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Ausgabe:

1888

Spalte:

594-598

Autor/Hrsg.:

Israel, Aug.

Titel/Untertitel:

M. Valentin Weigels Leben und Schriften 1888

Rezensent:

Kawerau, Gustav

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Theologifche I .iteraturzeitung. 1888. Nr. 24.

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Ilt die erfte Vcrheirathung eines der Geiftlichen dem ' wenn vielleicht fpätere Darftellungen der Strafsburger
Rath auch fichtlich unbequem, fo weifs er doch diplo- | Reformation anderes in feiner Arbeit überholt haben

matifch den Bifchof von gewaltfamem Dingreifen fern
zu halten. Bei der Neuwahl 1524 überwiegt bereits die
evangelifche Partei. Durch die Aufnahme der Geiftlichen,
foweit lie dazu bereit find, in die Bürgerrolle, eine Mafs-
nahme, die fchon früher vereinzelt vorgekommen, jetzt
aber die höchfte Bedeutung empfängt als Ausdruck der
veränderten Stellung des geiftlichen Standes, durchbricht
der Magiftrat die bischöfliche Jurisdiction und nimmt die
evangelifchen Geiftlichen unter den Schutz der weltlichen

follten.

Kiel. G. Kawerau.

Israel, Schuir. Sem.-Dir. Aug., M. Valentin Weigels Leben
und Schriften. Nach den Quellen dargeftellt. Mit Weigels
Bildnis und einer Nachbildung feiner Handfchrift.
Zfchopau, Rafchke, 1888. (II, 167 S. gr. 8.) M. 3. —

übrigkeit. Gleichzeitig erfolgt die Neuorganifirung der Am 10. Juni d. J. find es 300 Jahre gewefen, dafs

Armenverwaltung, indem die Einkünfte der bisher unter
kirchlicher Verwaltung gehaltenen Armenlegate in eine
gemeinfame vom Rath verwaltete Caffe gezogen werden.
Die von Luther verkündigten neuen Principien in Be-

der Myftiker Val. Weigel, lutherifcher Pfarrer an der
Gemeinde Zfchopau, in Frieden heimgegangen ift. Diefe
Säcularerinnerung hat dem Verf., den wir bisher fchon
aus feinen verdienftlichen Reproductionen älterer päda-

kämpfung des Bettels und ürganifation der Armenpflege j gogifcher Schriften fchätzen gelernt hatten, Anlafs gedringen
jetzt durch, nachdem ähnliche Gedanken zwar ; geben, dem einft viel geliebten und dann viel gefcholte-
fchon am Ende des Mittelalters von Geiler ausgefprochen, ! nen Theologen ein literarifches Denkmal zu fetzen, wie
aber damals noch erfolglos geblieben waren, fo dafs j auch auf feine Anregung ein folches aus Erz feitens des

Baum wenigftens für Strafsburg mit Recht den inneren
Zufammenhang diefer rationellen Armenpflege mit der
Annahme der Reformation behaupten darf. Eine neue
Etappe bezeichnet es, als der Rath vom Schutz der

Kirchenvorftandes am Pfarrftuhle der Zfchopauer Kirche
am Todestage Weigel's gefetzt worden ift. Schon diefer
Anlafs läfst vermuthen, dafs vorliegende Schrift den
Charakter einer ,Rettung' nicht verleugnen werde. Frei-

Prädicanten auf Drängen der Bürgerfchaft dazu fort- I lieh leiftet das Buch nicht völlig das, was man nach dem
fchreitet, unmittelbar in das Pfarrbefetzungsrecht des I Titel erwarten möchte. Eine ,Darftellung' auch der
Domcapitels einzugreifen und die Rechte der Gemeinde j Schriften Weigels kündet es an; gleichwohl wird uns
auf die Pfarrwahl verficht. Als dann Reformen des Cul- j nirgend eine zufammenhängende Darfteilung der in diefen
tus als weitere Confequenz gefordert werden, hält der i Schriften niedergelegten Anfchauungen geboten. Nach

Rath den Bifchof durch Forderung einer Disputation über
die ftreitigen Materien in Schach. Als dann die ftür-
mifchen Elemente in der Bürgerfchaft ungeftüm mit
Neuerungen vorfchreiten und die Ruhe der Stadt in

diefer Seite liefert der Verf. nur Vorarbeiten, aber
freilich wichtige und dankenswerthe. Nachdem er die fo
fpärlichen Nachrichten über die Lebensfchickfale Weigel's
zufammengeftellt hat — wefentlich Opels Nachforfchungen

ernfte Gefahr kommt, ift es das Verdienft des Rathes, , hier reproducirend —, giebt er uns einen möglichft voil-

vorfichtig und befonnen die Ordnung zu wahren und die
glückliche, friedliche Weiterentwicklung der Reformen

