift (Herzog RE2 III, 225), diefer Beiname finde fich zu-
erft bei Ifidor von Sevilla!

Aus Hegefippus fchöpft Nr. 3 die Kunde, dafs

I die beiden Söhne Judas', des Bruders Jefu, Welche dem

j Domitian vorgeftellt wurden, Ziom'm und dcty.toßog hiefsen.
Diefe Neuheit wird nun nicht gerade aufregend wirken.
Auch den Hauptbeftand von Nr. 6, dafs nach Papias
die Töchter des Philippus zu erzählen wufsten, wie
Barfabas Juftus, nachdem er im Namen Chrifti Gift getrunken
, unverfehrt geblieben und wie noch viele andere
gröfsere Wunder vorgekommen feien, kannten wir durch
Eufeb; aber mit Recht bemerkt de Boor, dafs der
hiefige Gewährsmann felbftändig aus Papias fchöpft,
weil nur er den Namen der Auferftandenen (Mutter des
Manaim) nennt und die Gelegenheit angiebt, bei welcher
Barfabas das Otterngift nahm, doxtitaCoiievog vreb xotv

I anioxiov. Und ganz neu ift die papianifche Ausfage, dafs
die von Chriftus Auferweckten bis in Hadrian's Zeit gelebt
— ein Beleg, dafs Papias erft nach Hadrian, alfo nach
138, fchriftftellerte. Seit 1862 in verwandter Faffung
publicirt, aber wenig beachtet ift die Notiz aus dem
2. Buche des Papias, der Apoftel Johannes fei gleich
feinem Bruder von den Juden umgebracht worden.
Gewifs kann es nun nicht mehr zweifelhaft fein, dafs

j Papias diefe Ueberlieferung vertrat und ohne weiteres
darf man fie dann nicht beifeite fchieben. — Pierius,