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Ausgabe:

1889 Nr. 12

Spalte:

302-303

Autor/Hrsg.:

Le Savoureux, Eugène

Titel/Untertitel:

Le prophète Joël 1889

Rezensent:

Budde, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 12.

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einander ftreiten und fich gegenfeitig berichtigen, fich
fchwerlich halten laffen; aber genial ift der Verfuch,
c. 2, 1—4 mit dem Folgenden zu verbinden, und fruchtbar
nicht minder. So werden die drei erften Worte von
11, 3, gewifs dem urfprünglichen Texte fremd, doch überraschend
fchön gedeutet und verwerthet: man fieht
überall, dafs der Verf. sein Beftes thut. Sein Verfahren
ift dies, dafs er, echt predigtmäfsig, aus jedem Abfchnitt
einen Grundgedanken gewinnt und diefen von allen Seiten
beleuchtet. Schon die ihn bezeichnenden Ueberfchriften
geben viel zu denken: fo wenn c. 5 heifst: ,der Weinberg
des Herrn, oder wahre Vaterlandsliebe das Bewufst-
fein von unferes Landes Sünden'; c. 7—9, 8 ,König und
Meflias; Volk und Kirche'; c. 10, 5—34 .Atheismus der
Gewalt und Atheismus der Furcht'; c. II. 12 ,der Geift
Gottes inMenfch undThieren'; c. 30 .Politik und Glaube';
c. 23 ,Tyrus; oder der Krämergeift'. Da Jefaia's Reden
überwiegend Bufspredigten find, fo kann es nicht fehlen,
dafs gerade da des Verf.'s Ausführungen fich zur ge-
waltigiten Wirkung erheben, wo er aus jener Vaterlandsliebe
heraus die Sünden feines eigenen Landes durch
den Propheten beleuchten läfst. Ich hebe hervor ,land-
qjiestion' und ,liq7io>--qu£Stion' bei c. 5, von dem .Krämergeift
' unter c. 23, auch Jefaia an die Frauen', wo im An-
fchlufs an 32, 9 — 20 fmöStt» und tflnttt) Gedanken-
lofigkeit als der Grundfehler des weiblichen Gefchlechts
in fchlagender und ergreifender Weife dargethan wird.
Es braucht kaum gefagt zu werden, wie uns dem gegenüber
nicht des Pharifäers, fondern des Zöllners Rolle
zukommt: es läfst fich von Smith's Predigt nur gar zu
viel in jedem Sinne ins Deutfche überfetzen, und wie
gut wäre es, wenn ein Berufener einmal Jefaia auch zu
unferem Volke fo wollte reden laffen.

Die Behandlung ift von den oben dargelegten Grund-
fätzen aus eine durchaus freie, von fynthetifcher Predigt
weit entfernt. Nachdem er in des Propheten Zeit jedesmal
erft feiten Fufs gefafst hat, ergeht fich des Verf.'s
Blick durch alle Zeiträume, und alles wird herbeigezogen,
was Nutzen abwirft. So mag es uns überrafchen, wenn
zu Jefaia's Berufung (c. 6) die Selbftbiographie eines
Mazzini ausführlich verglichen wird (S. 83 ff.); aber es
wird fich nicht leugnen laffen, dafs davon ein über-
lafchendes Licht zurückfällt auf des Propheten Erfahrungen
und diefe dadurch umgekehrt weit fruchtbringender
werden für unfere eigene Zeit. Wollen wir danach gerne
unferen engeren Standpunkt international ausweiten laffen,
fo können doch auch Irrthümer dabei unterlaufen, z. B.
müffen wir Deutfchen entfehiedenen Einfpruch dagegen
erheben, wenn S. 39 Heine in einer glänzenden Reihe
als Beifp'iel eines wahren Patrioten genannt wird. — Sehr
dankenswerth ift es, dafs der Verf. zwifchen die Auslegung
hie unddazufammenfaffende Capitel eingefchoben
hat, 4 an der Zahl: ,Die Welt in Jefaia's Tagen'; ,der
Meffias'; Jefaia's Gabe der Vorherfage und was ift aus
ihr über den Charakter der Infpiration zu entnehmen?'
endlich .Hatte Jefaia ein Evangelium für das Individuum?'
Schon aus der Frageftellung wird man erfehen, dafs der
Verf. feine Probleme fehr tief greift, und in der That
wird gerade aus diefen Abfchnitten felbft der Fachmann
reiche Belehrung fchöpfen, da der Prediger oft fchärfer
blickt, als der Exeget, der fich nur zu oft in den Einzelheiten
verwirrt. Wer nur das kurze Capitel vom Meffias
(S. 131 —144) gelefen hat, wird fich dem Eindruck
von der Bedeutung diefes Buches nicht entziehen können.
Soll ich aufserdem ein Beifpiel nennen, fo fcheint mir
die Formulirung S. 181 ein wahres Meifterftück: ,Der
Meffias als Immanuel ein blofses Erleben, als Viernamen-
fürft (c. 9, 5) That und Verheifsung, aber endlich (c. 11,1 ff.),
und mit grofsem Nachdruck, ein Charakter'. Sehr fein ift
auch das Verftändnifs des Zeichens in 7, 14 (S. 114 f.),
wie durch Ahas' Verftockung eine wefentliche Aenderung
in deffen Tragweite eintritt; ferner vgl. man S. 194 f.
über das Verhältnifs von 11, 10 ff. zu Ii, 1—9, und vieles

