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Ausgabe:

1889 Nr. 1

Spalte:

11-16

Autor/Hrsg.:

Luthardt, Chr. Ernst

Titel/Untertitel:

Geschichte der christlichen Ethik 1889

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Ii Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 1. 12

fo gemacht und dann, wenn er (ich dazu berufen fühlte
eine Dogmatik auf eigene Hand gefchrieben!

Leipzig. Härtung.

Luthardt, Dr. Chr. Ernft, Geschichte der christlichen Ethik.

1. Hälfte: Vor der Reformation. Leipzig, Dorffling &
Franke, 1888. (XII, 335 S. gr. 8.) M. 9.—
.Meine Abficht war, die Grundlage für eine Darftel- I tiken Moral. — Diefe etwas fummarifche Abfertigung

zu Gott, der abfoluten fittlichen Perfönlichkcit, — in der
Antike, wie im Heidenthum überhaupt, um das Verhält-
nifs zur Natur handelt. Daraus ergeben fich denn auch
als nothwendige Folgerung die Schranken der antiken
Faffung des Sittlichen, nämlich die Relativität, Vereinzelung
, Naturhaftigkeit und Ungleichheit desfelben. So
bleibt der fittliche Naturgrund wie er ift, d. h. die natürliche
Selbftheit, die Selbftfucht, als das Princip der an-

lung der Ethik felbft zu liefern, welche m. E. ebenfo 1 nimmt thatfächlich die im Einzelnen geäufserten, billige-
gefchichtlich begründet sein mufs, wie die Dogmatik, um j ren Urtheile zurück, um auf diefem dunkeln Hintergrunde
mit gleicher wiffenfehaftlicher Berechtigung diefer zur das Idealbild der chriftlichen, ja überhaupt der biblifchen
Seite zu ftehen'. Aus diefen Worten erhellt, dafs die j Ethik um fo leuchtender hervortreten zu laffen. Unter
uns von L. gebotene Gefchichte der Ethik nicht Selbft- ; dem allgemeinen Titel der .heidnifchen Moral', der ,heid-
zweck, fondern Einleitung zu einer Darfteilung des Sy- ' nifchen Grundlage', des ,Heidenthums' (18. 21. 22 und
ftems der chriftlichen Ethik fein foll. Wenn L. daran j öfters), finken die Unterfchiedc, welche etwa zwifchen
erinnert, dafs er nicht ,Hiftoriker von Fach' ift, fo ift der der platonifchen oder ftoifchen Ethik und der Volks-
Standpunkt, den er einnimmt, dem Unterzeichneten von moral beftehen, zur verfchwindenden Gröfse herab. Dies
vornherein willkommen, da derfelbe ebenfalls die hier zu • bewährt fich auch an der Erörterung über den Buddhis-
befprechenden Gegenftände mehr vom Gefichtspunkt der mus, welche als Anhang in völliger Vereinzelung auftritt
fyftematifchen Theologie betrachtet und bearbeitet hat. ; (21—26), eine Einfügung, die nicht den Hiftoriker verräth,
Dafs aber nichtsdeftoweniger die hiftorifche Methode an- j der die Thatfachen und Lehren in ihrem pragmatifchen
zuwenden und nach den Grundfätzen der Gefchichts- j Zufammenhang zu erfaffen ftrebt, fondern den Apologeten,
wiffenfehaft zu verfahren fei, wird L. gewifs nicht in Ab- ! welcher von vornherein die unzweifelhafte und unbedingte
rede ftellen wollen. Ueberlegenheitder israelitifchen, wie chriftlichcnSittenlchre

Das vorliegende Werk zeichnet fich durch die Eigen
fchaften aus, welche alle Schriften L.'s charakterifiren:
vielfeitige Belefenheit, allgemeine Beherrfchung des Stoffes
, lichtvolle Darftellung, merkwürdige Gewandtheit, dem

zu beweifen beabfichtigt. — Der Uebergang von der .heidnifchen
Moral' zur israelitifchen Ethik wird durch die Bemerkung
vermittelt, welche fich als Refultat der früheren
Betrachtungen ergiebt: ,Nur das perfönliche Verhält-

Lefer über fchwierige Probleme hinweg zu helfen, ohne j nifs zum perfönlichen Gott trägt in fich die Kraft wahrer
ihn in das Detail längerer, vielleicht fchwieriger und müh- ! Sittlichkeit . . . Diefes perfönliche Verhältnifs aber mufs
famer Unterfuchungen einzuführen, grofse, der Mehrzahl I eine That Gottes felbft fein, auf die der Menfch religiös
des Publicums ftets imponirende Sicherheit in den Be- eingeht, um diefes Verhältnifs dann im fittlichen Verhalten
urtheilungen oder Behauptungen, bewunderungswürdige | entfprechend zu bethätigen. Das war es, was Israel vor
Gabe einfacher und edler Popularität, welche doch Hand den anderen Völkern voraus hatte'. Von diefem Ge

