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Ausgabe:

1888 Nr. 23

Spalte:

571-574

Autor/Hrsg.:

Frank, Fr. H. R.

Titel/Untertitel:

Ueber die kirchliche Bedeutung der Theologie A. Ritschl‘s 1888

Rezensent:

Herrmann, Wilhelm

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571 Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 23. 57:

gleichmäfsig unter diefem Literaturideal der Zeit. Wenn
aber kein Grund dafür vorliegt, Sch. trotz feiner Fehler
alles fittliche Streben durchaus abzufprechen, fo gewifs
noch viel weniger zu der Geneigtheit des Verfaffers,
feine Sittlichkeit für höher zu halten als feine Religiofität
(S. 126). Denn die geheimften Triebfedern und das Mafs
des perfönlichen Glaubens dürften doch noch fchwerer
zu ermitteln und feftzuftellen fein, als diejenigen der
moralifchen Lebensführung.

Rumpenheim. S. Fck.

Frank, Geh.-R. Prof. Dr. Fr. PL R., lieber die kirchliche
Bedeutung der Theologie A. Ritschl's. Conferenzvortrag.
Nebfl 2 Beigaben. Erlangen, Deichert, 1888. (III,
77 S. gr. 8.) M. 1. 20.

Diefer Vortrag ift gehalten und veröffentlicht worden,
um zu beweifen, dafs die Theologie R.'s eine der Heim-
fuchungen fei, welche Gott bisweilen über feine Gemeinde
kommen läfst. Wie Frank es auch fonft begegnet
ift, fcheint er Och dabei auf den Standpunkt der halberdrückten
Minorität zu befinden. Einige fromme Seelen,
zu denen auch er gehört, halten noch an dem Gott der
Bibel fefl. Sie bilden den Reft, aus dem die Gemeinde
wieder erblühen wird, wenn fich die Ritfchl'fchen Ge-
wäffer wieder verlaufen haben. In der That eine merkwürdige
Fiction bei einem Manne, der, von dem Beifall
vieler Kirchenzeitungen getragen, fich einer bald unüber-
fehbaren Menge von Beftreitern Ritfchl's im Dienfte der
öffentlichen Meinung anfchliefst. P'rank macht zwar auf
die rafche Verbreitung diefer Theologie aufmerkfam, die
er auf den hervorragenden Charakter der theologifchen
Leiftung', auf die Reclame begeifterter Schüler und auf
den Mangel geiftlicher Erfahrung in der gegenwärtigen
Generation zurückführt. Aber das letzte kann doch kaum
ernft gemeint fein. Denn Frank kann nicht leugnen, dafs
er felbft viel mehr als Ritfehl die von der kirchlichen
Preffe geleiteten Maffen hinter fich hat. Wenn Frank alfo
bei der gegenwärtigen Generation einen befonderen
Mangel von geiftlicher Erfahrung conftatirt, fo würde
vielmehr erlaubt fein, von diefer traurigen Thatfache eben
jene Maffenbewegung, den Hafs, der in den weiteften
Kreifen gegen Ritfehl aufgährt, abzuleiten. Aber folche
Art der Polemik fleht uns nicht an. Sie ift zu bequem
und bildet auf jeden Fall bei dem, der fie übt, ein flarkes
Hindernifs geiftlicher Erfahrung. Die zweite Urfache aber,
welche Frank zur Erklärung der Erfolge Ritfchl's ver-
werthet, die Reclame begeifterter Schüler, follte ihn doch
eigentlich aller Beforgnifse entledigen. Denn Reclame-
gröfsen üben in der Kirchengefchichte keine nachhaltige
Wirkung aus. Es würde alfo doch wohl der hervorragende
Charakter der theologifchen Leiftung' als dasjenige
übrig bleiben, was Ritfchl's Erfolge und PTank's
Beforgnifs hervorgebracht hat. Dies ehrende Prädicat
wird PTank nach dem vorliegenden Vortrag durch folgende
Punkte begründen. Ritfehl ift dem ,allerdings vorkömm-
lichen Wahne, als fei es Sache des hhnzelnen, ohne Ver-
mittelung der Gemeinde aus dem Borne der Gnade zu
fchöpfen', entgegengetreten; er lenkt das Auge auf die
gefchichtliche Perfon und Wirkfamkeit Chrifti, damit man
mit dem Apoftel fagen lerne: wir fahen feine Herrlichkeit
; er ,hat fich ein Verdienft um die evangelifche Theologie
erworben durch den Hinweis auf das Eindringen
einer das gefunde Mafs der reformatorifchen Lehre über-
fchreitenden Myftik, namentlich innerhalb der asketifchen
Literatur, und durch Aufdeckung der vielen Schäden,
welche dem Pietismus anhaften; er hat gewiffen Mifs-
bildungen gegenüber mit Recht darauf hingewiefen, dafs
der chriftliche Begriff der Verformung nur verftanden
werden könne als Aufhebung des einfeitigen oder gegen-
feitigen Widerfpruchs zwifchen göttlichem und menfeh-
lichem Willen; es ift erfreulich, dafs Ritfehl fich von

