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Ausgabe:

1888 Nr. 25

Spalte:

617-621

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Wilh.

Titel/Untertitel:

Die Gefahren der Ritschl‘schen Theologie für die Kirche 1888

Rezensent:

Herrmann, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 25.

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in Chriftus an uns ergangen ift. Damit ftelle ich mich
in meinem innern Leben auf Gottes objective Offenbarung,

fehlt haben. Trotz dem hat das Schriftchen in einer
andern Beziehung einen Inhalt, den wir ernftlich beachten

die ftärker ift als mein Herz. Das ift auch Luther's Praxis, ; muffen. Ich meine das Pofitive, das der Verf. uns ent-
wie ich in meinem Buche eingehend gezeigt habe. Da- j gegenftellt. Vieles, was wir in andern Fällen hinter un-
gegen ift die Praxis des Verf.'s ein Beifpiel der Schwärm- j ficheren Reden nur vermuthen konnten, trägt uns der

geifterei, gegen deren Verbreitung in unferer Kirche mein
Buch gerichtet ift. Luthardt hatte gemeint, fo etwas
gebe es bei uns gar nicht; ich kämpfte gegen Windmühlen.
Ich (teile ihm alfo den Verf. als eine diefer Windmühlen
vor und bedaure hinzufügen zu müffen, dafs diefelbe
durch die von Luthardt vertretene Theologie getrieben
wird, fo fehr ich anerkenne, dafs Luthardt felbft eine
folche fchwarmgeiftige Praxis ausdrücklich von fich ablehnt
. Auch dadurch fucht mich der Verf. zu fchädigen,
dafs er behauptet, ich fei ein Gefinnungsgenoffe von
Bender. In welche Verlegenheit würde der Verf. wohl
gerathen, wenn er das beweifen follte. Wenn nun ein
ehrlicher Mann, der nichts weiter von dem Verf. wüfste,
als jenes Verfahren gegen mich, den Verf. einer bewufsten
Unwahrheit befchuldigte, fo würde das niemand übelnehmen
können. Ich urtheile trotzdem nicht fo hart. Denn
ich halte dem Verf. zu Gute, dafs er erftens die Zucht
des Denkens und der Rede, welche aus wiffenfehaftlicher
Arbeit erwächft, niemals erfahren hat und dafs er zweitens

Verf. mit achtungswerthem Freimuth offen entgegen.
Es ift derfelbe Verf., der in einer Schrift über die göttliche
Vorfehung den chriftlichen Glauben, dafs wir in
allen unfern Erlcbnifsen die Hand unferes Vaters im Himmel
finden können, beftritten hat, und zwar unter reichlichem
Beifall einer vermeintlich kirchlichen Theologie.
Eine ähnliche Kirchlichkeit, wie in jenem Buche, verräth
der Verf. in den Pofitionen, von denen aus er feinen
Feldzug gegen Ritfehl unternimmt. Es ift ein merkwürdiges
Schaufpiel, mit welcher Zuverficht der Verf. das
kirchliche Recht feiner Meinungen vorausfetzt, und wie
bereitwillig Andere von dem Beftreiter Ritfchl's fich Alles
gefallen laffen. — Den Eindruck, den der Verf. von der
Theologie feines Gegners hat, können wir fo darfteilen:
in einer von Ritfchl's Gedanken befangenen Seele mufs
das Verlangen nach Wahrheit und das Verlangen nach
Gott verkümmern. Der Verf. hat es nicht fo gefagt; aber
das ift feine Meinung. Natürlich fühlt fich der Verf. in
feinem Verlangen nach Wahrheit geftört, weil R. die

zu denen gehört, welche durch eine leidenfehaftliche und j Scheidung des Welterkennens von dem rel. Glauben des
die Pflicht der Wahrhaftigkeit gar zu leicht nehmende 1 Chriften vertritt. In dem Satze, dafs man nur auf dem
Preffe verhetzt und verftört find. Noch fchmerzlicher j Standpunkte der chriftlichen Gemeinde das, was uns
als das von allen anftändigen Theologen ficherlich ver- Chriftus offenbart, erfaffen könne, fieht der Verf. eine
urtheilte Verfahren des Verf.'s ift mir, dafs Luthardt j feige Flucht vor den Einreden, die das Welterkennen
in einer Recenfion des Schriftchens (Theol. Litt.-Bl. 1888. dem Glauben macht. Dafs die Erlanger Theologie den-

Nr. 41) die Behauptung des Verf.'s, mein Buch fei gegen
die Lehre von der unio mystica gerichtet, mit feinem
Allfehn deckt. Da Luthardt einen langen Auffatz über
mein Buch gefchrieben hat, fo weifs er ficherlich, dafs
jene Behauptung falfch ift. Vor allem aber mufste er
wiffen, dafs jener Satz, den der Verf. als von mir herrührend
citirt, nicht von mir gefchrieben fein konnte.
Er wufste auch, dafs die Verbreitung eines folchen ge-
fälfchten Satzes unter meinem Namen mich fchwer fchädigen
mufs. Trotzdem hat ihn fein Gerechtigkeitsgefühl
nicht dazu vermocht, einem fchwer gekränkten Gegner
zu feinem Recht zu verhelfen. Wir bedauern es tief,
dafs er feine Sache nicht von folcher Befleckung frei
halten will. Denn welchen Zuftänden gehen wir entgegen
, wenn eine grofse Gruppe in der evangelifchen
Kirche die Meinung hegt, dafs man in Sachen der Kirche
folche Mittel anwenden dürfe.

