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Ausgabe:

1888 Nr. 3

Spalte:

65-66

Autor/Hrsg.:

Achelis, E. Chr.

Titel/Untertitel:

Aus dem akademischen Gottesdienste in Marburg. Predigten. 2. Heft 1888

Rezensent:

Thoenes, Karl

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65

Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 3.

66

gemeinfam bekannten und anerkannten chriftlichen
Glaubens'. — ,Chriftliche Sittlichkeit und chriftlicher
Glaube gehören nach Grund und Wurzel zufammen'.
Er will nur nicht in jeder Predigt den Grund und Boden
des fittlichen Lebens befonders legen und aufzeigen
(S. 30). Gefchieht letzteres nicht, ift, wie es S. 29 heifst,
,der Glaubensgrund nur die ftillfchweigende Voraus-
fetzung', dann hat man die befondere Moral- oder Sittenpredigt
. Hier eben fcheint uns der Verf. etwas zu weit
zu gehen. Wir möchten folche allein Moral behandelnden
Predigten nicht häufig, fondern höchftens ausnahms-
weife zulaffen, alfo die Hinweifung auf den chriftlichen
Glaubensgrund nicht vermiffen und den Unterfchied
zwifchen Moral- und Glaubenspredigten nur auf ein
ftarkes Vorherrfchen des fittlichen oder religiöfen Inhaltes
beziehen. Eine Unterfcheidung zwifchen beiden
kann ja nicht entbehrt werden, führt aber bei fcharfer
Durchführung zu einem verhängnifsvollen Fehler. Wir
faffen die Frömmigkeit fo, dafs fie die Sittlichkeit mit
einfchliefst und würden deshalb auch gegen die S. 47
von Kraufs angeführte Stelle keinen Einwand erheben.
Dafs aber auch des Verf.'s Anficht, der ja S. 97 der
Glaubenspredigt weit gröfseren Raum zuweift als der
Moralpredigt, der unfrigen ganz nahe liegt, zeigen feine
Worte S. 29: .wenigftens auf [den Glaubensgrund] hinzuweifen
, wird erfpriefslich fein' und S. 30: wir wollen
,gern noch bekennen, dafs allerdings auch nach unferer
Meinung die vollkommenften Moralpredigten diejenigen
wären, in welchen Religiofes undMoralifch.es fich
vollkommen gegenfeitig durchdringen und in
diefer ihrer innigen Verbindung zur Darfteilung kommen'.
Wenn derfelbe endlich S. 33 ,ein gewiffes Vorwiegen
oder relativ felbftändiges Auftreten des moralifchen
Elementes in einzelnen Predigten' für nöthig erklärt, fo
ftimmen wir dem und zwar wohl mit der grofsen Mehrzahl
der Prediger völlig zu.

Dennoch halten wir die Schrift des Verf.'s für fehr
zeitgemäfs. Es fehlt ja wohl nicht an Hinweifungen
und Befprechungen des Sittlichen auf der Kanzel, aber
diefelben werden oft zu allgemein und unbeftimmt gehalten
. Der Verfaffer hat ganz Recht, wenn er mit
Dr. Rieger S. 40 und 41 ein genaueres Eingehen in das
gegenwärtige Menfchenleben verlangt, ,eine Predigtweife,
in welcher dem wirklichen Leben fein deutlich erkennbares
, lebendig ausgeführtes Bild entgegengehalten würde'
und, fetzen wir hinzu, die Geftaltung der Heiligung in
den nächften Lebensverhältnifsen. Wir Prediger find
wirklich vielfach nicht volksthümlich genug, und unfer
Chriftenthum überhaupt findet oft zu wenig den Weg
aus der Theorie in die praktifche Bewährung. Doch er-
fehnen wir die gröfsere Volkstümlichkeit, insbefondere
Anfchaulichkeit und Klarheit, nicht nur für den Ausbau
der Heiligung, fondern auch für deren Grundlage, die
Rechtfertigung. Dem Verf. aber wünfchen wir recht viele
aufmerkfame Lefer für feine an heilfamen Rathfchlägen
und Winken reiche Schrift.

Friedberg. Diegel.

Achelis, Prof. Dr. E. Chr., Aus dem akademischen Gottesdienste
in Marburg. Predigten. 2. Heft. Marburg,
Elwert's Verlag, 1887. (IV, 107 S. gr. 8.) M. 1.—

