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Ausgabe:

1888

Spalte:

167-169

Autor/Hrsg.:

Drews, Paul

Titel/Untertitel:

Willibald Pirkheimers Stellung zur Reformation 1888

Rezensent:

Enders, Ernst Ludwig

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Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 7.

168

römifchen Quelle, zuweilen reiner und vollftändiger, als
die übrigen Rhetoren es gethan haben, zuweilen unvoll-
ftändiger, hie und da freilich auch mit Mifsverftändnifsen,
namentlich betreffs des Verhältnifses, in welchem die
einzelnen Stücke zum Ganzen der Lehre ftehen.

7. Wie die Leetüre diefer ,kirchengefchichtlichen
Studien' mir ein Genufs gewefen ift, fo ift es mir eine
Ehre, diefelben hier anzeigen zu dürfen. Sie find nämlich
als Feftfchrift erfchienen und zwar Hermann
Reuter zum 70. Geburtstag, dem 30. Augufr. 1887 von
feinen dankbaren Schülern gewidmet. Die edle, feinfinnige
Feftgabe ift nicht nur ein Zeichen freudigen
Dankes für den hochverehrten Jubilar, fondern vor
allem ein beredtes Zeugnifs von feinem tiefgreifenden,
gefegneten Berufswirken. Die eine feftliche Garbe auserwählter
Aehren weift hin auf die volle Ausfaat und
die reiche Ernte eines unermüdlich treuen Gelehrten-
und Docentenlebens. Der gegebene kurze Ueberblick
mufs einen Eindruck wenigftens davon hervorgerufen
haben, welche Fülle fruchtbarer Gelehrfamkeit und Arbeitskraft
, von wiffenfehaftlicher Sorgfamkeit und fpüren-
dem und combinirendem Scharffinn, von zukunftsvollen
Keimen und reifen Ergebnifsen ernfter gefchichtlicher
Forfchung in diefen kirchengefchichtlichen Studien vereint
ift. Auch die Zufammenftellung diefer Blätter ilt
fehr gefchickt und finnvoll. In ihr fpiegeln fich klar
und lebendig gerade die Zeiten und Gebiete wieder, in
welchen Reuter feine Meifterfchaft in Forfchung und
Darftellung am reichften bewährt, in welche er auch
mit befonderer Vorliebe feine Zuhörer und Schüler in
Colleg und Seminar eingeführt hat. Und wenn die
einzelnen vorliegendenUnterfuchungen ganz verfchiedenen
Zeitaltern der Kirchengelchichte angehören, wenn fie
vereint wohl fämmtliche Seiten hiftorifcher Forfchung
und Arbeit zur Darftellung bringen, es zeigt fich doch
in allen in gleicher Weife der Sinn des Meifters: der
Geift einer ftreng methodifchen, unbeftechlich wahren,
ftets vorwärts ftrebenden, chriftlichen Gefchichtsforfchung.

Auch abgefehen von denen, die ihrer Dankbarkeit
einen fo fchönen Ausdruck gegeben haben, denken noch
Hunderte von Schülern Reuter's — unter ihnen auch der
Referent — mit Dank und Freude an die anregenden
und gehaltreichen Stunden zurück, welche ihnen der Be-
fuch feiner Vorlefungen, das Studium feiner Werke bereitet
haben. Wenn aber unter denen, die als Schüler
Reuter's in befonderem Sinne diefe Feftgabe zum 70. Geburtstage
ihm dargebracht haben, die einen bereits in
den fechziger und fiebenziger Jahren zu den Füfsen des
Meifters gefeffen haben und jetzt fchon feit Langem mit
Ehren und Erfolg den akademifchen Lehrftuhl zieren,
die andern, wie Mirbt, jetzt gerade am Anfang ihrer
akademifchen Laufbahn ftehen, wenn Reuter's Zuhörer
heute mit derfelben Spannung und Begeilterung feinem
Vortrage folgen wie vor Jahrzehnten, fo drängt fich der
Betrachtung unwillkürlich das Wort des 92. Pfalms v. 15
auf. Möge der ehrwürdige Jubilar noch lange in bewährter
Arbeitskraft und jugendlicher Rührigkeit wirken
und der Wiffenfchaft, der Georgia Augufta und feinen
Schülern noch lange erhalten bleiben!

Magdeburg. W. Borne mann.

Drews, Pfr. Lic. P., Wilibald Pirkheimers Stellung zur Reformation
. Ein Beitrag zur Beurteilung des Verhältnifses
zwifchen Humanismus und Reformation. Leipzig,
Grunow, 1887. (VI, 138 S. gr. 8.) M. 2. 50.

