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Ausgabe:

1888 Nr. 24

Spalte:

598-600

Autor/Hrsg.:

Frank, Fr.H.R.

Titel/Untertitel:

System der christlichen Sittlichkeit. 2. Hälfte 1888

Rezensent:

Herrmann, Wilhelm

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597 Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 24. 598

[ein! Wie aber, wenn wir eine Anzahl von Stellen finden, Ifrael auch Weigel's Unterfchrift der Form. Conc. (ittlich
in denen dem ßuchftaben nach nichts von diefer Phan- t zu rechtfertigen fuchen; er vergleiche nur die Aeufsc-
tafterei fleht, die aber doch erft verftändlich werden, wenn rungen desfelben in der Feftpoftille S. IO, wo er es im
diefer Gedanke herzugebracht wird ? Wenn z. B. Johannes Princip als Weltweisheit verurtheilt, dafs Conliftorien
der Täufer I 30 fagt: ,Chriftus ift geboren aus der Jung- ,das reine Evangelium nicht Platz haben laffen, machen
frauen, aber ich aus der Tochter Eva', oder wenn I, 49 fonderliche Bücher, darein die Jugend fchwören mufs'u. f. w.
gefagt wird, Chrifti Mutter hätte nicht eines Königs Je gezwungener nun aber die Polition eines Weigel geTochter
fein dürfen, ,denn fie wäre keine Jungfrau ge- wefen fein mufs,— hier feine gnoftifche Myftik, und dort
wefen', oder wenn II 111 den Gläubigen verkündet wird, ; fein orthodoxes Pfarramt— um fo mehr fcheint es mir
ihre neue Geburt erfordere eine andere Mutter und '. pfychologifch wahrfcheinlich, dafs in feiner Privatcorre-
einen andern Vater', find das nicht alles Gedanken, die fpondenz m it Ein ge weihten fein Gemüth auch in recht
erft im Zufammenhange mit dem Mythos-von der himm- ftarken Expectorationen fich Luft gemacht haben werde,
lifchen Eva durchfichtig werden? Was müfste alfo für Darum kann ich dem Verf. in feiner Verwerfung der
eine tiefgreifende Interpolation hier angenommen werden! Echtheit des Sendfehreibens an einen befreundeten Juriften
(Vgl. ferner I 45. 74. 128. 126. Feftpoftille S. 76—78.) (Nr. 18 B) ,kurtze aufsführliche Erweifung' nicht beipflich-
Und weiter: liegen nicht die Prämiffen für diefe Lehre 1 ten. Dafs die Sprache ,fehr heftig und häufig mit latein.
in den unbezweifelten Schriften Weigel's vor uns? Er hat Brocken verfetzt' ift, genügt abfolut nicht, um die Flcht-
ja doch die Hcilslehre in eine physica sacra um- heit anzufechten. Und auch fachlich vermag ich nichts
gefetzt, indem er im ,Güldnen Griff Cap. 26 lehrt, das zu entdecken, was gegen diefe Zeugnifs ablegte. — Auf
Wort fei Fleifch geworden ,wegen des Leibes von die Darlegung weiterer Bedenken gegen Einzelheiten in
Himmel', und im luformatorium (1695 Bl. f. 8b) die Er- 1 dem kritifchen Verbuche Ifrael's mufs ich hier verzichten,
löfung befchreibt als ,die Wiederbringung durch Chriftum { Jedenfalls gebührt dem Verf. unfer Dank für feine ver-
mit dem himmlifchcn ewigen (!) Fleifch'. Wohl wendet dienftlichen Bemühungen um die Bibliographie und um
Ifrael ein, dafs Weigel jene Lehre fonft nirgend vor- den handfehriftlichen Nachlafs Weigel's. Möge feine Ge-
trage. Aber wir find ja nicht im Stande, feine Schriften ; dächtnifsfehrift gerade an den Punkten, wo fie noch Be-
fämmtlich chronologifch zu ordnen, wiffen alfo fehr wenig denken erregt, den Anftofs zu neuen Nachforfchungen
über eine etwaige Fortentwicklung feiner Gedanken, geben. Das Denkmal in der luth. Kirche zu Zfchopau
Dafs aber verfchiedenartige Speculationen, die er gönne ich dem frommen Weigel von Herzen; aber ich
dann nicht weiter verfolgt, bei ihm fich zeigen, dafür proteftire, wo man mir denfelben als einen — nur nicht
verweife ich auf ,ürt der Welt' S. 128. 129, wo zunächft ganz orthodoxen—Vertreter evangelifchen Chriftenthums
Chriftus identificirt wird mit dem Willen Gottes, und darftellen will. Das wäre ein Mifsverftändnifs der Grund-
dann ,Chriftus von Nazareth' befchrieben wird als be- anfehauungen der Reformation.

gabt mit dem ,allerfreieften' Willen, aber: er liefs den Kiel q Kawerau
Vater wollen, ,da war Gott und Menfch eins'. Sieht das
nicht ganz fo aus, als wolle er hier den hiftorifchen