Die Predigten, welche Prof. Dr. Achelis im zweiten
Hefte zufammengeftellt hat, theilen nach Inhalt und Form
die lobenswerthen Eigenfchaften der im erften enthaltenen
(vergl. über diefe L. Z. 1886. Nr. 23). Es find 15 Themen,
welche behandelt werden: ,Das Bleiben in der Rede Jefu'
nach Joh. 8, 31. 32i höchfte Offenbarung der Liebe'
nach I Joh. 3, 16, ,Die Confirmation ein Gedächtnifs der
Liebe Gottes' nachjerem. 31, 3, ,Die Frucht des Geiftes'
nach Gal. 5, 22, ,Unfer Verhalten zu Chrifto vor den
Menfchen ift der Mafsftab von Chrifti Verhalten zu uns

vor Gott' nach Matth. 10, 32. 33, .Wartet eures Priefter-
amts vor Gott gegen die Brüder' nach Hebr. 13, 16, ,Die
Majeftät der Pflicht ohne Chriftus und mit Chriftus' nach
Luk. 17, 10, ,Der Weg zu Chrifto' nach Joh. 1, 35—42,
,Ein Blick in die Vollendung der Seligen' nach Üffenb.
7, 9—17, ,Der göttliche Adel des Menfchen' nach
Apoftelg. 17, 10—12, Jefus Chriftus der Brunnen des
Heils' nach Joh. 7, 37—39, ,Die Gröfse des Glaubens
Abrahams' nach 1 Mofe 22, I —18, ,Lebenshemmungen
find dem Chriften Lebensförderungen' nach 2 Kor.
12, 7—9, ,Die Liebe des Herrn gewinnt die Verdroffenen'
nach Luk. 5, 1—11, ,Die Abficht des Wortes Jefu an die
Seinen' nach Joh. 16, 33.

Schon der Wortlaut diefer Themen ergiebt, dafs fie
zum gröfseren Theile zu den fchvvierigeren zählen, aber
es ift dem Herrn Verf. durchweg gelungen, nicht nur
den Forderungen des Intellects, fondern auch denen des
Gemüths gerecht zu werden. Einzelne Ausheilungen, zu
denen theils der Inhalt, theils die Form hie und da Ver-
anlaffung giebt, übergehe ich.

Lennep. Lic. Dr. Thon es.

Criegern, Divif.-Pfr. Diak. Lic. Dr. Herrn. Ferd. von,
Den erwählten Fremdlingen hin und her. 12 Guftav-
Adolf-Vereins-Predigten. Leipzig, Buchhandlung d.
Vereinshaufes, 1887. (VI, 228 S. gr. 8.) M. 2.50.

Der Herr Verf. fafst in der Vorrede als Erfolg leiner
Predigtfammlung ins Auge, dafs fie etliche Glieder der
Kirche erwecke, etliche über den G.-Ad.-Verein fchlecht
unterrichtete eines Befferen belehre, die gegen denfelben
herrfchenden Vorurtheile zerftreue und den Eifer für
dies evangelifchfte unter allen evang. Liebeswerken
allenthalben belebe.

Wir glauben, dafs diefer Zweck, foweit dazu das
Wort gedruckter Predigten verhelfen kann, erreicht
werden mufs. Denn fchon der Umftand, dafs fie über
faft alle Gebiete der Diafpora unterrichten, und zwar mit
einer Sachkenntnifs und Genauigkeit, die oft in Erftaunen
fetzen, mufs zur Erreichung desfelben nicht wenig beitragen
. Was der Verf. in der 1. Predigt in Bezug auf
Heffen, in der 2., 3. und 6. über Pofen und Polen, in der
7. über Schlehen, in der 9. über Naffau, in der 4. über
Ungarn mittheilt, erinnert faft an photographifche Bilder;
in nicht zu grofsem Rahmen doch kein wefentlicher Zug
vergeffen und alles individuell und packend. An der
Hand der Gefchichte hat Dr. v. Criegern feine G.-Ad.-
Feftpredigten gehalten, und überall verräth fich der überaus
fleifsige und gewiffenhafte Secretär des Central-
vorftandes, der mit allen Einzelheiten des Arbeitsgebietes
genau bekannt ift. Die 12 Predigten v. Criegern's werden
manchem andern Prediger bei Guft.-Ad.-Feften zur willkommenen
Orientirung dienen.

Die Vorurtheile, welchen der Verf. überall zu begegnen
fucht, find vorzüglich die beiden, dafs der Guft.-
Ad.-Verein einerfeits nicht genug Werth lege auf das
Bekenntnifs und andererfeits wohl Kirchen zu bauen, aber
diefelben nicht mit Gläubigen zu füllen vermöge. Eindringlich
weift er es nach, dafs die Treue gegen das
evang. Sonderbekenntnifs das Bekenntnifs zum Evangelium
und die Liebe zu allen evang. Brüdern nicht aus-,
fondern einfchliefst, und gerade in der Diafpora die
Kirchen am fleifsigften befucht werden.

Dafs bei Feftpredigten über wefentlich dasfelbe
Thema beim Anführen von Thatfachen und in der Gedankenentwicklung
einzelne Wiederholungen vorkommen,
ift begreiflich, aber es ift kein Zweifel, dafs Dr. v. Crie-
j gern, welcher mehr aus dem G.-Ad.-Verein, als über denfelben
gepredigt, unfere homiletifche Literatur auf will-
1 kommene Weife bereichert hat.

Lennep. Lic. Dr. Thon es.