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Ausgabe:

1888

Spalte:

135-137

Autor/Hrsg.:

Schoen, Henri

Titel/Untertitel:

L‘origine de l‘Apocalypse de Saint Jean 1888

Rezensent:

Schürer, Emil

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135

Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 6.

Verfuch nicht fo fchwer wie die gegen die dramatifche
Auffaffung überhaupt, und die grofsen Vortheile, welche
feine Annahme für die letztere darbietet, werden ihr die
gebührende Beachtung ohne Zweifel fiebern.

Das eine hat ja die dramatifche Auffaffung vor den
anderen voraus, dafs die damit verbundene Annahme
des Wegfalls aller Bühnenbemerkungen fowie der Nennung
der redenden Perfonen für die räthfelhafte Erfchei-
nung des Buches eine Gefammterklärung beibringt, die
vielem gerecht werden kann; aber eben darin befteht
ihre Schwäche, dafs nun der Subjectivität des Ergänzers
fo überaus viel anheimgegeben wird. Sicher ifl, dafs das
Hohelied in die Gattung der epithalamifchen Dichtung
gehört, deren Widerpart, die Nänie, im A- T. fo reichlich
vertreten ift. Als Parallele ift Jef. 5, 1 f. heranzuziehen
, Beiträge für das Verftändnifs des Buches wären
in den Hochzeitsgebräuchen der verwandten Völker zu
fuchen. Vielleicht hätte uns gerade der Verfaffer davon
noch etwas mehr bieten können, als wir S. 123L und
fonft verftreut lefen.

Bonn. K. Budde.

Schoen., Lic. Henri, L'origine de l'Apocalypse de Saint

Jean. Paris, Fischbacher, 1887. (148 S. gr. 8.) Fr. 3.50.

Während bis vor Kurzem die Einheitlichkeit der
Apokalypfe für ein Axiom galt, und ältere Zweifel an
derfelben längft verfchollen waren, ift fie in den letzten
Jahren von verfchiedenen Seiten aufs ernftlichfte beftritten
worden. Weizfäcker und Völter haben unfere Apokalypfe
als das Product verfchiedener chriftlicher Hände
angefehen, Vifcher und Weyland nahmen eine oder
mehrere jüdifche Grundfchriften an, welche von chriftlicher
Hand nur überarbeitet worden feien (f. über die
beiden Letzteren: Theol. Litztg. 1887, Nr. 2). Die vorliegende
Schrift eines jungen franzöfifchen Theologen
befchäftigt fich hauptfächlich mit der Hypothefe Vifcher's,
erkennt gewiffe berechtigte Momente in derfelben an,
fucht aber zu zeigen, dafs man diefelbe ,umkehren' müffe.
Die Anregung zu feiner Arbeit hat der Verf. durch
Sabatier empfangen, welcher aus Anlafs von Vifcher's
Unterfuchungen zunächft im mündlichen Vortrag und
neuerdings auch fchriftlich {Revue de theologie et de pJiilo-
sophie [Lausanne], 1887) die Anficht ausgefprochen hat,
dafs allerdings in unterer Apokalypfe jüdifche Stücke
enthalten feien, dafs aber das Werk als Ganzes chrift-
lichen Urfprungs fei. ,Statt in der Apokalypfe ein jü-
difches Werk zu fehen, welches von einem Chriften nur
überfetzt und ergänzt worden fei, fand er in ihr ein chrift-
liches Werk, in welches ältere jüdifche Orakel aufgenommen
feien' (Schoen, Vorrede S. 5). Diefen Gefichts-
punkt hat nun der Verf. vorliegender Abhandlung fich
angeeignet, wenn er auch in der Einzelausführung vielfach
zu anderen Refultaten gelangt ift, als Sabatier. Er
findet in der Apokalypfe Johannis ein planvoll angelegtes
einheitliches Werk, für deffen Compofition namentlich
das Schema der Siebenzahl mafsgebend gewefen fei.
Diefes Schema fei bis zum Schlufs des neunten Capitels
confequent durchgeführt. Und in diefen neun erften
Capiteln finde fich auch nichts, was nicht von einem
Chriften gegen Ende des erften Jahrhunderts gefchrieben
fein könne (S. 133). Von da an aber ftofse man wiederholt
auf Stücke, welche die einheitliche Anlage ftören.
Namentlich feien dies folgende vier: die Weisfagung in
Betreff des Tempels und der Stadt (11, 1—13), die Weisfagung
über die Geburt des Meffias (12, 1—9), die Orakel
über das Thier (13, 1—7 und 11—18) und über den
Untergang der grofsen Babel (Cap. 18). ; Diefe vier Stücke
hätten aber auch das gemeinfam, dafs fie ganz jüdifchen
Charakters feien, mit Ausnahme der kleinen Einfchaltungen
11, 8b und 18, 20 (S. 134). Der Inhalt aller vier Stücke
weife auch in diefelbe Zeit, in die letzten Jahre des grofsen
jüdifchen Krieges 68—70 nach Chr., wo die patriotifchen

