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Ausgabe:

1889 Nr. 11

Spalte:

281-283

Autor/Hrsg.:

Boor, Carolus de

Titel/Untertitel:

Vita Euthymii 1889

Rezensent:

Krüger, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 11.

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fie auch nicht. Das Wenige, was fie in diefer Beziehung
etwa über die Anfchauungen der Kopten vom Leben
nach dem Tode und der Hölle bieten, hat der Heraus- j
geber in der Vorrede angeführt und befprochen. Aufser !
dem Martyrium des Heiligen, das angeblich von feinem
Diene* Palikrates herrührt, fowie Fragmenten einer fahi-
difchen Verfion desfelben, erhalten wir ein Enkomium
vom Bifchof Theodotus von Jerufalem, der vielleicht
identifch ift mit jenem aufrührerifchen Mönch aus der Zeit
der nachchalcedonenfifchen Wirren in Paläftina, und ein
anderes, fehr ausführliches, vom Bifchof Theodotus von
Ancyra, in welchem das erftgenannte vielleicht benutzt ift.
Dazu Berichte über Wunderthaten des Heiligen.

Mit Bedauern lefen wir, dafs die dritte Nummer
diefes an fich fo verdienftlichen Unternehmens dazu benimmt
ift, auch noch den fyrifchen Text des Martyriums
zu bringen. Die Frage wird berechtigt fein, wozu Geld
und Arbeit darauf verfchwendet werden foll? Man wird
Nichts daraus kennen lernen, als vielleicht kleine Varianten
des koptifchen und fyrifchen Textes. Möchten doch
die reichen Mittel, die den Unternehmern diefer Oricntal
Text Scries gewifs zu Gebote ftehen, dazu verwendet
werden, uns wichtigere Quellen der orientalifchen Kirchen-
gefchichte zu erfchliefsen, ftatt uns diefelben Heiligen-
gefchichten noch einmal, nur mit ein bischen anderen
Worten, aufzutifchen.

S. NXXII. Anm. lies Thiel ftatt Theil.

Giefsen.___G. Krüger.

Boor, C. de, Vita Euthymii. Ein Anecdoton zur Gefchichte
Leo's des Weifen a. 886—912. Hrsg. von C. de B.
Berlin, G. Reimer, 188S. (VIII, 232 S. gr. 8.) M. 5. —

Diefe Publication ift von grofsem Werth, da fie uns
in mehr als einer Beziehung wichtige Auffchlüffe über
eine intereffante Periode der byzantinifchen politifchen
und Kirchengefchichte bringt. So weit es das bisherige
Material zuliefs, hat Hergenroether in feinem Photius
eine zutreffende Darftellung auch der Ausgänge des
photianifchen Schisma's, die in die von de Boorbezw.
von dem durch ihn herausgebenen Autor behandelte
Zeit fallen, gegeben. Die Fragezeichen, die er felbft an
einigen Punkten machen mufste, werden überrafchend be-
ftätigt, zugleich aber auch weggefchafft durch Angaben
unferes Fragments, ein neuer Beweis für die Vortrefflich-
keit feiner Arbeit.

Ein Fragment ift es leider, was uns de Boor bietet.
Von der Lebensgefchichtei des Patriarchen Euthymius,
der vom Kaifer an Stelle des verbannten Nikolaos 907
berufen, nach feinem Tode aber wieder abgefetzt wurde,
ift leider faft die Hälfte verloren gegangen. Doch find
zum Glück die wichtigften Partien erhalten geblieben,
diejenigen nämlich, die auf die römifch-byzantinifchen
Streitigkeiten, den tetragamiftifchen Streit und das Verhalten
des Patriarchen Nikolaos ein Licht zu werfen geeignet
find.

Nach de Boor — und ich habe keine Veranlaffung
gefunden, ihm an irgend einem wefentlichen Punkte zu
widerfprechen — gehörte der Verfaffer des Anekdotons
zu den Mönchen des von Euthymius gegründeten und
geleiteten Pfamathiasklofters. Der Charakter der Biographie
fpricht für die Abfaffung durch einenMitlebenden,
der als Hauptquelle noch eigene Mittheilungen des
(917 verdorbenen) Euthymius benutzen konnte. Frühefter
Termin der Abfaffung ift aber 921. Veranlaffung ift
vielleicht die damals ftattfindende Einigung der Nico-
laiten und Euthymianer gewefen; jedenfalls liegt die
Bitterkeit der Zeit des Kampfes hinter dem Schreibenden
. Sein Zweck ift nicht eigentlich, Zeitgefchichte zu
fchreiben. fondern ein übrigens verhältnifsmäfsig nüchternes
, von der üblichen panegyrifchen Ueberfchwäng-
lichkeit freies Lebensbild feines Helden zu entwerfen.
Aber die Rolle, die Euthymius mit und wider Willen als

Beichtvater Leo's und fpäterer Patriarch in den öffentlichen
Angelegenheiten gefpielt hat, zwingt doch zu
öfterem Eingehen auf allgemeine Verhältnifse und Begebenheiten
.