I den Kantianern darin unterfcheidet, dafs er nicht die
Religion zum unfelbfländigen Anhängfei der Moral macht;
Ritfehl beftreitet die Annahme, dafs der Mafsftab für
die wiffenfehaftliche Wahrheit des Chriftenthums die in
angeborenen Ideen fich bewegende natürliche Religion
oder Vernunft bilde; Ritfehl ift der Ueberzeugung, dafs
man den Glauben der chriftlichen Gemeinde an Chriftus
theilen mufs, um feiner Perfon gerecht werden zu können;
die Möglichkeit eines Beweifes für das Chriftenthum hängt
nach Ritfehl von ethifchen Vorbedingungen ab'. Diefe
Anerkennungen verfucht Frank mehrfach durch den Nachweis
einzufchränken, dafs Ritfehl nicht vermocht habe,
feine richtigen Ablichten durchzuführen. Immerhin hat
Frank in den angeführten Sätzen manches zurückgewiefen,
was fonft zu dem eifernen Beftandc der zur Belehrung
weiterer Kreife gegen Ritfehl geführten Polemik zu ge-
| hören pflegt. Wie oft haben wir z. B. vonLipfius und
I von Luthardt's Gelehrten hören müffen, dafs wir die
Religion zu einem Anhängfei der Moral machten! Man
! follte nun meinen, dafs Frank einem Theologen, deffen
j hervorragende Leiftung er anerkennt und dem er in fo
j vielen Punkten zuftimmt, die Bereitwilligkeit, auf feine
I Gedanken einzugehen, beweifen werde. Aber anftatt
deffen begegnet uns überall das feindfelige Beftreben, in
1 den grofsen Werken Ritfchl's Mängel aufzufpüren und
aus denfelben möglichft viel gegen ihn zu machen. Bisweilen
hat Frank dabei Dinge berührt, welche auch ich
für Mängel halte. Aber was foll man dazu fagen, dafs
ein Mann wie Frank fich überhaupt mit einer folchen
Art der Polemik begnügt? Wenn Frank einen Vortrag
über Ritfehl hält, fo follte man meinen, die Thatfache
allein beweife, dafs Frank diefem Theologen eine Bedeutung
zuerkennt, welche fich in der Art und in dem
Ausdruck der gegen ihn gerichteten Polemik kundgeben
müfste. Anftatt deffen liebt es Frank, von feinem Gegner
in Marken Ausdrücken der Erbitterung und Geringfehätzung
zu reden. Die Stellung, welche Frank in der Theologie
einnimmt, follte ihn doch auch verpflichten, in
der Polemik etwas ins Grofse zu gehen. Zunächft hätte
er fich bemühen müffen, die gegnerifche Theologie als
ein Ganzes zu erfaffen, welches durch feinen Gehalt und
innern Zufammenhang eine folche Beachtung durch den
,auf der Höhe der Wiffenfchaft flehenden' Theologen
rechtfertigt. Dafs an Ritfchl's Werke Mängel haften, ift
bei den gewaltigen Maffen, die er in Bewegung fetzt,
felbftverftändlich. Er felbft verkennt das am Wenigften,
wie aufs Neue die belfernde Arbeit zeigt, die er der
dritten Auflage feines Werkes hat angedeihen laffen.
Aber R. hat zuerft nach den Grundfätzen der Reformation
das Ganze des Chriftenthums erfaffen gelehrt, welches
dem praktifchen Leben des evangelifchen Chriften feine
Form geben kann und foll; und er hat gezeigt, dafs
diefes Chriftenthum darin allein den Grund feiner Ge-
wifsheit und die Gewähr feiner Wahrheit hat, dafs wir
dazu durch Gottes Offenbarung in Chriftus erhoben
werden, und dafs der Befitz diefes Chriftenthums für den
| zur Sittlichkeit beftimmten Menfchcngeift das Leben im
j Ewigen ift. Nun mag man Ritfchl's Namen verfchreien,
fo viel man will. Seine Arbeit wird doch fchlicfslich
alles wahrhaft Lebendige in unterer Kirche in ihren
Kreis ziehen. Ritfchl's erkenntnifstheoretifchen Ausführungen
vermag ich auch nicht in allen Stücken beizupflichten
. Die Ausfcheidung eines von ihm gerügten Ab-
fchnitts wird Frank in der. dritten Auflage finden. Aber
Frank hat wahrlich kein Recht, Ritfchl's bisherige Darfteilung
fo zu gloffiren, wie er thut. Frank verfteht die
Kantifche Erkenntnifstheorie dahin, als dürfe oder folle
fogar der Unterfchied von Ding an fich und Erfcheinung
auf Gott und die Gegenftände des Glaubens angewendet
werden. Daraus geht hervor, dafs Frank fich in diefen
Dingen nicht genügend unterrichtet hat, um etwas Zutreffendes
darüber fagen zu können. — Auch Frank nimmt
I daran Anftofs, dafs Ritfehl es als einen P'ehler bezeichnet