Chriftus als denErftling derer fchildern, in welchen mittels Frank, Geh.-R., Prof. Dr. Fr. H. R.. System der christ-

des Verzichtes auf eigenen Willen der Logos-Chriftus In- ]jchen Sitt|ichkejt. 2. Hälfte. Erlangen, Deichert, 1887.

carnation erhielt.' Das find Gedanken, die neben den ..... , c «im«

Phantafien über die himmlifche Leiblichkeit hergehen, ' V11J' 49" i>. gr. »■) M. ö.—

aber darum noch nicht unecht find, weil fie fonft nicht In der erften Hälfte diefes Buches hatte Frank das
weiter belegbar find. — Hier wird es gerade auf Grund Werden des Menfchen Gottes an fich dargeftellt. Jetzt
der von Ifrael hervorgeholten Manufcripte noch manche folgt ,das Werden des Menfchen Gottes in feiner Beerneute
Unterfuchung erfordern. Fragen in Menge find ziehung auf die gciftliche Welt' und ,das Werden des Men-
aufgeworfen, aber ihre Erledigung ift zu fehr kurzer Hand fchen Gottes in feiner Beziehung auf die natürliche Welt',
erfolgt, als dafs fie befriedigen könnte. Der Verf. fchreibt Bei aller dankbaren Anerkennung hoher Vorzüge mufsten
in beltändiger Polemik gegen H. Schmidt. Dafs wir ihm wir an dem erften Bande einen wefentlichen Mangel her-
hier in einem wefentlichen Punkte beipflichten müffen, Vorlieben. Die richtige Aufgabe, zu zeigen, wie aus der
ift bereits angedeutet. Aber in den dogmatifchen Ein- Erkenntnifs der Gnade Gottes in Chriftus das Werden
Wendungen gegen Weigel's Theologie wird Schmidt gegen eines neuen Menfchen kommt, war von Frank im Wider-
Ifrael im Rechte bleiben; fo z. B. betreffs der Frage, fpruch mit den Grundfätzen Luther's fcholaftifch be-
woher eigentlich die Creatur komme. Ifrael beruhigt handelt worden. Er hatte unternommen, das Werden
fich hier damit, dafs Weigel oft genug von der That- des Menfchen Gottes in der Wiedergeburt als einen er-
fache der Schöpfung redet; aber er vergifst, dafs der- kennbaren Vorgang aus feinen Urfachen zu erklären. Das
jenige, der Gottes Wefen absolute als .wircklofs, willlofs, ; ift die Aufgabe der katholifch.cn Juftificationslehre, welche
affectlofs'hinftellt, der Gott erft durch die Creaturen Frank mit einigen durch das evangelifche Bekenntnifs
perfönlich, wollend und begehrend werden läfst, Unfinn 1 gebotenen Modificationen erledigte. Er bemerkt nun
redet, wenn er dann doch diefen willenlofen Gott plötz- freilich, dafs er durch diefe Modificationen den Gegen-
lich zum Act der Schöpfung fchreiten läfst. Ebenfo wird fatz gegen die fcholaftifche Theologie erreiche, der dem
es trotz aller gelegentlichen Verfchleierungen von Seiten evangelifchen Glauben entfpreche. Das ift aber ein Irr-
Weigel's dabei bleiben, dafs ihm die Sacramente für feine thum. Denn das fpeeififeh Katholifche an feinem Ver-
Wiedergeborenen als Gnadenmittel werthlos find, fahren ift eben die Meinung, dafs man die Wiedergeburt
Ifrael verkennt hier die völlige Indifferenz des Myftikers j als einen erklärbaren Vorgang behandeln könne und
gegenüber der Kirche und ihren Gnadenmitteln. Es ift muffe. Diefe Meinung ift auf katholifchem Gebiete aller-
doch eine (Parke Voreingenommenheit des Urtheils, dafs dings an ihrem Platze. Denn da hier der Gedanke der
Ifrael S. 32 die Beftrebungen Weigel's als viel fried- Wiedergeburt nicht aus dem Glauben erwachfen, fondern
Ii eher hinftellt, als die des Pietismus; er habe ja weder lediglich aus der Ueberlieferung aufgenommen werden
den ,Durchbruch der Gnade' urgirt, noch Conventikel, foll, fo ift es faft unvermeidlich, dafs man fich der Wirk-
ccclesiolas gefchaffen. Aber fieht er denn nicht, dafs lichkeit der Sache wenigftens in der Weife zu verfichern
Weigel viel weiter geht? dafs fein enthufiaftifcher Stand- fucht, wie dies bei den Gegenftänden der Naturwiffen-
punkt die Kirche felbft aufhebt? Freilich greift er nirgend fchaft zu gefchehen pflegt, nämlich durch ihre Erklärung
activ in die kirchlichen Zuftände ein, aber doch nur, weil , aus einem gröfseren Zufammenhange des Wirklichen,
ihm ein Kirchenthum ebenfo fleifchlich und adamifch, Bei Frank regt fich dasfelbe Verlangen. Kr hätte das
ja antichriftifch erfcheint als das andere. Vergeblich wird aber nicht nöthig und er follte davor bewahrt werden