Der chronologifchen Datirung der Ereignifse diefer
Zeit war bisher die Chronik des Symeon Magifter zu
Grunde gelegt worden, der wiederum einen etwa 50 Jahre
nach den Vorgängen lebenden Logotheten ausgefchrieben
hat. Unfere Biographie, von den'chroniftifchen Werken
ganz unabhängig, erweift fich hier trotz ihrer wenigen
genaueren chronologifchen Angaben als ein fehr wichtiger
Corrector, deffen Zuverläfügkeit fich mehrfach hat
erproben laffen. De Boor hat auf S. 126. 127 eine
Tabelle der wichtigften Ereignifse von der erften Ehe
Leo's (Winter 881 2) bis auf den Tod des Euthymius
(5. Aug. 917) zufammengeftellt. Ich flehe nicht an, die
Unterfuchung, die ihn zu diefen Refultaten geführt hat,
als eine mufterhafte zu bezeichnen. Sehr wichtig ift die
nunmehr möglich gewordene fefte Datirung des Todes
des Patriarchen Antonius auf den 12. Febr. 901, den man
bisher 895 oder 896 anfetzte. Bereits die Patriarchen-Kataloge
, die Fifcher in den Conuncnt. philo/. Jenenses III.
S. 265 f. aus Wiener Handfchriften veröffentlicht hatte
(1884), ergaben das Jahr 901, und die Darftellung unferer
Biographie beftätigt es. Diefe Datirung ift wichtig, weil
die Befeitigung des Photianifchen Schisma's und die
Verhöhnung zwifchen der occidentalifchen und orientalifchen
Kirche diefem Patriarchen zugefchrieben, alfo
z. B. von Hergenroether vor 895 gefetzt wird. Nun
haben aber Zwiefpältigkeiten notorifch noch bis zum
Ende des Jahrhunderts beftanden, und Hergenroether
mufste zu dem Nothbehelf greifen, definitiv fei die
Spaltung erft unter Nikolaos beigelegt worden, wovon
wieder unfere Quellen nichts wufsten. In diefe ganze
Sache ift neues Licht gebracht worden. Ganz be-
fonders gilt das von der Correfpondenz, die zwifchen
Byzanz und Rom zur Zeit des Formofus betreffend die
Anerkennung der von Photius geweihten Geiftlichen,
insbefondere des Patriarchen Stephanus, gepflogen wurde.
Es wird klar, was man bisher nur einer nicht ganz
deutlichen Bemerkung des päpftlichen Briefes entnehmen
konnte, dafs Photius vom Kaifer thatfächlich
zur Abdankung gezwungen worden war, worin eine
frühere Anerkennung des Patriarchen, den der Papft ja
nur als Laien und Ufurpator betrachtete, lag. Stylian
von Neocaefarea hat das verfchwiegen und fchillernd
von einem e^oattfjvai des Patriarchen ftatt einer Trctquizr^te.
gefprochen. Die Verzögerung, welche die Unterhandlungen
erlitten, erklärt fich daraus, dafs der Papft über
diefen Punkt erft Gewifsheit haben wollte.

Unfere Biographie ermöglicht aber auch ein befferes
Vcrftändnifs der Charaktere der hauptbetheiligten Per-
fönlichkeiten aus der Gefchichte diefer Zeit. Leo VI.
tritt in ein günftigeres Licht, als man ihm bisher gegönnt
hatte, fowohl als Regent wie als Menfch. Der
Patriarch Nikolaos dagegen, den noch Hergenroether
bei aller Referve, die ihm fein römifcher Standpunkt
auferlegte, als einen mufterhaften Patriarchen gefchildert
hatte, als einen ftandhaften Vertreter kirchlicher Zucht
und Lehre gegen die kaiferliche Willkür und Zuchtlofig-
keit, befteht die Prüfung nicht fo gut. De Boor macht
es nach unferer Biographie wahrfcheinlich, dafs er geradezu
in hochverrätherifche Pläne gegen den Kaifer verwickelt
war. Er erzählt S. 184—188 in gedrängter Folge den
Gang der Ereignifse, die mit dem tetragamiftifchen Streit
verknüpft find, worauf ich hier in der Kürze verweifen
mufs. Nur foviel, dafs auch de Boor nicht verkennt,
es mit einer dem Nikolaos ungünftig gefinnten und defs-
halb mit Vorficht zu benützenden Quelle zu thun zu haben.
Dafs auf manche uns bisher nur oberflächlich bekannte
Perfönlichkeiten helle Streiflichter fallen, mag beiläufig
erwähnt werden.

Die Ausgabe des griechifchen Textes (S. 1—78)

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