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Ausgabe:

1889 Nr. 12

Spalte:

306-308

Titel/Untertitel:

Gregorii Abulfaragii Bar Ebhraya in epistulas Paulinas adnotationes 1889

Rezensent:

Nestle, Eberhard

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Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 12.

306

Gefetz fälfcht völlig die Idee der Heiligkeit, und indem
es Gott auf eine ganz äufserliche Weife einen beftimmten
Tag weiht, hindert es die wahre Weihe, die des Lebens.
Aufserdem ift das im Exodus gegebene Motiv einfach
kindifch. Das Gebot, den Namen Gottes nicht beim
Schwur zu mifsbrauchen, zielt darauf ab, den Glauben
zu erwecken, dafs das Verbrechen ein geringeres fei,
wenn man täufcht, ohne den Namen Gottes dabei anzurufen
. Das Elterngebot ift durch die Verheifsung entstellt
u. f. w.

Im 4. Capitel werden die Schriften der jüdifchen
Epoche unterfucht (Chronik, Esra, Nehemia, Pfalmen,
Proverbien, Hiob, Ruth, Jonas, Daniel). Natürlich kömmt
der Chroniker fehr fchlecht weg. Chavannes würde ihm
ein gutes Stück Klerikalismus und Ritualismus verzeihen;
aber dafs er einzig und allein darauf ausgeht, das Mäften
[f engraissemenf) der Priefter anzuempfehlen, macht einen
höchft unangenehmen Eindruck auf ihn. —Bei der Kritik
des Pfalter? geräth der Verfaffer etwas in's Gedränge. Er
kann fich dem Eindruck von dem religiöfen Werth diefes ;
Buches nicht entziehen und giebt zu, dafs es der Er-
bauung dient. Allein das fei ein Erfolg, den die Pfalmen
hervorbringen, nicht das Ziel, welches fie erftreben. Bei |
diefer Sachlage aber könne man nicht darlegen, wie der j
Pfalter predige, und nur dies bei den einzelnen bib-
lifchen Büchern nachzuweifen fei die Aufgabe und Abficht
des Verfaffers. Trotzdem fehle das paränetifche
Element nicht ganz in den Pfalmen; befonders fei es in
den didaktifchen und moralifchen nachweisbar, denen
daher in religiöfer Beziehung die Palme zuerkannt werden
mufs. Doch find fie auch nicht frei von Anftöfsen; der
eudämoniftifche Optimismus, den fie predigen, hat bewirkt
, dafs der Pfalter bis auf unfere Tage in gewiffem
Mafse ein Fallftrick für die Frömmigkeit geblieben ift,
indem er ihr Verfprechungen macht, die fich nicht erfüllen
. Im Grunde nämlich gruppirt fich die ganze Religion
der Pfalmen um den Gedanken, dafs Gott diejenigen
befchützt, welche feinen Willen thun, und diejenigen
beftraft, welche fich gegen ihn empören. Das Bekennt-
nifs und der Ausdruck des Schmerzes über die eigene
Sünde in manchen Pfalmen ift nicht fowohl durch die
Gewiffensvorwürfe der Verfaffer hervorgerufen als durch
den Glauben, dafs Gott gegen fie erzürnt fei, weswegen fie
den Allmächtigen zu entwaffnen fuchen. Als Beleg wird
Pf. 38, 5 angeführt: ,MeineSünden gehen über mein Haupt;
wie eine fchwere Lad find fie mir zu fchwer geworden'.
Sünden bedeutet nämlich in diefem Zufammenhang nicht
Sünden, fondern ift ein Synonym von Strafen. Trotz
alledem will Chavannes nicht leugnen, dafs der Pfalter
eine Frömmigkeit predigt, welche auch eine gefunde
und fruchtbare Seite hat, denn man findet in ihm die
Pfalmen 15. 24, 3f. 34, 12ff. u. a., in denen die mora-
lifche Heiligkeit anempfohlen wird.

Ich übergehe die übrigen Bücher und bemerke nur
noch, dafs Chavannes, während er über Daniel's Enthaltung
von Fleifchfpeifen Witze macht, dem Buche
Hiob ein hohes Lob fpendet. Es fei kaum zu viel gefagt,
wenn man dem Verfaffer die Entdeckung der wahren
Apologie der Religion zuerkenne; das von ihm erkannte
Motiv der Tugend fei, dafs es unter allen Umftänden
beffer ift gut zu fein als fchlecht.