in Hand geht mit einer, ich möchte fagen, ariflokratifchen
Haltung und einem durchaus vornehmen Ton. L. verlieht
es, wie wenige, das Intereffe des Lefers zu feffeln
und bis zur letzten Seite ungemindert rege zu erhalten.
Auch wird es wohl einen Jeden drängen, zunächfl dem
Verf. für feine fchöne, werthvolle Gabe aufrichtig zu
danken, denn es ift ein Genufs, fich von ihm belehren
zu laffen. Fühlt fich Ref. veranlafst, hier in erfter Linie
feinem Diffenfus Ausdruck zu geben, fo möge der geehrte
Verf. diefen Verfuch einer kurzen Auseinander-
fetzung über einige Punkte als eine Anerkennung des
Werthes feiner ebenfo inftruetiven als anziehenden Schrift
entgegennehmen.

Diefelbe umfafst die ,erfte Hälfte' der Gefchichte der

fichtspunkt aus behandelt L. die israelitifche Ethik, welche
in ihrer Entwickelung zwei Stufen durchgemacht hat, die
der altteftamentlichcn Moral und die des particulariftifchen
Nomismus. Die unüberbrückbare Kluft, welche zwifchen
beiden Entwickclungsmomenten befteht, erklärt fich aus
dem einzigartigen Charakter der kanonifchen Zeit und
Literatur, an welchen das Aufser- und Nachkanonifchc
nicht hinanreicht. Die Anficht, aus dem Polytheismus
heraus habe fich der Monotheismus, und aus dem na-
turaliftifch gedachten Nationalgott der ethifch gedachte
Gott der Welt entwickelt, ift der Grundirrthum der modernen
.Entwickelungstheorie' (27 — 29). Sehr fchön ift
die Beleuchtung der ethifchen Grundgedanken der Pro-
phetie und der Pfalmen, welchen nach der hergebrach-

chriftlichen Ethik. Sie führt die Darftellung bis zum Hu- j ten Conftruction der Gefchichte Israels die Erörterungen

manismus. Die reformatorifche und nachreformatorifche
Ethik bleibt einem weiteren Bande vorbehalten.

DerUeberblick über die Gefchichte der antiken Ethik
S. 1—21), welchen L. der Vollftändigkeit halber voraus-
fchickt, mag hier unberückfichtigt bleiben; er bietet die
Zufammenfaffung der Refultate, welche der Verf. in feiner
früheren Schrift: Die antike Ethik in ihrer ge-
fchichtlichen Entwickelung (1887), dargelegt und begründet
hatte. Des Eindrucks, den ich aus letzterem Buch
gewonnen, konnte ich mich auch bei der Leetüre diefer
gedrängten Ueberficht nicht erwehren. Trotz feines Be-
ftrebens, der antiken Ethik volle Gerechtigkeit widerfahren

über das Gefetz vorangehen. Wenn letzteres treffend
als Gnadenoffenbarung aufgefafst wird, fo mufs die neu-
teftamentliche, fpccicll paulinifche Beurthcilung desfelben.
welche L. in die hiftorifche Darfteilung eingeflochten hat.
als Eintragung und Umdeutung zurückgewiefen werden.
L. tritt für die reformirte Eintheilung des Dekalogs ein.
welchen er aber gewifs unrichtig an den Einzelnen
nicht an das Volk gerichtet fein läfst. Bei der fcharfen
Scheidung der kanonifchen und nachkanonifchen Zeit,
welche L. angelegentlichft betont, gleicht der grofse Um-
fchwung der israelitifchen Ethik zum particulariftifchen
Nomismus einem ganz unerklärlichen Verhän^nifs. Auch

zu laffen, wird L. wohl fchwerlich von dem Vorwurf ein- j in der Beurtheilung der einzelnen Schriften und Erfchei

feitiger Beurtheilung freigefprochen werden können. Indem
er von vornherein feinen Standort innerhalb der
chriftlichen Ethik einnimmt, legt er nicht feiten an die
Erfcheinungen der aufserbiblifchen Sittenlehre Mafsftäbe

nungen giebt fich eine unläugbare dogmatifche Befangenheit
zu erkennen. Ift die Klugheitsmoral und der Eudämo-
nismus, den L. im Buche Sirach findet, nicht auch in vielen
Proverbien der kanonifchen Sammlung zum Ausdruck

an, welche der eigenthümlichen Natur und den treiben- 1 gekommen? Athmet etwa das Buch Efther einen von
den Grundmotiven des griechifchen oder römifchen Ethos dem des Buchs Judith welentlich verfchiedenen Geift?
nicht entfprechen. Der Ertrag der hiftorifchen Unter- Wird das eigenthümliche Merkmal der pharifäifchen
Eichung wird $ 8 (Die Schranken der antiken Mo- Moral wirklich dadurch charakterifirt, dafs man diefelbe

ral gegenüber der chriftlichen) dahin formulirt, dafs
es fich im Chriftenthum um das perfönliche Verhältnifs

als eine Naturalifirung der Ethik, wie die antike heid-
nifche, fafst?