andere. Selbft ohne Nutzen für die Auslegung wird niemand
das Buch aus der Hand legen; vor allem aber
wird jeder eine wahre Erquickung und Erhebung, einen
Antrieb zu allem Guten davon mitnehmen: warm und
feurig, wie es gefchrieben ift, nicht aus dem Verftande,
fondern aus dem Herzen.

Der billige Preis bei vortrefflicher Ausftattung wird
hoffentlich mit dazu beitragen, dem Buche auch bei uns
viele Lefer zu gewinnen; das Befte aber wäre, wenn es
bei uns würdige Nachfolge fände.

Die Zeittafel zu Anfang und die beiden Inhaltsver-
zeichnifse am Schluffe erleichtern den Gebrauch wefent-
lich; dagegen ift die von den Verlegern dem 5. Capitel
beigegebene Weltkarte des Buches unwürdig und
Sollte entfernt oder durch eine beffere erfetzt werden.

Strafsburg i/E. K. Budde.

Le Savoureux, Eugene, Le prophete Joel. Introduction
critique, traduetion et commentaire avec un index
bibliographique publie d'apres les notes de Eugene
le Savoureux par Ant. J. Baumgartner. Paris,
Fischbacher, 1888. (2, 158 S. 4.)

,Die Aufzeich ungen, die wir hiermit veröffentlichen,
find aus den von Herrn Eug. le Savoureux, Geiftlichen
der reformirten Kirche Frankreichs, hinterlaffenen Papieren
gefchöpft. Unferer Meinung nach können fie den
Studirenden unferer Facultäten von befonderem
Nutzen fein; fie fetzen fich zum Ziel, ihnen eine Präparation
gleichzeitig vom praktifchen und wiffenfehaft-
lichen Gefichtspunkt aus zu bieten und find geeignet, fie
die Schönheiten einer der hervorragendften Schriften des
hebräifchen Kanons würdigen zu lehren. Dies Ziel war
ficherlich das des Verfaffers felbft, der fo viel irgend
möglich zu fehr ins einzelne gehende Auseinanderfetzun-
gen vermieden hat, um fich an das Wefentliche zu halten
, und der den Nachdruck vor allem auf das gram-
matifche und lexikographifche Element gelegt hat, jedoch
gleichzeitig fich beftrebte, den Grundgedanken, den eigentlichen
Sinn des Buches Joel reinlich zum Vorfchein zu
bringen'. So der Herausgeber, nur habe ich mir erlaubt,
einige Worte zu fperren. Daraus ergiebt fich fchon, dafs
das Buch nichts Neues bringen will, und nehmen wir
hinzu, dafs die zu Grunde liegenden Aufzeichnungen
noch unfertig und in diefer Geftalt nicht zum Druck benimmt
waren, fo kann dem Buche über den bezeichneten
engen Kreis hinaus keine erhebliche Bedeutung beige-
meffen werden. Um es gerecht zu würdigen, mufs man
berückfichtigen, wie wenig umfangreich die franzöfifche
Commentar-Literatur zum A. T. bis auf den heutigen
Tag geblieben ift.

Die Einleitung ift (vgl. das Zugeftändnifs des Herausgebers
S. 10) befonders unzulänglich und wohl unfertig.
Der, vom Standpunkt feiner Zeit von Credner fo glänzend
begründete, Anfatz in der Zeit der Unmündigkeit des Joas
(um 870 oder nach den Keilfchriften 840, beffer 830) wird
als der einzig mögliche hingeftellt und nur ganz kurz begründet
. Die für fpätere Entftehung ftimmen, werden
S. 7 f. nichts weniger als vollzählig, ganz in Baufch und
Bogen, mit Uebergehung aller Gründe dafür aufgezählt
und für ihre Widerlegung einfach auf Brufton und Montet
verwiefen. Und bei feiner Meinung von Joel's hohem
Alter kann der Verf. doch S. 11 fagen, dafs diefe Reden
augenfeheinlich in der Stille der Zurückgezogenheit ver-
fafste Kunftwerke feien, nicht öffentlich vorgetragene Im-
provifationen. Wie reimt fich das ? Dafs das Buch Joel
,hinfichtlich der Kunft und dichterifchen Eingebung un-
ftreitig das vollkommenfte Werk des A. T.'s' fei (S. 10),
ift gewifs fehr viel gefagt. Die Auslegung verfährt, als
ob Wörterbuch und Grammatik nicht beftünden, und das
ift doch auch pädagogifch fchwerlich das Richtige, hat
aber vor allem zur Folge, dafs das Hauptgewicht auf