Das kurze 5. Capitel mit der Ueberfchrift ,das alte
Teftament' recapitulirt die in den vier erften Capiteln gewonnenen
Refultate und handelt von der Annahme der
a. t. Schriftenfammlung durch die Chriften. Es läfst fich
leicht errathen, wie der Verfaffer hierüber urtheilt. Der
Werth des alten Teftaments ift ein ausfchliefslich hifto-
rifcher. ,Gelefen unter dem Dogma von der Göttlichkeit
der Schriften ftiftet die Leetüre des alten Teftaments
mehr Unheil als Gutes; fie ftellt vor die erfchreckte
Einbildung einen rachfüchtigen, eigenfinnigen und grau-
famen Gott, welcher Gewaltthat übt und befiehlt, und
deffen Zorn Opfer verlangt; man fucht die Sünde nicht

in den böfen Neigungen des Herzens, fondern in dem
Uebertreten der Gebote, welche auf eine äufserliche Aucto-
rität gegründet find, und man fühlt fich durch den
Schrecken getrieben, nicht, aufzuhören Sünder zu fein,
fondern den Strafen zu entgehen, welche gegen die Sünde
angekündigt find. Die ganze Religion wird zurückgeführt
auf eine Art Handel, in welchem man fich den
Bedingungen des Stärkeren unterwirft, um feiner Rache
zu entgehen'. —

In Chavannes' Buch, welches diejenigen Theile des
alten Teftaments als die allein werthvollen betrachtet,
in denen die Uebung der Tugend anempfohlen wird,
ift ein gutes Stück des alten Rationalismus wieder aufgelebt
, nur dafs Chavannes weit rückfichtslofer und
radicaler zu Werke geht. Diefer Radikalismus, welcher
blind ift gegen alles, was nicht in die Schablone passt,
paralyfirt vollständig die richtigen Gedanken, die dem Buche
nicht fehlen. Sein Grundfehler ift der, dafs es Religion und
Moral verwechfelt und erftere in letzterer aufgehen läfst.
Der Cultus ift für Chavannes nicht etwa nur, wie der
neueften altteftamentlichen Schule, das heidnifche Element
in der Religion Ifraels, fondern der Cultus gehört ihm
überhaupt nicht zur Religion. DiefeMethode erinnert an die
de Wette's, welcher in feiner biblifchen Dogmatik nur das,
was nach philofophifchem Begriffe, d. h. nach dem
Fries'fchen philofophifchen Syftem zu der Religion gehört
, auch in der gefchichtlichen Aufftellung der biblifchen
Religion als Beftandtheil derfelben anerkannt wiffen
wollte. Wenn Chavannes alles nicht unmittelbar auf
fittliche Heiligkeit und Tugendübung Abzielende als
fchlecht und falfch aus der Religion ausfeheidet und
den fo formulirten Religionsbegriff als kritifchen Mafs-
ftab bei der Beurtheilung der Religion der biblifchen
Schriftfteller verwendet, fo ift und bleibt das der ärgfte
Subjectivismus, wie fehr der Verfaffer fich auch dagegen
fträuben mag.

Die religionsgefchichtlichen Vorausfetzungen des
Buchs decken fich mit denen der Holländer und ihrer
Anhänger in Deutfchland. Ifraels vorprophetifche Religion
erhob fich in Nichts über die der benachbarten
Heiden; denn das alte Volk Ifrael betete feinen nationalen
Gott in derfelben Weife an, wie die Moabiter ihren
Kamos oder die Philifter ihren Dagon. Ich mufs der
naheliegenden Verfuchung widerftehen, auf diefen Gegenstand
näher einzugehen, kann aber an diefer Stelle die
Bemerkung nicht unterdrücken, dafs verzuckerte Beleidigungen
meiner Anficht nach in wiffenfehaftlichen
Streitfragen beffer unterblieben*).

Chavannes will durch fein Buch dazu beitragen, dafs
das religiöfe Publicum, für das er fchreibt, die ,arme'
Bibel beffer verstehen lerne, welcher ihre Vertheidiger
eben fo fehr gefchadet haben wie ihre Verkleinerer. Er
felbft will augenfeheinlich zu keiner diefer beiden Kategorien
gerechnet werden. Ob er ein gerechter Kritiker
des alten Teftaments ift, mag man nach den gegebenen
Proben felbft entfeheiden.

Greifswald, 5. 5. 89. Friedrich Baethgen.

Gregorii Abulfaragii Bar Ebhraya in epistulas Paulinas
adnotationes syriace edidit Maximiiianus Loehr,
phil. Dr. Göttingen, Dieterichs Sort'., 1889. (VIII,
46 S. 8.) M. 2. 50.

Die Bedeutung des Abulfaradfch, fagt de Lagarde
in dem einzigen Artikel, den er, über denfelben, zur

*) Nach einer von unterem geehrten Herrn Mitarbeiter uns gegebenen
Erläuterung bezieht fich diefe Bemerkung auf den Ausdruck ,apolo-
getifches Plaidoyer', welcher in diefem Blatte Nr. S, Sp. 196 des laufenden
Jahrgangs in Bezug auf Baethgen's Beiträge zur femitifchen Religionsge-
fchichte gebraucht ift. Wir konnten unferm Herrn Mitarbeiter die Aufnahme
obiger Bemerkung nicht verfagen, glauben aber verfichern zu
dürfen, dafs jener Ausdruck nicht in einem beleidigenden Sinne gemeint war

Die Redaction.
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