Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1889

Spalte:

273-274

Autor/Hrsg.:

Windelband, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Geschichte der alten Philosophie 1889

Rezensent:

Duemmler, Ferdinand

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. zu Berlin, und D. E. Schürer, Prof. zu Giefsen.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N°- 11. i> Juni 1889. 14. Jahrgang.

Windelband, Gefchichte der alten Philofophie

(Dümmler).
Steck, Der Galaterbrief (Weiffenbach).
Lemm, Koptifche Fragmente zur Patriarchen-

gefchichte Alexandriens (Krüger).
Oriental text series. L The Martyrdom and Mi-

racles of Saint George of Cappadocia. The

Coptic texts ed. by Budge (Krüger).
Boor, Vita Euthymii (Krüger).

Schaff, History of the Christian church, vol.

VI (Benrath).
Koldewey, Beiträge zur Kirchen- und Schul-

gefchichte des Herzogthums Braunfchweig

(Bornemann).
Wolfsgruber, Jofeph Othmar Cardinal Rau-

fcher (Reufch).
Cave, The infpiration of the Old Testament

(Härtung).

Schäfer, Leitfaden der inneren Miffion, 2. Aufl.
(Stromberger).

Schwalb, Gebrechen und Leiftungen des kirchlichen
Protedantismus, Kanzelreden (Bafler-
mann).

Hoerfchelmann, Halte was du halt, Predigten
(Wächtler).
Kurzgefafste Mittheilungen.

Windelband. Prof. Dr. W., Geschichte der alten Philosophie
. [Aus: »Handbuch der klaff. Altertumswiffen-
fchaft'.] Nördlingen, Beck, 1888. (VI, 220 S. gr. 8.)
M. 4. —

Sorgfältig find die Abfchnitte über Piaton und Ari-
ftoteles. Ueber Einzelheiten läfst fich ja mit einem
Grundrifs, welcher die Aufgabe hat, von den uäliara
nualoyovt.t£va dasjenige, was dem Verfaffer am ficherften
fcheint, dem Lefer zu bieten, nicht rechten, namentlich

Der Herr Verfaffer bekennt im Vorwort, dafs ihn , in Gebieten, wo die Meinungen fo weit auseinander gehen,

ein früheres Erfcheinen von Zeller's Grundrifs von fei- | Indefs dürfte fich dieUnechtheit des unter Platon's Namen

nem Unternehmen abgehalten haben würde. Als ein überlieferten Hippias I, Politikos und Sophiftes nicht

dringendes Bedurfnifs ift das Buch denn auch jetzt nicht . aufrecht erhalten laffen. Dafs der Sophiftes gegen eine

mehr zu bezeichnen, doch ift es im ganzen denen ein j frühere Form der platonifchen Ideenlehre Kritik übt,

zuverläffiger Führer, welche mit geringem Zeitverluft j vertritt der Herr Verfaffer S. 117 fehr richtig,
über die Hauptlehren der griechifchen Philofophen, fowie Auch die auf S. 109 verfuchte Zerlegung des plato-

uber die wichtigfte Literatur orientirt zu fein wünfchen. i nifchen Staates dürfte einer kritifchen Prüfung fchwer-

Einzelne Ungleichmäfsigkeiten in der Literaturangabe
kann man einem kurzgefafsten Handbuche nicht zum
Vorwurf machen. Die Benutzbarkeit des Buches würde
wefentlich erhöht werden durch Wegfallen des doppelten
Druckes. Diefe Einrichtung ift von Ueberweg übernommen
und ftammt wol urfprünglich von der mifslichen
Angewohnheit, im Colleg zuerft das Wichtigfte zu dic-
tiren und dann das Dictat zu erläutern. Auch eingehendere
Columnentitel fowie ein Index wären wünfchens-

lieh Stand halten. Ich glaube allerdings auch an eine
Entftehung des Staates in einzelnen, durch längere Zeiträume
getrennten Abfchnitten, von denen ich die letzten
(b. VI. VII) etwa dem Theaetet gleichzeitig, das heifst
in die fechziger Jahre, fetzen möchte. Doch fcheint mir
der Nachweis der einzelnen Commiffuren oder ein jäher
Uebergang kein ficheres Kriterium der Scheidung. Solche
Unregelmäfsigkeiten finden fich oft mitten in Abfchnitten
, welche in einem Zuge gefchrieben find, wie man

werth. Naturgemäfs richtet fich in einem Handbuch I an jedem gröfseren modernen Werke nachprüfen kann.—

