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Ausgabe:

1888

Spalte:

67

Autor/Hrsg.:

Stromberger, Chr. W.

Titel/Untertitel:

Die geistliche Dichtung in Hessen. Ein Vortrag, durch biographische und literarische Bemerkungen und eine Auswahl von Dichtungen erweitert 1888

Rezensent:

Schlosser, Georg

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67

68

Stromberger, Dr. Chr. VV , Die geistliche Dichtung in Hessen, j

Ein Vortrag, durch biographifche und literarifche Bemerkungen
und eine Auswahl von Dichtungen erweitert
. Darmftadt, Waitz, 1886. (IV, 176 S. 8.)
M. 2.50; geb. M. 3.30.

Der durch frühere Arbeiten auf dem Gebiet der
■geiftlichen Liederdichtung wohl legitimirte Verfaffer hat
üch in diefem Vortrag die Aufgabe geftellt, nachzu-
weifen, dafs fich Heften an der deutschen geiftlichen
Dichtung zu allen Zeiten in ehrenvoller Weife betheiligt
hat. Angefichts des reichhaltigen Materials, welches
Verfaffer auf fo knappem Raum zufammengedrängt hat,
darf Ref., ohne fich damit dem Vorwurf parteiifcher
Voreingenommenheit für feine Heimath auszufetzen, den j
Beweis für wohl erbracht halten. Es ift eine ftattliche
Reihe von geiftlichen Dichtungen, welche Verfaffer an
unferem geiftigen Auge vorüberführt, von jener alt-
mitteldeutfchen Evangelienharmonie an, welche 1848 von
Weigand in Friedberg aufgefunden wurde, bis zu der
1867 erfchienenen ,Maria von Bethanien' der Luife von
Ploennies (gen. zu Darmftadt 1872); und unter den heffi-
fchcn Dichtern, die er aufführt, find Namen, welche einen
guten Klang in der gefammten evangelifchen Kirche gewonnen
haben. Es fei nur erinnert an Erasmus Al-
berus, Burkard Waldis, Gottfried Arnold, J. J. Rambach.
Auch Glieder des heffifchen Fürftenhaufes haben je und
je die Harfe gerührt, z. B. jene edle Anna Sophie von
Heffen, Landgraf Ludwig VI., Ernft Ludwig und deffen
Schweiler Magdalena Sibylla. Befonders dankenswerth
find die reichlich mitgetheilten Proben. Vermifst hat
Ref. eine zufammenhängende Charakteriftik heffifcher
Geiftes- und Dichterart. So gewifs die in unteren
Kirchen aufgefundenen Rette von Altarfchreinen aus dem
15. und 16. Jahrhundert fo ausgeprägte Eigenart auf-
wiefen, um das Recht, fie einer besonderen Malerfchule,
der mittelrheinifchen , zuzuweifen , zu begründen, fo gewifs
ift auch auf literarifchem Gebiete folche Eigenart
vorhanden.

Giefsen. Gg. Schloffer.

Baur, Gen.-Superint. Dr. Wilh., Unsere weibliche Jugend.

Seelforgerliche Erfahrungen und Ratfchläge. Hamburg
, Agentur des Rauhen Haufes, 1886. (VII, 120
S. 16.) M. —.80; feine Ausg. M. 1.—

Das ift ein Büchlein fo recht aus dem Vollen ge-
fchöpft. Es wird nicht allzu viele geben, die fo aus der
Fülle der Erfahrung über untere weibliche Jugend, ihre
Erziehung, ihre Gefahren, ihre Noth zu reden, und aus
der Erfahrung einer vieljährigen und vielgeftaltigen Arbeit
der Furforge für die weibliche Jugend heraus Rath- 1
fchläge zu ertheilen vermöchten, als der hochverehrte '
Herr Verfaffer diefes Schriftchens. Er kennt gleicher-
mafsen den Lebenslauf der weiblichen Jugend des Landes,
wie der Stadt, er hat gleichermafsen die in kleineren
Verhältnifsen naturgemäfse perfönliche Art der Fürforge,
wie die Mittel des Anftaltslebens erprobt, und weifs, wie
das eine oder das andere fich zumeift fchickt. Neigung
und Begabung haben ihn und feine edle Gattin die per- !
fönliche Art des Helfens mit grofsem Gefchick und in j
wahrhaft vorbildlicher Weife auch in die grofsftädtifchen
Verhältnifse übertragen laffen. So ift das Büchlein eine
Fundgrube gefunder, praktifcher Rathfchläge für das
wichtige Arbeitsfeld, von dem es handelt. Faft noch
höher anzufchlagen ift feine gewiffenerweckende und anregende
Kraft. Das tiefe Erbarmen, der heilige Ernft,
die hoffnungsfreudige Begeifterung, die aus des Verfaffers
Schilderungen und Mahnungen heraus zu uns reden,
reitsen einen unwiderftehlich mit fort, und wecken mächtig
die Frage im eigenen Herzen: Was kannft, was mufst
auch du thun ? Ohne zu idealifiren weifs der Verfaffer

