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Ausgabe:

1888 Nr. 3

Spalte:

64-65

Autor/Hrsg.:

Schulze, Gust.

Titel/Untertitel:

Ueber Moralpredigten, ihre Berechtigung, Zweckmäßigkeit und rechte Beschaffenheit. Homelitische Studien und Erwägungen, den Mitarbeitern im Predigtamt vorgelegt 1888

Rezensent:

Diegel, J. Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 3.

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von angestrengtem Nachdenken fcheint er auch kein
Freund zu fein, fonft würde er nicht die Ausfprüche des
Paters fo ungeprüft und ohne Widerrede hinnehmen,
wie es von Anfang bis zu Ende des Buchs gefchieht,
und würden ihm die Schwächen der Deduction desfelben
nicht fo ganz verborgen bleiben. Recht bezeichnend
für die Oberflächlichkeit der hier gebotenen Theologie
ift gleich von vorn herein der Satz (S. 46): Die Vergebung
(nach dem Sündenfall) hätte eintreten können ohne
weitere Sühne; ,aber gröfser erfchien die Majeftät Gottes
und das Gräfsliche der gegen ihn gerichteten Beleidigung,

Finger fehen? Wird man es als eine hinreichende Rechtfertigung
ihres Unglaubens gelten laffen, dafs ihre freie
Forfchung fie dazu geführt habe? So wird die Ueber-
zeugungskraft der verfügbaren Beweismittel fchliefslich
doch noch einer Ergänzung bedürfen. Diefe ift auch in
der der Kirche bekanntlich eignenden potestas vis infe-
rendae beftens gegeben. Harthörigen Häretikern gegenüber
, welchen die Bündigkeit klerikaler Deductionen
durchaus nicht einleuchten wollte, hat diefe ja nicht
feiten fchon fegensreich gewirkt: wie oft haben fich da,
nach Luther's Ausdruck, die Büttel und Henker als die

wenn zuvor eine Sühne eintrat und zwar vollftändige i gelehrteften Doctores auf Erden erwiefen. Einftweilen,
Sühne'. So wird das Werk Chrifti zu einem willkürlich, fo lange man von diefer Methode temporttm rationc Jia-
im Grunde zu nebenfächlichen Zwecken ins Werk ge- bita abfehen mufs, bleibt freilich nur übrig, mit anderen
fetzten Schaufpiel. — Der grundlegende Gegenfatz zwi- Mitteln die Netze auszuwerfen; und unwiffende und ober-
fchen Katholicismus und Proteftantismus wird unzutref- flächliche Gefellen wie unfer Edgar werden hier und da

fend in der Frage formulirt: Autoritätsprincip oder freie
Foifchung? Es handelt fich im letzten Grunde nicht
um zwei verfchiedene Wege des Erkennens, fondern um
zwei verfchiedene Geflalten der Religion. Unmittelbar
perfönliches Verhältnifs des an Chriftus Gläubigen zu
feinem Gotte oder Bindung des Heils an die Mittlerfchaft
des Priefters? das ift die Frage. Der Profelyt mufste
fich darüber entfeheiden: willft du im eigenen Glauben

an den Erlöfer deines Heiles felbft gewifs werden, oder i "
willft du es von dem Richterfpruch des Priefters ab- Schulze, Paft. Lic. Dr. Guft., Ueber Moralpredigten, ihre Be-

immer zu finden fein. Uebrigens lehrt die Gefchichte —
dies zur Richtigstellung der Ausfichten in die Zukunft
S. 234, — dafs die Gegenreformation wirkliche Erfolge
überall nur da errungen hat, wo fie mit den Mitteln der
Gewalt und des Zwanges wirken konnte, und dafür ift
in deutfehen Landen nun doch die Zeit vorüber.

Darmftadt. K. Köhler.