Ein hörender Druckfehler findet lieh in der platonifchen
Phyfik S. 130 Z. 1 v. o., wo es Rechtwinkligen Dreiecken
' ftatt »Rechtecken' heifsen mufs.

Die Darfteilung ift nicht immer glatt. S. 11 geräth
die Subftanz des Volksbewufstfeins ins Wanken, S. 91
lebt Demokrit in feiner Heimath niedergelaffen und hochgeehrt
, S. 12 Anm. 3 Kontinuierlichkeit ltatt Continuität
oder Stätigkeit.

Philologifch die bedenklichfte Stelle findet fich auf
S. 24: ,Die ÜqxV iÄ ^as ttntioov. Das Wichtigfte bei
diefer Wendung ift, dafs hier zum erften Mal der Schritt
aus dem Konkreten in das Abftrakte, aus dem Ander
den einzelnen Gebieten zugemeffene Raum nicht
nach der fachlichen Wichtigkeit derfelben, fondern nach
dem Grade der Verarbeitung, welche fie erfahren haben;
in vorliegendem Grundrifs jedoch ift das Mifsverhältnifs
in der Behandlung der einzelnen Perioden etwas ftärker,
als fich aus diefem Gefichtspunkte rechtfertigen läfst:
S. 172 fchliefst die Befprechung der ariftotelifchen Philofophie
, die Stoa erhält dann 9 Seiten und der Epikure-
ismus deren 5! Das macht wieder unwillkürlich den
Eindruck, als ob das Semefter fich mit Riefenfchritten
feinem Ende nähere.

Bei der Anordnung des Stoffes ift fehr anerkennens-
werth, dafs Demokrit chronologifch richtig angefetzt, und I fchaulichen in das Begriffliche gemacht wird: Anaxi

demgemäfs erft mit Piaton zufammen behandelt wird.
Hierdurch wird eine im ganzen zutreffende Würdigung
der Genefis feines Syftems möglich. Nur dürfte S. 97
die Uebereinftimmung zwifchen Demokrit und Empedo-
kles in Hauptpunkten der Wahrnehmungslehre nicht als
Abhängigkeit D.'s von E. gefafst werden. Die Lehre
pafst organifch zur Atomiftik, aber nicht zur continuir-
lichen Materie des Empedokles. Diefer ift alfo hier bereits
von Leukipp abhängig.

Eine empfindliche Lücke ift das Fehlen des Diogenes
von Apollonia. So wenig diefer Philofoph auch fpecu-
lativ Originelles bietet, fo wichtig ift er doch für die
Gefchichte der Philofophie geworden. Vgl. den von
Herrn Prof. W. nicht angeführten Auffatz von Diels
Rhein. Muf. 42, S. 1 ff.

273 274

mander erklärt das finnliche Gegebene durch ein Gedachtes
. Er ift fich durchaus bewufst, dafs dies aneiqnr
von allen wahrnehmbaren Stoffen verfchieden ift; er
nennt es ausdrücklich atöiov — unwahrnehmbar'. Sollte
hier uidiog {sempiterniis) aufgefafst fein als zufammen-
gefetzt aus a privativum und idehv? Da das Buch doch
wohl von Examinanden benutzt werden wird, fo könnte
das leicht ein Unglück geben. Freilich bedürfen wohl
theologifche Candidaten am wenigften der Warnung vor
diefem Fallftrick.

Giefsen. Ferdinand Dümmler.