auch die widrige Arbeit an den im tiefften fittlichen
Schmutz Verfunkenen in einer gewiffen Verklärung er-
fcheinen zu laffen, indem er fie in das Licht des Erbarmens
Chrifti ftellt, das auch auf dunkelen Sündenwegen
feinen Gliedern folgt. Um auch nur eine Andeutung
des reichen Inhaltes zu geben, feien folgende
Abfchnitte hervorgehoben: Die Hirtentreue (4.), Das
Pfarrhaus und die confirmirten Töchter (5.), Die Verantwortlichkeit
der Herrfchaften (6.), Die ,Freundinnen
des jungen Mädchens' (8.), Gefährdet (9.), Die Gefallenen
(10.).

Giefsen. Gg. Schloffer.

Rebe, Maria, Goldene Hauben. Federzeichnungen aus dem
Elfafs. Gotha, F. A. Perthes, 1884. (134 S. gr. 8.)
M. 1.60.

Rebe, Maria, Am Strengbach. Karlsruhe, Reiff, 1886. (205
S. gr. 8.) M. 2.— ; geb. M. 2.75.

Obwohl die Theol. Literaturzeitung eigentlich für
die Befprechung der Unterhaltungsliteratur keinen Raum
hat, fo wird fie doch den Schriften der Maria Rebe
(Frau Pfarrer Michel in Rappoltsweiler) gegenüber wohl
eine Ausnahme machen dürfen, denn auch deren belle-
triftifche Schriften haben fämmtlich nur den einen Zweck,
ihre Gedanken über die Erziehung der weiblichen Jugend
zu ihrem häuslichen Beruf und ihre Vorfchläge für eine
dem entfprechende Umgeftaltung des weiblichen Unterrichts
, wie fie fie in theilweife fchon früher be-
fprochenen Schriften (,Herrfchen und Dienen'; ,Die Schule
kann helfen, die Schule mufs helfen'; .Haushaltungskunde
') niedergelegt hat, in weitere Kreife zu tragen.
Ihr dabei behilflich zu fein, ift die Pflicht eines jeden,
der fein Volk lieb hat. Es thut umfomehr noth, als
natürlich nicht wenige der zünftigen Schulmänner fich
folch' radicalen Plänen gegenüber zunächft nur ablehnend
verhalten, wofür fie aus den thatfächlich vorhandenen
Schwierigkeiten allerdings Gründe genug beizubringen
wiffen. Aber der Gedanke ift im Grunde fo felbftver-
ftändlich: die Frau hat ihren Beruf vor allem im Haus,
und fie dazu tüchtig zu machen foll die oberfte Aufgabe
des Haufes nicht nur, fondern auch der Schule fein; und
wiederum ift unter einfichtigen Eltern längft fo viel
Klage, dafs unfer heutiges Mädchenfchulwefen vielfach
ungefunde Wege gehe, eben weil es diefes nächftliegende
natürliche Ziel nicht genügend in's Auge faffe, dafs die
Beftrebungen der Frau Pfarrer Michel der ernfteften Beachtung
werth find, und dafs man, wenn fie nur einmal
genügend bekannt geworden find, den Schwierigkeiten
der Ausführung gegenüber wohl darauf rechnen darf:
vohere is a wi//, tliere is a zvay.

Das erfte der genannten Bücher vertritt diefe Beftrebungen
indirect, indem es in einer äufserft anziehend
und naturwahr gefchriebenen Gefchichte aus dem el-
fäfsifchen Volksleben den Segen einer tüchtigen, gottes
fürchtigen Hausfrau zur Darfteilung bringt.

,Am Strengbach' will direct für die Bedeutung des
von der Verfafferin empfohlenen Haushaltungsunterrichts
für das Leben befonders der geringer begüterten Claffen
unferes Volkes Propaganda machen. Dabei kann es
allerdings nicht fehlen, dafs man ,die Abficht merkt'.
Aber wer die Verhältnifse, zumal in unferen Fabrikorten,
kennt und weifs, wie viel zerftörtes Familienleben feinen
Grund vor allem darin hat, dafs die Hausfrau nichts von
der Haushaltung verlieht, und fich in den kleinen Verlegenheiten
des häuslichen Lebens nicht zu helfen vermag
, der wird es gerne überfehen, dafs fich die Tendenz
hier und da mehr, als fchriftftellerifch zuläffig ift, geltend
macht, und wird nur wünfehen, dafs fie fich auch wirklich
recht kräftig zur Geltung bringt.

Giefsen. Gg. Schloffer.