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Ausgabe:

1888

Spalte:

147-149

Titel/Untertitel:

Friedrich Wilhelm Robertson. Sein Lebensbild in Briefen 1888

Rezensent:

Hans, Julius

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147

die es begreiflich machen, dafs fleh der Remfcheider Bevölkerung
feither eine fo grofse Bewegung bemächtigt
hat' (S. 24). Ueber dreitaufend Remfcheider Bürger
haben, wie im literarifchen Anhang mitgetheilt wird
(S. 72), an den Herrn Juftizminifter Friedberg eine Petition
um Einleitung der gerichtlichen Unterfuchung
gegen Teitfcheid eingereicht. Bis jetzt hat man noch
nichts davon gehört, dafs diefer Bitte höheren Ortes ent-
fprochen worden wäre.

Wir müffen darauf verzichten, noch andere That-
fachen, wozu auch die fchlaue Benutzung der proteftan-
tifchen Preffe für ultramontane Zwecke gehört (S. 35.
78), aus Nippold's vorzüglicher Schrift anzuführen. Ein
,drittes Taufend' hat fie fchon erlebt. Möge ihr befchie-
den fein, die weitefte Verbreitung und zugleich die
ernftefte Beherzigung zu finden, namentlich an mafs-
gebender Stelle! Denn es handelt fich in diefen Pro-
ceffen viel weniger um die Perfon Thümmel's, als um
die ganze Rechtslage der evangelifchen Kirche Deutfch-
lands.

Crefeld. F. R. Fay.

Friedrich Wilhelm Robertson. Sein Lebensbild in Briefen.
Nach Stopford A. Brooke und Fr. Arnold, nebft
einem Anhang religiöfer Reden. Mit einem Vorwort
von Dr. Emil Frommel. Mit Porträt. Gotha, F. A.
Perthes, 1888. ' (XVI, 434 S. gr. 8.) geb. M. 6.—

,Wenige find unter allerlei Chriftenvolk in unfern
Tagen, wenige auch unter Hirten und Lehrern der Gemeinde
, mögen fie einer Partei angehören, welcher fie
wollen, die, was fittliche Lauterkeit, brennende Liebe zu
Jefu und feinen Brüdern, Wahrhaftigkeit und Edelfinn,
Hoheit und Männlichkeit der Gefinnung anbelangt, werth
find, Robertfon die Schuhriemen aufzulöten; vielleicht die
am allerwenigften, die, nachdem fie kämpf- und mühelos
in den Befitz der ,Wahrheit', zu Amt, Ehren und Brot gekommen
, für einen Mann wie Robertfon nur ein Wort
des Bedauerns haben'. So fchreibt Emil Frommel im
Vorwort zu dem obengenannten Buch. Und wer Robertfon
einigermafsen kennt, wird diefer Charakteriftik beipflichten
müffen. Niemand wird feine Schriften unbefangen
lefen können, ohne den Schreiber liebzugewinnen,
ohne fich von feiner edlen Perfönlichkeit angezogen zu
fühlen, wie er immer über feine Anflehten denken möge.
Theologifch ift er fehr fchwer zu claffificiren, befonders
für uns Deutfche. Urfprünglich der Richtung der ,Evan-
gelical Party*' zugeneigt, wandte er fich fehr bald von
ihr ab und gewann freiere Anschauungen, um deren
willen er vielfach angefeindet und verketzert wurde.
Aber der Vorwurf ,deutfcher Neologie', der ihm unter
andern deswegen gemacht wurde, ift fo unbegründet als
möglich. Er war von Neuerungsfucht und blofser Luft
an der Negation fo entfernt, als nur irgend jemand fein
kann; feine Grundanfchauungen werden auch von geg-
nerifcher Seite als .pofitive' anerkannt werden müffen,
und feine Behandlung altteftamentlicher Texte z. B.
würde, was die Vorausfetzungen betrifft, kaum den Beifall
eines kritifch gerichteten deutfehen Theologen finden.
So hat er mit den verfchiedenften Richtungen fowohl
Berührungs- als Differenzpunkte. Aber das beruht nicht
etwa auf einem verfchwommenen und unklaren Eklek-
ticismus, fondern auf der Stärke feiner Individualität,
dieunabhängigvon Schulen und Richtungen ihren eigenen
Weg geht. Er war nicht gewohnt, irgend etwas nach-
zufprechen; nur was er fich innerlich vollkommen angeeignet
hatte, konnte ein Stück feiner Theologie bilden.
Darum macht aber auch, was er fagt, fo tiefen Eindruck
auf andere. Man fühlt, es ift alles aus innerem Kampf
und ernfter geiftiger Arbeit geboren. Und mag man
damit übereinftimmen oder nicht, es ift von Intereffe,
die Refultate kennen zu lernen, zu denen ein fo edler

und aufrichtig die Wahrheit fuchender Sinn durch fein
Forfchen geführt worden.

