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Ausgabe:

1888 Nr. 5

Spalte:

109-110

Autor/Hrsg.:

Lechler, Gerh. Victor

Titel/Untertitel:

Urkundenfunde zur Geschichte des christlichen Altertums 1888

Rezensent:

Bornemann, Wilhelm

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109

Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 5.

110

,Ruhepunkt' ein, welche früher den älteften Patres apo-
stolici zugefallen war. Dafs damit lauter wirkliche und
nothwendige Verbefferungen erreicht find, braucht Sachkundigen
nicht gefagt zu werden. Der Didaclie wird in
einem neuen $ ihre Stelle um 130 angewiefen (S. 310).
Der die Tesiamenta patriarcliarum behandelnde «$ 257
figurirt zwar noch im Regifter, ift aber mit Recht ausgemerzt
und fein Inhalt bei Gelegenheit der apokryphi-
fchen Apokalypfen verarbeitet worden (S. 307). Auch
von fonftiger Nacharbeit finden fich reichliche Spuren;
man vergleiche beifpielsweife die kleinen Zufätze und
charakteriftifchen Modificationen auf S. 132 der beiden
letzten Ausgaben oder die gänzliche Umbiegung der
Richtung, mit welcher derfelbe Paragraph S. 125 f. der
5. und S. 266 f. der neuen Ausgabe verfehen ift. Dürften
wir unfererfeits uns für weitere Auflagen Anträge erlauben
, fo würden fie darin beftehen, dafs die Polemik
gegen Pofitionen, die überhaupt Niemand mehr vertritt,
aus dem Buche verfchwände. So ift z. B. die Annahme
einer Berührung der Koloffer- und Epheferbriefe mit dem
Montanismus (S. 118, vgl. darüber von Soden, Jahrbb.
für proteft. Theologie 1887, S. 486) oder die Idee, den
in's y.ttaua gefallenen Aeon Sophia im Philipperbrief zu
finden [S. 129, vgl. darüber Holften ebendafelbft 1876,
*>■ 329i 333) heutzutage fchon mehr als Plusquamper-
fectum zu behandeln; auch lieft es fich wie ein Druckfehler
, dafs die .neueften Verhandlungen' über den Hebräerbrief
in Köftlin's Auffatz von 1854 zu finden feien
(S. 142). Sonft entfpricht übrigens die Correctheit des
Druckes dem Charakter des Ganzen. Mir ift auffer den
am Schluffe bemerkten Errata (wo übrigens Kropf ftatt
Krapf fteht) nichts aufgefallen, als dafs S. 227 zu lefen
wäre 5,12 ftatt 5,13 und S. 444 der Name Grieffbach.
Die Geringfügigkeit folcher Bemerkungen dient nur zur
Beftätigung des längft feftftehenden Urtheils über ein
Werk, deffen Werth durch eine geradezu beifpiellofe
Dauerhaftigkeit genügend illuftrirt wird.

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

Lechler. Geh. Kirchenr. Prof. Dr. Ghard. Vict., Urkundenfunde
zur Geschichte des christlichen Altertums. Leipzig,
Edelmann, 1886. (III, 80 S. gr. 8.) M. 2.—

Bereits 1877 hatte Lightfoot im Nachtrag zu feiner
Ausgabe der Clemensbriefe p. 251 f. eine kurze Aufzählung
der in der letzten Zeit wieder entdeckten alt-
chrifthehen Denkmäler und Urkunden gegeben. Unabhängig
von ihm und in umfangreicher Form hat nun
Lechler in der oben genannten Schrift über diejenigen
fchriftlichen Urkunden der erften 6 Jahrhunderte, welche
in den verfloffenen 50 Jahren wiederaufgefunden find,
nach der Reihenfolge ihrer Entdeckung, bezw. Veröffentlichung
, eine fehr zweckmäfsige und gut orientirende
Ueberlicht gegeben. Die von dem ehrwürdigen Verfaffer
befprochenen Funde find folgende:

I) der von Dreffel 1837 im Vatican aufgefundene,
1852 edirte, vollftändige Text der pfeudoclementinifchen
Homilien; 2) die als Randfchrift einem Manufcript der
grofsen Parifer Bibliothek beigefügte, durch Knult entdeckte
, 1840 von Waitz in feiner Monographie über Ulfila
zuerft verwerthete Schrift des arianifchen Bifchofs Au-
xentius von Doroftorus, eines Schülers des Ulfila, werthvolle
neue Notizen über Leben und Lehre des grofsen
Gothenbifchofs enthaltend; 3) die 1842 vom Athos in
die Parifer Bibliothek überführte Schrift xarä naöüv
aiQtatcov eXtyyog, 1851 durch Miller als Origenis philo-
sophumena, 1859 von Duncker und Schneidewin als Hippolyts
refutatio herausgegeben, wichtig für unfere Kenntnifs
des Gnofticismus; 4) mehrere fyrifche Urkunden, aus
dem Marienklofter der nitrifchen Wüfte zwifchen 1839
und 1847 durch Tattam für das BritifcheMufeum erworben
und von Cureton herausgegeben, darunter a) die kürzefte
Recenfion (3 Briefe" der Ignatianen (1845), b) eine angebliche
Rede des Melito an Antoninus Pius 1,1855),
c) des Bardefanes Dialog xaxd ufian-fitvi^ (1855), d) 15
Ofterbriefe des Athanafius (1848), e) der dritte Theil der
Kirchengefchichte des Monophyfiten Johannes von Ephe-
fus (1853); 5) die vollftändige Handfchrift des Barnabasbriefes
und das grofse Fragment des Hermas im cod.
Sinaiticus, von Tifchendorf 1859 gefunden, 1862 edirt;