j Juden die Erhaltung des Tempels, die Ankunft des Mef-
j fias und den Untergang des römifchen Kaiferthums und
J der heidnifchen Welthauptftadt Rom erwartet hätten
j (S. 143). Andererfeits weife der übrige Inhalt des Buches,
,die fortgefchrittene Theologie, die Märtyrer, die Organi-
fation der Gemeinden' auf einen chriftlichen Verfaffer
gegen Ende des erften Jahrhunderts (S. 134). Auf Grund
diefer Beobachtungen nimmt daher Schoen an, dafs das
Buch als Ganzes von einem chriftlichen Verfaffer, welcher
möglicherweife der Apoftel Johannes fein kann (S. 141),
gegen Ende des erften Jahrhunderts gefchrieben fei.
Derfelbe habe aber die erwähnten jüdifchen Orakel aus
den Jahren 68—70 n. Chr., welche ihm fchriftlich vorlagen
, in fein Werk verarbeitet, und dadurch feien die
Störungen der fonft erkennbaren planvollen Anlage des
Ganzen hervorgerufen worden. Spuren der jüdifchen
Vorlage findet Schoen auch fonft noch an ein paar
Stellen. Ob die jüdifchen Stücke dem chriftlichen Verfaffer
als einzelne Blätter oder in einem Buche zufammen-
gefafst vorgelegen hätten, läfst Schoen unentfehieden.
Jedenfalls habe die jüdifche Vorlage, auch wenn letzteres
anzunehmen fei, kein einheitliches Ganze gebildet (S. 140).
Diefe Hypothefe findet Schoen viel wahrfcheinlicher
; als diejenige Vifcher's, an welcher er eine fchr ausfuhrliche
Kritik übt (S. 57—84). Ich bezweifle fehr, ob er
! viel Beifall finden wird. Wenn man überhaupt jüdifche
I und chriftliche Stücke in unferem Buche zu unterfcheiden
hat, fo hat die Hypothefe Vifcher's ungleich mehr innere
Wahrfcheinlichkeit als diejenige Schoen's. Nach Vifcher
ftellt fich die Sache folgendermafsen. Ein jüdifcher
Verfaffer hat in einem zwifchen 68—70 nach Chrifto ge-
fchriebenen Werke feine jüdifchen Anfchauungen und
die Hoffnungen, welche die patriotifchen Juden eben
damals hegten, in kräftiger und deutlicher Weife zum
I Ausdruck gebracht. Die Zeitverhältnifse fpiegeln fich
I aufs Genauefte in dem Buche wieder. Diefes Werk ilt
auch von Chriften gelefen worden; und ein chriftlicher
Verfaffer hat nun dasfelbe durch Hinzufügung chriftlicher
Stücke chriftianifirt. Er hat fich aber mit diefer Hin zu -
fügung chriftlicher Stücke begnügt, ohne eine durchgreifende
Umarbeitung vorzunehmen. Auf diefe Weife
j erklärt es fich, dafs die ungebrochen jüdifchen Hoff-
j nungen, und zwar folche, die überhaupt nur noch vor
I der Zerftörung des Tempels hatten gehegt werden können
(Cap. 11), flehen geblieben find. Beifpiele für folche,
nach unfern Begriffen fehr ungenügende Accomodirung
eines älteren Textes für den Gebrauch fpäterer Generationen
giebt es in der Literaturgefchichte auch fonft.
Weit fchwieriger (teilt fich aber die Sache nach Schoen's
Hypothefe. Hiernach follen wir einem chriftlichen Ver-
. faffer, der ein eigenes Werk nach einem einheitlichen und
wohl durchdachten Plane fchrieb, zutrauen, dafs er in das-
felbe grofse jüdifche Stücke unverändert aufgenommen
habe, deren Anfchauungen den feinigen lehr difparat waren,
und deren Hoffnungen durch den graufamen Gang der
Gefchichte längft widerlegt waren. Ift dies wirklich wahrfcheinlicher
als der von Vifcher angenommene Hergang?
Die Antwort kann meines Erachtens/ nicht zweifelhaft
fein, auch wenn man Bedenken trägt, fich beftimmt für
Vifcher's Hypothefe zu erklären.

Unter den Einwänden gegen Vifcher's Hypothefe
legt Schoen felbft das meifte Gewicht auf die aus der
literarhiftorifchen Ueberlieferung hergenommenen. Er
findet es unbegreiflich, dafs ein jüdifches Werk, wie
Vifcher es fich vorftellt, untergegangen fein foll, ohne
j dafs es in der jüdifchen Literatur auch nur irgend einmal
; erwähnt werde (S. 73); und er findet es ebenfo unbegreiflich
, dafs eine jüdifche Apokalypfe dem Apoftel Jo-
I hannes zugefchrieben worden fein foll (S. 81). Diefe Ein-
I wände beweifen doch nur, dafs Schoen fich über die
hier in Betracht kommenden Dinge nicht genügend orien-
tirt hat. Er würde fich gewifs vorfichtiger ausgedrückt
haben, wenn er das Material in Betreff der Ueberlieferung