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Ausgabe:

1888 Nr. 7

Spalte:

156-160

Autor/Hrsg.:

Sabatier, Aug.

Titel/Untertitel:

L‘origine du péché dans le système théologique de Paul 1888

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 7.

156

mag, aber für den Aufbau der theo). Disciplinen bei der
unauflöslichen Verflochtenheit dogmatifchen und ethi-
fchen Stoffs in der heiligen Schrift undurchführbar ift.
Die biblifche Ethik fällt denn auch fehr mager aus. Und
der unbrauchbare Name der biblifchen Dogmatik, der
eine Vermifchung von hiftorifchem und fyftematifchem
Stoff ftets im Gefolge hat, rächt fich dadurch, dafs die
biblifche Theologie bei Cave zu einer halben Dogmatik
wird.

Nicht glücklich ift die Erfetzung des Namens ,Hifto-
rifche Theologie' (oder Kirchengefchichte im weiteren
Sinne) durch den Namen ,kirchliche Theologie' [Eccle-
siastical Theology. IV. Theil). Und noch unglücklicher
ift die Erfetzung der ,fyftematifchen Theologie' durch
eine .Comparative Theologie' (V. Theil), was nicht nur
eine Namensänderung bedeutet, fondern Cave's Auffaffung
der Aufgabe der fyftematifchen ausfpricht. Nach ihm
foll nämlich die .comparative Theologie' die Daten aufnehmen
, welche die theol. naturalis, ethnica, biblica und
die theologia ecclesiastica ergiebt, und auf dem Wege
kritifcher Vergleichung ein Glaubensfyftem über Gott
und Menfch hinfichtlich ihrer übernatürlichen Beziehungen
aufbauen. .Ihre Methode ift Vergleichung. Ihre Daten
lind die Inductionen der vorangehenden Zweige der Theologie
' (S. 480). Hiernach fehlt der fyftematifchen Theologie
jeder Halt in fich, es fehlt ihr ein eigenes Erfahrungsgebiet
, das fonft den Wiffenfchaften ihren Inhalt
bietet, und ich möchte wiffen, woher eine folche .Comparative
Theologie' die Ueberzeugungskraft gewinnen will,
um das Refultat der Vergleichung als Wahrheit einleuchtend
zu machen. ,Ihr Zweck ift bündige Schlufsfolge.
Ihr Ideal ift ein Syftem triftiger Schlufsfolgerung' (S.480).
Die principielle Verfchiedenheit der fyftematifchen Theologie
von der Religionsphilofophie und philofophifchen
Metaphyfik ift hier alfo fo wenig erkannt, dafs die chrift-
liche Wahrheit der Demonftration des Verftandes anheimgegeben
wird. Wenn man aber meinen follte, dafs durch
die Nebeneinanderftellung der Daten, welche Natur,
Heidenthum, Bibel, Kirche bieten, der eigenthümlich
chriftliche Charakter der .Comparativen Theologie' noth-
wendig getrübt werden müfste, fo antwortet Cave darauf
mit dem 1. Theil der Comp. Theol., der Fundamentaltheologie
, der er die Aufgabe zuweift, die Kriterien der
Wahrheit feftzuftellen in der Abfchätzung des verfchie-
denen Werths jener Quellen. Die chriftliche Theologie
als evangelifche fufst aber von vorn herein auf den für
den Glauben feftftehenden Thatfachen, dafs das Heidenthum
in keiner Weife Quelle der Wahrheitserkenntnifs
ift, dafs der Chrift fein eigenthümliches Glaubensbewufst-
fein mit Ausfchlufs der mafsgebenden Gültigkeit von
Natureindrücken, die in verfchieden gearteten Individuen
fehr verfchieden find, der Offenbarung Gottes in Jefu
Chrifto verdankt, und dafs die Kirche abgefehen von
der Schrift und Glaubenserfahrung nicht Norm der religiöfen
Wahrheit ift; diefe Thatfachen müffen daher fchon
in der Encyklopädie zu ihrem Rechte kommen. Indem
aber Cave den Streit über die verfchiedenen Weltan-
fchauungen auf die Meinungsverfchiedenheit über den
Werth und die Bedeutung der .Quellen der religiöfen
Wahrheit' zurückführt, fieht er in feiner Fundamentaltheologie
eine Art Apologetik, in der es fich darum
handelt, die Auctorität feftzuftellen, vor welcher fich der
Menfch zu beugen hat. Indem diefe Fundamentaltheologie
, in welcher die Auctoriät der heiligen Schrift etwa
in der Weife des aiten Supranaturalismus begründet
werden foll, den Unterbau des zweiten Theils der .Comparativen
Theologie', nämlich der .doctrinalen Theologie'
bilden foll, und indem diefer (einer Dogmatik in unferm
Sinne) die Aufgabe zugewiefen wird, das Ergebnifs der
Quellen des religiöfen Glaubens zu einem zufammen-
hängenden Syftem zu verarbeiten, das einerfeits inductiv
(aus jenen Quellen), andererfeits fyftematifirend vorgeht,
verharrt Cave im Wefentlichen in dem bei uns längft