Marburg. W. Herrmann.

Schmidt, Pfr. Dr. Wilh., Die Gefahren der Ritschl'schen
Theologie für die Kirche. Vortrag, auf der Berliner
Paftoral-Konferenz am 31. Mai 1888 gehalten. [Aus:
,Evang. Kirchenzeitg.'j Berlin, Wiegandt & Grieben,
1888. (53 S. gr. 8.) M. -. 75-

Trotz der Gefahr, dafs der Verleger den erften Satz
diefer Anzeige zu Reclamezwecken verwendet, ftehe ich
nicht an, das Erfcheinen diefes Vortrags als hocherfreulich
zu begrüfsen. Das Schriftchen ift zwar theologifch I verzeihlich erfcheinen. Dafs" ein evangelifcher Theolo

felben Satz vertritt, durfte der Verf. feinen Zuhörern
nicht mittheilen. Er fagt nun zwar auch, es könne der
Theologie nicht zugemuthet werden, ,auf dem Wege der
wiffenfehaftlichen Analyfe der Inhalt ihres Glaubens zu
finden oder direkt zu beweifen'. Er verlangt nur das
von ihr, ,dafs fie die gegnerifchen Behauptungen wiffen-
fchaftlich entkräftet und den religiöfen Wahrheitsbefitz
immer von Neuem dagegen ficher ftellt'. Aber haben
denn Ritfehl oder Frank die Nothwendigkeit einer folchen
apologetifchen Leiftung jemals beftritten? Wir dürfen
vielmehr behaupten, dafs wir uns mehr als irgend eine
andere theologifche Gruppe darum bemüht haben, den
Charakter des wiffenfehaftlichen Welterkennens klarzu-
ftelltn und diefe Einlicht für die Theologie zu verwerthen.
Dagegen halten wir allerdings das von Theologen mit
Vorliebe befolgte Verfahren des Verfaflers für gänzlich
würdelos. Er verlangt heftig eine Betheiligung des Welterkennens
an der Gotteserkenntnifs, weil jenes nicht an
fich, fondern nur in Folge verkehrter Willensrichtung dazu
untauglich fei. Aber von den Bedingungen des Welterkennens
, von dem Charakter der wiffenfehaftlichen Er-
kenntnifs des Wirklichen hat er keine Ahnung. Sonft
könnte er fich wohl nicht für feinen Satz, dafs das
wiffenfehaftliche Welterkennen bei der Gotteserkenntnifs
Hilfsdienfte leiden müffe, darauf berufen, ,dafs
der Herr mit Vorliebe auf die Natur exemplificirt' und
dafs Paulus Rom. 1, 19 von einer Erkenntnifs Gottes
aus feinen Werken fpricht. Solches Gerede würde mir
bei einem im Seminar erzogenen katholifchen Cleriker

werthlos, aber als Document für die Zeitgefchichte ift fich unter allgemeinem Beifall darin ergehen darf, finde

es von hohem Werthc. In feinem Streben nach einem
feften tHeologifchen Standpunkt wird der Verf. zu
einer Auseinanderfetzung mit der Ritfchl'fchen Theologie
gedrängt. Da aber diefe Theologie feinen Lieblingsmeinungen
durchweg den Boden entzieht, fo betrachtet
er die Gefahr, in welcher er felbft mit feinen Schätzen
fich befindet, als eine Gefahr für die Kirche. Die Kritik,

ich fchimpflich. Aber fchlimmer als diefer wiffenfehaftliche
Mangel ift die Thatfache, dafs der Verf. von der
erfolgreichen Betheiligung des Welterkennens an der
Gotteserkenntnifs die Gewifsheit des Glaubens felbft abhängig
macht. Der Verf. fürchtet die gröfste Gefahr für
die Kirche, d. h. doch wohl für die Gemeinde der Gläubigen
, wenn Ritfchl's Satz gelten folle, dafs nämlich nur

welche er in PTlge deffen an der Ritfchl'fchen Theologie Gott felbft durch feine Offenbarung uns zu fich erhebe,
übt, ift fehr unerheblich. Auch wenn der Verf. zu einer | während das wiffenfehaftliche Welterkennen nicht an ihn
ernfthaften Kritik eines folchen Gegenftandes die nöthi- herankomme. Er meint, das Eingeftändnifs eines folchen
gen Mittel befäfse, fo würde in diefem Falle ihm doch ignoramus feitens der Wiffenfchaft müffe fchlicfslich
der nöthige Raum für die Entfaltung feiner Kräfte ge- I die Gläubigen zu einem dubitemus führen. Wenigftens