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Ausgabe:

1889 Nr. 9

Spalte:

239-241

Autor/Hrsg.:

Döllinger, Joh. Jos. Ign. v.

Titel/Untertitel:

Ueber die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen. 7 Vorträge 1889

Rezensent:

Fay, Friedrich Rudolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 9

240

Weiter auf die Sache einzugehen, ift hier nicht am
Platze; ich verweife auf meinen Index II, 1135 und auf
die ausführlichere Darftellung im ,Deutfchen Merkur' 1888,
Nr. 16—20; 1889, No. 11. Die oben verzeichneteBrofchüre
bringt nichts Neues zur Sache. Der Verf. befchränkt fich
auf die Bemerkung, eine Reihe von Sätzen, die er aus
dem Regifter der neuen, von Leo XIII. veranlafsten
Ausgabe der Summa des Thomas von Aquin excerpirt,
habe man ebenfo gut verdammen können wie die Sätze
Rosmini's. Von S. 11 an folgen Bemerkungen über die
Encyklika Leo's XIII. über die Freiheit (vom 20. Juni
1888), die fich aber auch im wefentlichen auf den Nachweis
befchränken, dafs der Papft unter Freiheit im allgemeinen
und Freiheit der Rede, der Lehre, des Cultus u. s. w.im be-
fonderen etwas ganz anderes verfteht als ein italienifcher
Liberaler. — Es ift dankenswerth, dafs der Redaction der
Literaturzeitung ein Recenfions-Exemplar der Schrift
überfandt worden ift; aber eine grofse Verbreitung in
Deutfchland hat fie nicht zu erwarten.

Bonn. F. H. Reufch.

Döllinger, J. v., Ueber die Wiedervereinigung der christlichen
Kirchen. Sieben Vorträge, gehalten zu München
im J. 1872. Nördlingen, Beck, 1888. (VII, 140 S. 8.)
M. 2. —

Als Döllinger im Jahre 1872 diefe Vorträge über die
Wiedervereinigung der chriftlichen Kirchen in München
hielt, war die Freude darüber in evangelifchen Kreifen
eine ganz allgemeine und herzliche, denn der hohe, vom
Geifte wahrhaft chriftlicher Liebe getragene Idealismus,
welcher fich darin ausfprach, machte einen erhebenden
Findruck. Jahre find feither vergangen und in diefen
Jahren ift die Kluft zwifchen unferer evangelifchen und
der römifch-katholifchen Kirche breiter und tiefer geworden
. Was aber ,das Verhältnifs der anatolifchen
Kirchen zur römifchen Kirche' betrifft, fo konnte es dem
hochverehrten Verfaffer ,damals noch zuläffig fcheinen',
dasfelbe ,unter den Gefichtspunkt einer fehr weitreichenden
inneren Verwandtfchaft und Uebereinftimmung zu

ftellen.....Nun ift aber im Verlauf von 16 Jahren die

Bedeutung und Tragweite der vaticanifchen Decrete in
ein helleres Licht getreten; es zeigt fich, dafs die Differenzpunkte
zwifchen beiden Kirchen fich theils verfchärfen,
theils vermehren. Jene Hoffnungen einer Verftändigung
und Einigung, welche man früher hegen konnte, erweifen J
fich als Elutionen und die beide Kirchen trennende Kluft
erweitert und vertieft fich immer mehr' (S. IV). Weniger
als je, find demnach gerade jetzt Ausfichten auf Wiedervereinigung
vorhanden, obwohl die feltfame Meinung
weit verbreitet ift, dafs die Welt fich nicht glücklich
genug fchätzen könne, in Leo XIII. einen ,Friedenspapft'
zu befitzen. Trotz diefer ungünftigen Zeitverhältnifse
freuen wir uns, dafs Döllinger's Vorträge über die
Wiedervereinigung der chriftlichen Kirchen jetzt und
zwar noch von ihm felbft beforgt, erfchienen find. Nach
ftenographifchen Aufzeichnungen zuerft in der Allgemeinen
Zeitung gedruckt, wurden fie nach feiner Hand-
fchrift von dem jüngft verstorbenen Theologen Nutcombe
Oxenham in's Englifche überfetzt und erfchienen in
London Ende des Jahres 1872 unter dem Titel: ,Lectures
on the Reunion of the Churches (Rivingtons)1. Nunmehr
liegt das deutfche Original vor.

Der erfte und zweite Vortrag, in eine Abhandlung
verfchmolzen, geben einen geiftvollen Ueberblick über
die religiöfe Weltlage in der Art, wie Wilhelm Hoffmann
vor Jahren in der Neuen evangelifchen Kirchenzeitung
folche Ueberblicke zu geben pflegte. Der dritte erörtert
SchwierigkeitundMöglichkeit einer Wiedervereinigung der
getrennten Kirchen mit ruhiger Objectivität und befpricht
zugleich die Trennung der lateinischen und griechifchen
Kirche, von der es auf S. 38 heifst: ,Schon feit dem 13.