Es war gewifs am Platze, eines folchen Mannes
Lebensbild auch dem deutfehen Publicum zu bieten,
und es ift mit Freuden zu begrüfsen, dafs wir neben
Kingsley's und Maurice's Biographie nun auch die Robert-
fon's in unferer Sprache befitzen. Das vorliegende
Buch ift im wefentlichen auf Grundlage des 1865
zum erftenmal erfchienenen Werkes von Stopford A.
Brooke verfafst. Das Arnold'fche Werk, das aufserdem
auf dem Titel genannt ift, kenne ich nicht. Doch fcheint
es mir nur gelegentlich beigezogen zu fein. Vernünftiger
Weife ift jedoch nicht eine einfache Ueberfetzung des
englifchen Originals, fondern eine freie Bearbeitung geboten
, die fich nicht nur wefentliche Kürzungen, fondern
auch eine Umftellung des gefammten Materials erlaubt
hat. Während Brooke kleinere Briefauszüge in den Text
verwebt und dann am Schluffe jeden Capitels eine Anzahl
zufammenhängender Briefe in chronologifcherReihenfolge
giebt, befchränkt fich die deutfche Bearbeitung auf
kürzere oder längere Auszüge und ordnet diefelben mehr
nach fachlichen Gefichtspunkten. Dabei reducirt fich
der verbindende Text zum Theil auf ein Minimum, fo
dafs es nur Robertfon felbft ift, den man hört. Vielleicht
war es am bellen, es fo zu machen. Doch hat
es für die Leetüre auch feine Nachtheile. Robertfon's
Briefe find ohnedem fehr gedankenreich und fie lefen
fich nicht ohne geiftige Anftrengung. Werden nun noch
die wichtigften und gedankenreichften Stellen herausgegriffen
und nebeneinandergeftellt, fo wirkt die Leetüre
faft etwas ermüdend. Befolgt man freilich den Rath,
den Robertfon feinerfeits in Bezug auf die Werke John
Ruskin's gegeben, nicht mehr als ein paar Seiten im
Tag zu lefen, dann fällt diefes Bedenken weg.

Eine fehr werthvolle Zugabe der deutfehen Bearbeitung
bilden die als Anhang beigefügten 12 Predigten oder
religiöfen Reden, wie fie das Titelblatt nennt. Sie find
1 nicht alle von gleichem Werthe, einige aber von wunder-
i barer Schönheit und Tiefe. Robertfon pflegte feine
| Predigten erft nachträglich niederzufchreiben, und da es
ihm dabei nur um die Fixirung der Gedanken zu thun
war, machen fie ftellenweife einen etwas fkizzenhaften
Eindruck. Befonders die Uebergänge find zuweilen etwas
vernachläffigt. Im übrigen aber ift auch die Form
mufterhaft. Es ift intereffant, Robertfon's Predigten mit
denen Kingsley's zu vergleichen. Die des letzteren find
aufserordentlich klar und einfach, wie man es von dem
Dichter der Hypatia gar nicht erwartet hätte, nur einige
fchwere dogmatifche Blöcke find hie und da eingefprengt,
die man gleichfalls zu finden erftaunt ift. Robertfon's
Predigten find auch nicht eigentlich fchwer verftändlich,
die einzelnen Gedanken find alle vollkommen durchfichtig
und klar; aber diefelben folgen fich einander in
folcher Fülle und fo überrafchendem Wechfel, dafs es
einer energifchen geiftigen Anfpannung bedarf, das Gebotene
zu bewältigen. Kingsley's Predigten thun wohl,
die Robertfon's regen an. Sie bieten befonders dem
Geiftlichen, der fie zum Gegenftand des Studiums macht,
eine Fülle von Anregung. Ihre Gedanken find oft fehr
I wenig theologifch und liegen doch ganz in der Linie des
I Religiöfen; fie find weltlich, im guten Sinne des Worts,
I und darum paffend für jedermann, und flammen doch
I aus dem Centrum des Glaubens und find ganz auf den
Ausbau des geiftlichen Lebens gerichtet. Dabei verbindet
fich mit logifcher Klarheit und Verftandesfchärfe
eine fo wohlthuende Wärme des Gefühls, und eine fo
edle Begeifterung leuchtet aus allem hervor, dafs ich
unwillkürlich an das Wort des Dichters erinnert wurde:
,Hell und kalt ift oft beifammen, warm und dunkel auch
zugleich! Helles Denken, Liebesflammen einigend, wie
bift du reich!'

Die Ueberfetzung ift im grofsen und ganzen wohl
gelungen, ja zum Theil vortrefflich; fie verleugnet fich