6) das vollftändige Manufcript der beiden fog. Clemensbriefe
, in der Bibliothek des heiligen Grabes in Con-
ftantinopcl durch Bryennius gefunden und 1875 edirt;

7) eine armenifche Ueberfetzung des fyrifchen Commen-
tars des Ephraem zu Tatian's Diateffaron, im Mechi-
tariftenklofter S. Lazzaro bei Venedig gefunden, bereits
1836 durch Aucher in's Lateinifche überfetzt, aber erft
feit Möfinger's Publication 1876 zur Reconftruction jener
Evangelienharmonie des Tatian benutzt; 8; eine dem
5. Jahrhundert angehörige fyrifche und eine davon abhängige
armenifche Ueberfetzung der Kirchengefch.
des Eufeb, 1871 theilweife durch Krehl bekanntgegeben;
9) die 1883 durch Bryennius veröffentlichte didayij xwv
dmöixa djcodxöXmv, welche L. für eine etwa zwifchen
70 und 100 verfafste judenchriftliche Schrift hält.

Bei jeder einzelnen diefer Schriften erzählt L., in
zwanglofer Weife das Wichtigfte und Intereffantefte hervorhebend
, von den Umftänden und der Gefchichte, von
der Textbefchaffenheit, der Behandlung und Beurtheilung
des Fundes; bei manchen giebt er auch kurze Proben
von Inhalt und Form, bei allen willkommene Winke
hinfichtlich der Bedeutung, die einer jeden diefer Urkunden
für unfere kirchengefchichtliche Kenntnifs und
Anfchauung zukommt. Bei diefer Würdigung der Funde
tritt felbftverftändlich L.'s eigene Stellung zu den ver-
fchiedenften, einzelnen Streitfragen deutlich hervor.

Vermifst habe ich unter den aufgezählten Urkunden
nur das von den Mechitariften 1878 herausgegebene
Fragment einer armenifchen Ueberfetzung der Apologie
des Ariftides (vgl. Harnack, die Ueberlieferung der
griech. Apologeten 1882 p. 109 ff.). Vielleicht wären
hie und da auch Ergänzungen oder Kürzungen vortheil-
haft gewefen: z. B. fcheint mir die Behandlung des
Citats aus dem Johannisevangelium in der 19. pfeudoclementinifchen
Homilie § 22 deshalb zu weitläufig, weil wir
daraus bei unferer Unficherheit über Urfprung, Zeit und
gegenfeitiges Verhältnifs der pfeudoclementinifchen
Schriften für die Chronologie des 4. Evangeliums doch
nichts Sicheres gewinnen. Uebrigens aber wird uns in
dem Schriftchen von kundiger Hand ein lehrreiches,
unterhaltendes und überfichtliches Bild der reichen Erfolge
gezeichnet, mit welchen Fleifs, Spürfinn und ge-
meinfame Arbeit der Gelehrten in den letzten Jahrzehnten
belohnt find. Sieht man hier einmal einheitlich alle diefe
Errungenfchaften zufammengeffellt, während fonft nur
die vereinzelten, zerftreuten und an ihrem Ort bereits
eingereihten Thatfachen und Ergebnifse uns entgegentreten,
fo wird man unwillkürlich zu Freude und Dank geftimmt.
Zugleich freilich erwacht auch das hoffendeVerlangen nach
neuen, ähnlichen, wichtigen Funden. Endlich aber zeigtL.'s
Rückblick an einem Beifpiel (p. 3 ff.) auch, wie zuweilen
die Sicherheit und das apodiktifche Urtheil der Forfcher
durch die Thatfachen befchämt werden.

Es ift wünfehenswerth, dafs das intereffante Büchlein,
das nicht fowohl für die Fachgelehrten, als für die theologifche
Welt im Allgemeinen und auch für ein weiteres
gebildetes Publicum benimmt ift, recht viele Lefer
finde. Ein vorläufiger Wegweifer kann es werden für
Anfänger im theologifchen Studium, welche Quellen-
ftudien über alte Kirchengefchichte zu machen fich
ruften. Aber auch denen, die zu folcher Arbeit Zeit
und Neigung nicht haben, ift die Leetüre fehr anzu-
rathen. Befonders empfiehlt fich die Anfchaffung diefer
Schrift für paftorale Lefezirkel.

Magdeburg. W. Bornemann.