Jahrhundert hatte fich mehr und mehr, im Wellen wie
im Offen die Ueberzeugung gebildet, dafs nicht in den
theologifchen und rituellen Differenzen, fondern in den
römifchen Anfprüchen auf Herrfchaft über Kirche und
Staat das grofse Hindernifs der Verftändigung liege'.

Der vierte Vortrag, die deutfche Reformation,
hat f. Z. grofses Auffehen erregt und begeifterte Zu-
ftimmung gefunden, vor allem jenes einzig fchöne, in
Döllinger's Munde doppelt werthvolle Wort über
Luther: ,Es hat nie einen Deutfchen gegeben, der fein
Volk fo intuitiv verftanden hätte und wiederum von
der Nation fo ganz erfafst, ich möchte fagen eingefogen
worden wäre, wie diefer Auguftinermönch zu Wittenberg.
Sinn und Geilt der Deutfchen waren in feiner Hand wie
die Leier in der Hand des Künftlers. Hatte er ihnen
doch auch mehr gegeben, als jemals in chriftlicher Zeit
ein Mann feinem Volke gegeben hat: Sprache, Volkslehrbuch
, Bibel, Kirchenlied. Alles, was die Gegner ihm
zu erwidern oder an die Seite zu ftellen hatten, nahm
fich matt, kraft- und farblos aus neben feiner hinrei-
fsenden Beredtfamkeit; fie ftammelten, er redete. Nur
er hat, wie der deutfchen Sprache, fo dem deutfchen
Geifte das unvergängliche Siegel feines Geiftes aufgedrückt
, fodafs felbft diejenigen unter uns, die ihn von
Grund der Seele verabfcheuen, als den gewaltigen Irrlehrer
und Verführer der Nation, nicht anders können:
fie müffen reden mit feinen Worten, denken mit feinen
Gedanken' (S. 53. 54).

Im fünften Vortrage find die Wiedervereinigungs-
verfuche auf dem Continent im 17. Jahrhundert, die bekanntlich
fämmtlich erfolglos waren, lehrreich dargeftellt.
Der fechste fchildert die Reformation in England;
Trennung von Rom und Wiederannäherung. Auch
Döllinger's meifterhafte Auseinanderfetzung hat uns aufs
neue in der Ueberzeugung beftärkt, dafs die englifche
Reformation, aus welcher die englifche ariftokratifche
Staatskirche hervorgegangen ift, eine fchwächliche ge-
wefen ift und eben dadurch den radikalen Gegenfatz des
demokratifchen Puritanismus hervorgerufen hat. Im
fiebenten und letzten Vortrage befpricht der Verfaffer
die Hindernifse einer Wiedervereinigung der chriftlichen
Kirchen in der Gegenwart und drückt zugleich feine
Hoffnungen für die Zukunft aus. Unter den Hinder-
nifsen werden vor allem und mit vollftem Rechte die
Jefuiten genannt, die 1872 noch ,im Herzen unferes
Reiches ihre Burgen und verfchanzten Lager' (S. 117)
hatten, bald darauf aber ausgewiefen wurden, fodafs fich
das prophetifche Wort erfüllte, das wir auf S. 119 lefen:
,Ich glaube nicht nur, ich weifs, dafs das Reich diefes
Ordens in Deufchland nicht von Dauer fein wird, dafs
ihre glänzenden Siege — ich meine zunächft die gewonnenen
Schlachten des 18. Juli und des 31. Auguft 1870,
die vaticanifchen Befchlüffe und die Ergebung der
deutfchen Bifchöfe — in nichtferner Zeit in Niederlagen fich
verkehren werden'. Zur Begründung diefer feiner Meinung
führt Döllinger an: ,Das klare Zeugnifs der Ge-
fchichte geftattet hier keinen Zweifel. Die Jefuiten haben,
wie die Erfahrung von drei Jahrhunderten lehrt, keine
glückliche Hand; auf ihren Unternehmungen ruht einmal
kein Segen. Sie bauen emfig und unverdroffen, aber ein
Windftofs kommt und zertrümmert das Gebäude, oder
eine Sturmfluth bricht herein und fpült es weg, oder das
wurmftichige Gebälke bricht ihnen unter den Händen
zufammen. Man wird bei ihnen an das orientalifche
Sprüchwort von den Türken erinnert: ,Wo der Türke
den Fufs hinfetzt, da wächft kein Gras mehr'. Die ganze
S. 118—123 in kräftigen Strichen ausgeführte Charak-
teriftik des Ordens und feiner unheilvollen Thätigkeit ift,
wie fich nicht anders denken läfst, ganz vorzüglich.

Die ,Hoffnungen für die Zukunft' gründen fich in
Betreff der Wiedervereinigung der chriftlichen Kirchen
bei unferem Verf. in erfter Linie auf die Gemeinfamkeit
der Taufe (S. 129—131), dann aber darauf, dafs über