Nachdem fchon Karl Hagen in: Deutfchlands lite-
rar.u.religiöfeZuftände im Reformationszeitalter, Erlangen
1841 ff. Pirkheimer in ausführlicher Darlegung behandelt
hatte, ift aufser vorftehend angezeigtem Werke in den
letzten Jahren eine umfangreiche Abhandlung von Rudolf
Hagen, Wilib. Pirkh. in feinem Verhältnifs zum

Humanismus und zur Reformation (in den Mittheil, des
Vereins f. Gefch. der Stadt Nürnberg, 1882, H. 4), ferner
Otto Markwardt, Wilib. Pirkh. als Gefchichtfchreiber,
Zürich 1886, und nach Drews noch Fr. Roth, Wik Pirkh.,
ein Lebensbild aus dem Zeitalter des Humanismus und
der Reformation, Halle 1887 (Schriften des Vereins f.
Ref.-Gefch. Nr. 21) erfchienen. Wenn man aus der
Anzahl diefer Bearbeitungen einen Schlufs auf die ge-
fchichtliche Bedeutfamkeit diefes Mannes machen wollte,
fo würde dies ein Fehlfchlufs fein; beide ftehen vielmehr
zu einander etwa in indirecter Proportion.

P. gehört zu der Claffe von Humaniften, denen in
Erasmifcher Art das otium cum dignitate höchftes Lebensziel
war. Wo die Lebensverhältnifse die Bildung einer
feiten Ueberzeugung und ein mannhaftes Eintreten für
diefe Ueberzeugung erfordern, da ziehen fie fich fcheu
zurück, es fehlt ihnen an der Energie, den Kampf mit
einem vielleicht gefahrvollen Ausgang aufzunehmen; fie
beugen fich, wenn auch nicht innerlich überzeugt, vor

i den Mächten, die ihnen die gröfste Garantie des ruhigen
Lebensgenuffes zu bieten fcheinen. Daraus verftehen wir,
was bei P. fonfit als ein Räthfel erfcheinen würde und

| gerade deshalb wohl zu, wiederholter Bearbeitung feines

j Lebens aufgefordert hat, nämlich feine Stellung zur Reformation
. Anfangs ein begeifterter Verehrer derfelben,
ja in feinen Angriffen auf das alte Kirchenwefen und die
clasfelbe vertheidigenden Männer weit über Luther hinausgehend
, fofern man die Schärfe' des Angriffes und die
Pfiffigkeit der Satire in Betracht zieht — vgl. feinen
Eccius dcdolatus —, bleibt ihm doch der Kernpunkt der
Reformation fremd und etwas Unverftandenes, weil ihm
für das eigentlich Religiöfe das tiefere Verftändnifs fehlt.
So gehört er denn zu denen, welche fchon das Evangelium
Matthäi 13, 20—21 trefflich kennzeichnet. Als
Eck feinen Namen unter die von der päpfiriiehen Bulle
Verdammten fetzt, erkauft er fich den Frieden mit der
alten Kirche unter den demüthigendften Bedingungen,
und überredet fich felbft, jetzt gewiffermafsen über den

[ Parteien zu flehen, weil er beiden Parteien kühl gegenüber
fleht, bis zuletzt Vorkommnifse, welche die Reformation
in natürlicher Weife mit fich brachte, ihn perfönlich in
feinen Familienangehörigen verftimmten und kränkten,
fo dafs er fich verbittert ganz auf die früher fo gefchmähte
Seite zurückzieht, diefelben Vorwürfe gegen die Reformation
erhebt, mit denen er ein Jahrzehnt früher fo freigebig
gegen die alte Kirche gewefen war, und fchliefslich
in verdüftertem Gemüthszuftand und innerer Haltlofig-
keit fein Leben als ein im Ganzen verfehltes befchliefst.
Die evangelifche Kirche kann ihn nicht zu den ihrigen
rechnen, aber auch die katholifche hat keine Urfache.
ihn unter den Convertiten aufzuzählen.

In diefer Beurtheilung begegnet fich Ref. mit der
Auffaffung von Drews fowie von Roth, gegenüber Rud.
Hagen, der von einer gewiffen Voreingenommenheit für
feinen Helden nicht freizufprechen ift. In Bezug auf Einzelnes
bemerken wir zu Drews S. 41: ,Luther's Afterisken
lieft P. noch ungedruckt durch Link's Vermittlung'. Nach
diefem Satze könnte es fcheinen, als feien die Afterisken
bald nachher gedruckt worden, was jedoch nicht der
Fall war; fie wurden erft viel fpäter bei der Aufnahme
in die erfte Ausgabe der Gefammtwerke Luther's gedruckt
. — S. 46 ift das Erfcheinen des Eccius dedol. zu
früh in den Februar 1520 angefetzt; er curfirte damals
noch handfehriftlich, gedruckt erfchien er erft im Juni
oder Anfang Juli, f. den Nachweis dafür in m. Ausg. des
Briefwechfels Luther's Nr. 281, Note 1. — Zu dem ge-
fpannten Verhältnifs, in welchem P. zu dem Nürnberger
Juriften Chriftoph Scheurl — in mancher Beziehung eine
ähnliche Natur wie er — ftand, das fchon im Ecc. dedol.
hervortritt und S. 61 berührt wird, hätte hinzugefügt
werden können, dafs 1529 diefe beiden Männer noch
einmal faft aneinander geriethen,. als Scheurl dem P.
nachfagte, er habe den bekannten Brief Luther's an Link