überwundenen Programm, das auf der Einbildung ruhte,
! das Chriftenthum andemonftriren zu können. Dazukommt,
| dafs die Vorbildlichkeit der naturwiffenfchaftlichen For-
I fchung dem Verfaffer die Neigung giebt, alles in das
j Schema: objective Thatfachen und Schlufsfolgerungen
aus diefen Thatfachen, zu zwängen. Wie gründlich bei
diefem Verfahren die Eigenart des Religiöfen, das der
i inneren Erfahrung angehört, verkannt wird, zeigt der
Satz S. 527: ,Every advance in pliysical science liaving
been made by rigidly eschewing the bias of subjective prin-
ciples of any kind, similar exclusion may probably be of
advantage in thcological science'. Bei diefer entfchiedenen
Ausfchliefsung alles Subjectiven in der Dogmatik kann
es trotzdem, dafs Cave auf den fyftematifchen Charakter
! derfelben ftarkes Gewicht zu legen behauptet, 'natürlich
I zu einem wirklichen Syftem nicht kommen, und fo folgt
I er für die Eintheilung derfelben einfach der traditionellen
j Aneinanderreihung von Loci. Wie doctrinär diefe ,Doc-
j trinale Theologie' gedacht ift, tritt am grellften darin hervor
, dafs eine Ethik der fyftematifchen Theologie fehlt.
Die praktifche Theologie (VI. Theil) nennt Cave,
j indem er fie wefentlich auf die Wirkfamkeit des Geift-
lichen bezieht, Paftoraltheologie.

Bei der Auswahl der Literaturangaben wird man vom
deutfchen Standpunkt aus manches vermiffen, anderes
unwichtig finden; aber der fubjective Standpunkt des
Verfaffers hat hier fein befonderes Recht, und auch ab-
j gefehen davon mufs man zugeftehen, dafs die Auswahl
mit Kenntnifs, Umficht und Gefchick aufgeftellt ift.

i Bonn. L. Lemme.

Sabatier, Aug., L'origine du peche dans le Systeme theo-
logique de Paul. Paris, Leroux, 1887. (39 S. gr. 8.)

Der durch feine gründlichen und geiftvollen Schriften
über die Quellen des Lebens Jefu (Essai sur les sources
! de la vie de Jesus, 1866) und über den Apoftel Paulus
{L'apotre Paul, csquisse d'une histoire de sa pensee, 1870,
' 2. Aufl. 1881), wie auch durch die vorzüglichen neu-
teftamentlichen Artikel der Encyclopedie des sciences reli-
| gieuses (13 vol. Paris, 1877—1882) rühmlich!! bekannte
i Profeffor an der theologifchen Facultät zu Paris hat in
■ Reville's Revue de P histoire des religions (Erltes und zweites
Heft, Jahrg. 1887) über eines der fchwierigften Probleme
aus der paulinifchen Theologie zwei Artikel veröffentlicht
, welche er vor kurzem als Separatabdruck hat er-
fcheinen laffen. Die Unterfuchung Sabatier's zeichnet
fich durch feinen exegetifchen Tact, durch glänzende
Darftellungsgabe, durch harmonifche Gliederung der einzelnen
Theile in fo hervorragender Weife aus, dafs fie
nicht nur die mannigfaltigften, nach allen Seiten hin
gehenden Anregungen zum Verftändnifs des paulinifchen
Syftems bietet, fondern auch den auf theologifchem.
fpeciell auf exegetifchem Gebiet gewifs feltenen Hoch-
genufs einer Leetüre gewährt, in welcher der Reichthum
I der Gedanken und die Vollendung der Form auf jeder
Seite gleichen Schritt halten. Leider ift die Begründung
diefes Urtheils in einem kurzen Referat kaum möglich,
umfomehr als bei der confequenten Durchführung des
I Grundgedankens der Verfaffer fich einer lichtvollen
Bündigkeit befleifsigt, welche zwar die Ueberficht des
Ganzen wefentlich erleichtert, die Vorzüge der Detail-
unterfuchung dagegen nicht in entfprechendem Mafse
zur Geltung bringt.

Bei der Bearbeitung der zweiten Auflage feines
i Apbtre Paul war Sabatier auf das Problem vom Urfprung
der Sünde geftofsen: diefes Problem hatte der Exeget
i fcharf formulirt und im Verhältnifs zur paulinifchen
j Lehre klar beleuchtet; einen pofitiven Löfungsverfuch
I hatte er aber nicht gewagt (vgl. indeffen die Anmerkung
| der Seite 266, 2. Aufl., welche, nach Sabatier's eigener
j Erklärung, den Keim der vorliegenden Studie enthält):
I über die angeregte Frage fei in der paulinifchen Ge-