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Ausgabe:

1889 Nr. 8

Spalte:

199-212

Autor/Hrsg.:

Usener, Hermann

Titel/Untertitel:

Religionsgeschichtliche Untersuchungen. I. Thl 1889

Rezensent:

Harnack, Adolf

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199 Theologifche Literaturzeitung. 1889. Nr. 8.

200

DI WM AVG-
COL.IVL. FE
LIX. GEMINA
LVSTRA
CONSE
CRAVIT
D. D.

Divum Aug(uslum) CoSjmia) Jul^ia) Felix Gemimt Lustra consc-
cravit d(ecretd) dieeurionum 1.

Wir lernen aus der Infchrift zugleich eine Thatfache, die bisher noch
nicht bekannt war: dafs nämlich Lyftra feit Auguftus eine römifche
Colonie war. Als folche bezeichnet fie fich auch auf einer anderen von
Sterrett in der unmittelbaren Umgebung von Antiochia Pifidiä gefundenen
Infchrift (Sterrett n. 352J: Ti)v XufATiQOxdxrjV Ävxio/iutv KoXwviav it
XafjJtQOTaxrj AvgxqIwv KoXwvia xi/v ddshpyr xF> tjjq 'O/mwoiac
uyüXfiaxi ixxißrjasv. ' Schürer.

Usener, Herrn., Religionsgeschichtliche Untersuchungen.

1. Thl. [I. Das Weihnachtsfeft. Kap. I bis III.] Bonn,
Cohn & Sohn, 1889. (XVIII, 337 S. gr. 8.) für 1. u. II. Thl.
M. 9.—

,Wenn fie nicht Spiel bleibt, wird alle Mythenfor-
fchung unwillkürlich uns zuletzt auf unfer innerftes Anliegen
, die eigene Religion, zurückführen und das Ver-
ftändnifs derfelben fördern. Die Berührungen zwifchen
Heidnifchem und Chriftlichem reichen weiter als man
denkt. Zwifchen dem Keifen der Lehre Chrifii und dem
rein heidnifchen Lande liegt eine breite Fläche gemein-
famen Befitzthums. Da ift zuerft der Grenzfaum mit den
kirchlich natürlichen Bildern des Göttlichen, die als Gemeingut
des menfchlichen Denkens überhaupt betrachtet
werden mögen. Dann ein weiter Raum, einem Watt
vergleichbar, über das einft die Fluth des Heidenthums
fich ergofs; die Fluth wurde allmählich abgedämmt
durch das Chriltenthum, aber der Boden blieb was er
gewefen: ihm entfprofs die reiche chriftliche Dichtung
von den Heiligen, von Engeln und Teufeln, von Himmel
und Hölle; hier gedieh jene Pulle kirchlicher Bräuche
und Heilmittel, welche für den Bildungsftand des alter-
thümlichen und mittelalterlichen Volkes Bedürfnifs waren
und unter den Begriff des Aberglaubens gefafst werden
dürften, wenn fie nicht kirchliche Geltung befeffen hätten
und bis heute befäfsen. Unfere Theologen pflegen
noch immer das claffifche Heidenthum in den fchwärze-
ften Farben der alten Apologetik zu malen. Das Ur-
theil wird ruhiger und gerechter ausfallen und damit die
reiffte exemplarifche Geflaltung des Polytheismus dem
Verftändnifs näher gebracht werden, wenn wir der zahlreichen
Anlehnungen und Entlehnungen inne werden,
welche unfere chriftliche mit der alten Welt verknüpfen.
Wichtiger und fühlbarer ift der Gewinn, den unfere Begriffe
von Religion und Kirche aus folchen gefchicht-
lichen Erkenntnifsen ziehen. Wir fehen das Werden, und
lernen das Gewordene zugleich verliehen und würdigen.
Vom abgeftorbenen und abfterbenden Befitz der Kirche,
der zeitlichen Werth hatte, fcheidet fich der unveräufser-
liche ewige Gehalt unterer Religion. Die ehrenwerthe
Selbfttäulchung, welche das verkennt, wahrt nicht, was
lie will, das Wohl der Kirche. Räumt Afche und Schlak-
ken hinweg, und das erblickende Feuer wird zur hellen
Gluth auflodern'.

In diefen fchönen und zuverfichtlichen Worten hat
Ufener das Programm für feine religionsgefchichtlichen
Unterfuchungen aufgeftellt, deren erltes Stück hier vorliegt
. Ob ,unfere Theologen' noch fo befangen find,
dafs fie das Recht und die Bedeutung diefer Forfchungen
verkennen, ob fie nicht feit langer Zeit für die Entzifferung
der kirchlichen Verfaffungs-, Cultus- und Kunft-
gefchichte ungefähr dasfelbe Programm aufgeftellt haben,
ob nicht auch die Dogmengefchichte bereits unter diefe
Betrachtung — foweit fie hier zutrifft — geflieht worden
ift, darüber will ich mit dem Verfaffer nicht rechten;
denn die Freude, dafs ein Philologe von der Gelehrfam-
keit und dem ernften und lebendigen Sinn, wie fie
Ufener auszeichnen, den Arbeitern auf dem Gebiete der