Bändigen bibliographifchen Apparat, wobei er verbucht,
alles, was unter Weigel's Namen pofthum erfchienen ift,

zu fichern. Mit gleicher Umficht arbeitet der Rath auf | in 3 Claffen zu fcheiden: Echtes, Ueberarbeitetes und
die Säcularifation der Klöfter hin: er forgt für Inventari- ' Untergefchobenes. Diefe für die Ermittlung der genuinen
fation und Zufammcnhaltung der Kloftergüter, erleichtert 1 Gedanken Weigel's natürlich grundlegende Vorarbeit Verden
Austritt, verhindert neue Aufnahmen. So erreicht j ziehtet nun freilich darauf, einen ftringenten Beweis zu
er bei einigen Klöftern mühelos, dafs nach nicht langer j führen. Wohl führt der Verf. einige einzelne Verdachts-
Zeit die letzten Infaffen freiwillig ihr Klofter dem Rath | momente an, im übrigen bafirt fein Urtheil wefentlich auf

überantworten. Aehnliches erfolgt bei den meiften anderen
nach längerem Zuwarten des Rathes, der inzwifchen
die Aufficht über die Kloftergüter und die Gerichtsbarkeit
in den Fällen, dafs Klofterinfaffen fich ungebührlich
und anftöfsig betragen, für fich erfolgreich in Anfpruch

dem Gefammtcindruck, den ihm formell und materiell
die einzelnen Schriften gemacht haben. Er ift überzeugt,
dafs jeder, der fich die Mühe machen wolle, die betr.
Schriften in der vom Verf. angegebenen Reihenfolge zu
lefen, den gleichen Eindruck empfangen werde. Gewifs

nimmt. Auch bei den hartnäckigften Klöftern fetzt er werden wir auch in vielen P'ällcn über diefe Inftanz
wenigftens feine-Oberaufficht durch. Den zäheften Wider- innerer Kritik nicht hinauskommen, und fchon auf diefem
ftand beweifen auch hier wie anderwärts die Nonnen- I Wege wird fich in einzelnen Fällen ein völlig ficheres
klöfter. Ein weiterer Abfchnitt fchildert das mannhafte ! Urtheil fällen laffen. So bin ich der Meinung, dafs bei
Auftreten des Rathes, als endlich das Reichsregiment einer Schrift wie dem ^Studium universale1 fchon der Stil
fich in die Strafsburger Angelegenheiten einmifchen will. — abgefehen von dem phantaftifchen Unfinn des Inhalts
Der letzte Abfchnitt führt endlich das langfame und — die Unechtheit bezeugt; fchon das beftändige Jefus
vorlichtige, alle gewaltthätigen Neuerungen zurück- Chriftus' verräth einen andern Verf., da Weigel doch
haltende, aber doch confequent vorgehende Verfahren confequent nur,Chriftus'oder feiten,Chriftus Jefus'fchreibt.
des Magiftrats gegen die noch beftehende Meffe anfehau- Aber bei andern Schriften läfst fich doch auch mit ge-
lich vor Augen bis hin zu der entfeheidenden Abftim- wichtigen Gründen äufserer Kritik operiren, und es ift
mung vom 20. Febr. 1529. Das Alles ift mit reichem , ein Mangel, dafs der Verf. das unterläfst. Der ,Tractat
archivalifchem Material und unter Benutzung der betr. von der Gelaffenheit'z. B. taucht zwar 1618 unter Weigel's
Literatur, häufig In polemifcher Auseinanderfetzung mit 1 Namen auf, aber fchon die Frankfurter Ausgabe 1693
der Tendenzfchrift von Th. de Buffierre (Histoire de tilgt feinen Namen wieder. Aber weiter: der Verf. des-
1'etablissement du protestantismc a Strasbourg et en Alsace i felben führt eine fprachliche Bemerkung mit den Wor-
1856) in anfehaulicher Darftellung entwickelt. Plier fei 1 ten ein ,hier in Sachfen' (Bl. A), ift alfio kein Meifsner,
noch angemerkt, dafs de Buffierre's Berufung auf Beatus wie Weigel; er weifs anzugeben, ob die märkifchen
Rhenanus und auf deffen 1523 aus Strafsburg angeblich Bauern diefen oder jenen Ausdruck gebrauchen; er be-
gefchrii bene Briefe nun auch durch die Herausgabe des zeichnet (Bl. A 2) fich felbft als ,Layen' gegenüber den
Briefwechfels desfelben durch Ilorawitz und Hartfelder Lateinern! Dabei citirt er noch Bibelftellen nach der
höchft verdächtig gemacht wird. Denn auch diefe Vulgata (Bl. C); feine Polemik richtet fich gegen .Mönche,
Sammlung feiner Correfpondenz weifs weder von jenem i Bifchöfe und Pfaffen' (Bl. D 3b). Danach fcheint mir unAufenthalt
noch von folchen Briefen das Geringfte. — : zweifelhaft, dafs diefe Schrift ein gut Stück älter ift als
Einige am Schluffe veröffentlichte Archivalien 'fichern . die Weigcl'fchen Schriften, nur dafs fie im Anfange des
der Baum'fchcn Schrift auch dann noch eine Beachtung, 17. Jahrh.'s von einem Myftiker innerhalb der lutherifchen