hängig denken? Dann fpitzte fich das Dilemma, ins
Praktifche übertragen, in der Frage zu, ob auch der ungerecht
verhängte Bann und die ungerecht vertagte Ab-
folution Verdammnifs wirke? Diefe mufste Edgar feinem
Meifter vorlegen. Sie verneinen, heifst auf den
Boden der Reformation hinübertreten, fie bejahen führt
zu dem unerträglichften Widerfinn. Statt deffen bewegt
fich die Verhandlung ausfchliefslich um die P"rage der
formellen Legitimation des hierarchifchen Lehramts als
unfehlbarer Autorität. So bald diefe von dem Profely-
ten anerkannt ift, hört die Beweisführung auf und tritt
an deren Stelle die pofitive Darstellung des katholifchen
Lehrbegriffs: derfelbe bedarf jetzt keines Beweifes mehr,
der Glaube, d. h. die Unterwerfung des Verftandes unter
die Autorität, ift gefichert. Eine hauptfächliche Stelle
in jenem Beweis nimmt, wie wir fahen, der Schriftbeweis
ein. Aber merkwürdig, nachdem das Recht der Tradition
und der fie tragenden hierarchifchen Autorität
aus der Schrift angeblich erwiefen ift, erfährt man, dafs
die Schrift felbft ihre Autorität nur von der Tradition
empfange (S. 136). So bewegt man fich im Kreis: die
Tradition ift wahr, weil die Schrift für fie fpricht, und
die Schrift ift wahr, weil die Tradition es bezeugt. Wo
ift da das Ende? Und noch fchlimmer ift das Andere:
man fcheint gar nicht zu bemerken, wie mifslich es ift,
wenn der kirchlichen Autorität zugemuthet wird, ihre
Berechtigung vor jedem Einzelnen, der zum Glauben
eingeladen wird, fo wie hier der Verfuch gemacht
wird, zu beweifen, gleichfam fich vor der individuellen
Vernunft in bester Form zu legitimiren. Wohin foll das
führen? Der Pater redet gelegentlich (S. 130) mit lebhaftem
Abfcheu von der freien Forfchung der Protestanten
: in ihr fieht er nahezu den Urfprung alles Unheils
in der Welt. Aber haben wir bei jenem Verfahren nicht
wieder das ganze Elend der freien Forfchung? Dafs fie
dem Umfang nach erheblich eingedämmt ift, giebt wenig
Troft, fo lang fie überhaupt noch in Kraft fteht und
zwar gerade an dem entfeheidenden Punkte. Schliefs-
lich stützt dann der Katholik feinen Glauben doch auf
feine freie Forfchung, d. h. die Einficht, welche diefe
ihm vermittelt hat, dafs die kirchliche Autorität berechtigt
fei Unterwerfung zu fordern. Und wenn fich nun
eine gröfsere oder kleinere Zahl von Leuten finden
follte, die nicht fo bereitwillig die ihnen vorgelegte Legitimation
gelten laffen wie der brave Edgar? die vielleicht
manche Dinge beffer wiffen als diefer, oder dem
vor ihnen manipulirenden Apologeten fchärfer auf die

rechtigung, Zweckmäfsigkeit und rechte Befchaffen-
heit. Homiletifche Studien und Erwägungen, den
Mitarbeitern im Predigtamt vorgelegt. Leipzig, Fr.
Richter, 1886. (VII, 108 S. gr. 8.) M. 1.40.

Als Rechtfertigungsgründe für das Erfcheinen diefer
Schrift macht der Verf. im Vorworte geltend 1) dafs fie
eine Lücke ausfüllt, 2) zeitgemäfs ift und 3) praktifch
brauchbar zu fein fich beftrebt. Man darf zufügen, dafs
fie mit guter Kenntnifs der homiletifchen fowie der fonft
in Betracht kommenden Literatur gründlich und klar
gefchrieben ift. Mit Recht werden nicht blofs principielle
Erörterungen, fondern auch viele Beifpiele gegeben. Der
Verf. stellt zuerst für die Predigt mit genauer Begründung
eine Begriffs-Bestimmung auf, in welcher er lagt, dafs
das zu verkündigende Wort Gottes den göttlichen Gnaden-
und Heilswillen fowie den Gefetzes- und Heiligungswillen
enthalte (S. 3). In letzterem wurzeln dann die
Rechte der Moralpredigt. Da für diefe bei der Auf-
faffung des Cultus als blofs darftellend wenig Raum bliebe,
weift der Verf. in fcharffinniger Erörterung jene Auf-
faffung zurück. Ueberhaupt ftreift er bei feiner vollständigen
Behandlung einen grofsen Theil der Homiletik,
und es werden da gewifs viele nicht allen feinen Anflehten
zuftimmen, aber reichliche Anregung wird jeder
mit Verftändnifs Lefende empfangen. Hier darf nur über
die Hauptfache berichtet werden. Wir glauben, dafs in
diefer der Verf. zwar etwas zu weit geht, aber im
Wefentlichen Recht hat. Letzteres fei um fo fchärfer
hervorgehoben, da am meisten zur Förderung der Sache
und etwaiger freundlichen Berückfichtigung bei einer dem
Schriftchen fehr zu wünfehenden 2. Auflage dienen wird,
wenn wir jetzt befonders auf folches hinweifen, was zu
Bedenken Anlafs giebt. Da die .Berechtigung' der Moralpredigt
§ 4 doch wohl auch auf deren .Zweckmäfsigkeit'
g 7 beruht, fcheint fich eine Vereinigung oder doch
Nebeneinanderordnung diefer beiden zu empfehlen.
Vielleicht ftellt auch die Beifügung eines Eigenfchafts-
wortes in § 4 den Unterfchied klar. Die .Einwürfe und
Vorwürfe', welche der letzte § bringt, kämen vielleicht
angemeffener fchon vor § 4 zur Sprache, da ja diefer
und ,S S fchon Einwänden entgegentreten und vorbeugen,
namentlich denjenigen, zu welchen die rationaliftifche
Moralpredigt Anlafs gab. Letzterer gegenüber betont
der Verf. mit grofser Entfchiedenheit z. B. S. 21, ,dafs
für den chriftlichen Prediger das Recht befonderer Sitten-
und Moralpredigten nur besteht unter Vorausfetzung