Kirchengefchichte zu Hülfe kommt, drängt folche Erwägungen
zurück. Ufener arbeitet nicht um zu zerftören,
fondern um zu bauen. Nicht das leichte Gefchäft, Legenden
zu vernichten, fondern fie zu verwerthen,
ihren Urfprung, ihr Wachsthum, ihre äufseren Anläffe
und inneren Abfichten zu entziffern, ift feine Aufgabe,
und er hat in den Dienft derfelben das Befte gehellt,
was ein Gelehrter zu bieten vermag, den unverdroffen-
ften Fleifs und jugendfrifche Begeifterung. Das gefchicht-
liche Material beherrfcht der Verf. fo vollkommen, dafs
auch der gelehrtefte Kirchenhiftoriker fchwerlich im
Stande fein wird, etwas Wefentliches hinzuzufügen, und

| in dem Drang lebendiger Nachempfindung wird ihn fo
leicht Niemand übertreffen.

Dafs aus folchen Bedingungen eine lehrreiche Arbeit

| hervorgehen mufs, braucht nicht erft gefagt zu werden.
Ufener fetzt in der Einleitung bei der bekannten Thatfache
ein, dafs die Kirche bis zum Anfang des 4. Jahrh.
weder ein Weihnachts- noch ein Epiphanienfeft begangen

I hat, dafs aber dann zwei Fefte in der Kirche auftauchen,

I das Epiphanienfeft am 6. Januar und das Weihnachtsfeft
am 25. Dec. Wie und wann find diefe Fefte entftanden?
Dem Weihnachtsfeft (am 25. Dec.) ift der zweite Theil
der Unterfuchungen gewidmet. Die Frage, wie es ent-

j ftanden ift, zu beantworten, hat Ufener für ein fpäteres
Capitel aufgefpart; aber wo es entftanden ift und wie
es fich allmählich in den Kirchen verbreitet hat — diefe
Fragen find auf S. 214—337 in glänzender, jeden Wider-
fpruch ausfchliefsender Weife gelöft. Man kann nicht
leicht etwas Intereffanteres, in der Feinheit und Folge-

I richtigkeit der Schlüffe Ueberzeugenderes lefen als diefe

1 Ausführungen. Das Weihnachtsfeft am 25. Dec. ift zu-

| erft in Rom gefeiert worden, und zwar hat der Bifchof

1 Liberius dort noch im J. 353 die Geburt des Heilandes
am Epiphanientage (6. Januar) begangen, im J. 354 da-

i gegen am 25. December. Von Rom aus — man denke
an die Bedeutung, welche der römifche Stuhl auch für
den Often durch den Regierungsantritt Theodofius' I.

I gewonnen hat — hat fich das Feft im Orient und in
den Provinzen des Occidents verbreitet. Aus den Predigten
Gregor's von Nazianz wird gezeigt, dafs in Kon-
ftantinopel das Weihnachtsfeft zum erften Male im J. 379
gefeiert worden ift. Konftantinopel war die Etappe für

■ den Often. Die Predigten des Chryfoftomus — ihre
Unterfuchung ift der Glanzpunkt in diefem Abfchnitt —
beweifen, dafs das Feft feit 380 in Antiochien bekannt
gewefen, aber erft 388 kirchlich gefeiert worden ift. In
Kappadocien hat Bafilius das Geburtsfeft noch an Epi-

i phanien gefeiert, Gregor von Nyffa (i. J. 382) bereits zu
Weihnachten. Um diefelbe Zeit hat es Amphilochius in
Ikonium gefeiert; am Anfang des 5. Jahrh. finden wir es
in der Provinz Diospontus. In Aegypten war es zur
Zeit des Cyrillus bereits üblich, während dort nach Caffian's
Zeugnifs noch kurz vor 400 Geburt und Taufe Jefu an
einem Tage, dem Epiphanientage, begangen wurden.
Das Feft ift alfo wahrfcheinlich von Theophilus eingeführt
worden; doch ift hier ein genauer Termin ebenfo-
wenig nachweisbar wie das Motiv der Einführung. Länger

' blieb die paläftinenfifche Kirche bei dem Epiphanienfeft
als Geburtsfeft. Juvenal (425 — 458) hat nach Ufener
das Weihnachtsfeft dort eingeführt, vielleicht, wie der
Verf. vermuthet, erft nach dem Concil von Chalcedon;

| ,denn unter den damaligen Verhältnifsen mufs der Ent-
fchlufs wie der Preis erfcheinen, um den der Bifchof von
Jerufalem die ihm gewährten Zugeftändnifse (Unabhängigkeit
des Stuhls von dem Metropoliten in Cäfarea, Patriarchentitel
) erkaufte'. Allein an diefem Punkte fcheint
mir mit den bisherigen Mitteln eine Sicherheit nicht erzielt
werden zu können; denn das runde Zeugnifs des
Kosmas (um 550), die jerufalemifche Kirche feiere das
Geburtsfeft des Herrn am Epiphanientag, am 25. Dec.
aber nur einen Gedenktag der Familie Chrifti, ift durch
die preeäre Annahme, Kosmas folge hier einer alten