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Ausgabe:

1888 Nr. 23

Spalte:

569-571

Autor/Hrsg.:

Nägele, Eug.

Titel/Untertitel:

Aus Schubart‘s Leben und Wirken 1888

Rezensent:

Eck, Samuel

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569 Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 23. 570

— Den Anfänger verräth die Art des Abdrucks, welche,
von einem übel angebrachten Beftreben nach paläogra-
phifch treuer Wiedergabe geleitet, nur dazu führt, die
Leetüre der fo behandelten Stücke für alle diejenigen,
welche mit der Actenfprache der Zeit nicht von Grund
aus vertraut find, unmöglich zu machen oder mindeftens
unnöthiger Weife fehr zu erfchweren. Geradezu falfch
aber ift es, mag man ausgehen, von welchem Princip
man will, die Abkürzungshäkchen unberückfichtigt zu
laffen, wie es der Verf. thut, der confequent druckt ,und
einander' (ftatt: under einander), ,wid einander', ,dhalben'
(ftatt: derhalben), ,undgang' ,brüdlich'u. f. w. Hiervon ab-
gefehen fcheint, foweit fich ohne Einficht in die Vor-

theilung wefentlich als Refultat der geiftlichen Gewalt-
cur aufgefafst, welcher er im Kerker unterworfen wurde.
Nägele hingegen will nicht nur in diefem Urtheil Sch.'s
über feine eigene Verfchuldung Uebertreibung erkennen,
fondern meint wenigftens für die Zeit feines Aufenthalts
in Geifslingen (1763—69) eine im Ganzen unanftöfsige
fittliche Haltung desfelben nachweifen zu können. Es
begegnet ihm dabei freilich, dafs er auf S. 182 die urkundlich
feftftehenden Exceffe aus den Jahren 1765 u.
67 (f. S. 37 u. 109) ganz aufser Acht läfst. Zudem hat
er felbft den Dichter wiederholt eigentlicher Unwahr-
haftigkeit überführt (f. S. 35. 54. 67.78. 92 f. 119. 183.
187. 248) und feinem Charakter damit einen befontlers

lagen urtheilen läfst, der Abdruck irn Grofsen und Ganzen , häfslichen Makel angeheftet. Nimmt man den zuge-

correct zu fein; augenfällige Sinnfehler wenigftens find ftandenen Mangel an Selbftbeherrfchung, den unmänn-

dem Ref. nur vereinzelt aufgeftofsen. liehen Klageton in vielen Briefen aus diefer Zeit und die

Dankenswerth ift das beigegebene ,Verzeichnifs der , trotz naturlicher Neigung und bedeutender Anlagen immer

gedruckten Literatur' und das Perfonenregifter; wenig zu wieder hervortretende Unfähigkeit, fich in fein Familien-

loben und nicht nachahmenswerth die dürftige äufsere und Amtsleben zu fchicken, hinzu, fo wird man kaum

Ausftattung, welche das Buch erhalten hat. geneigt fein, von der Sittlichkeit des Mannes befonders

Göttingen. (Rom.) Walter Eriedensburg. v00*1 zu denken Aber das Einzige, was für diefe mannigfachen
und fchweren fehler als Erklärung und Ent-
fchuldigung zu gelten vermag, fcheint mir nicht genügend

Nägele, Eug., Aus Schubart's Leben und Wirken. Mit einem j hervorgehoben zu fein. Steht nicht im Hintergrund diefer

Anhang: Schubart's Erftlingswerke und Schuldiktate. Fehler überall das Lebensideal, welches damals wie in

Stuttgart, Kohlhammer, 1888. tXU, 448 S. m. Uluftr. ! - er Luft lag: das goldene Zeitalter des Gefchmacks, die

q. r. Literatcnrepubhk der Hainbundler, der Sturmer und

8.) JYL. 5. - Dränger, Dichter und Kritiker? Die Zugehörigkeit zu
Diefes Buch würde auf gröfsere Anerkennung rechnen ( diefem Stande von Auserwählten erfcheint als einzig be-

können, wenn es dem Verfaffer gefallen hätte, fich gehrenswerthes Ziel. Daneben treten andere fittliche

während feiner Arbeit eine deutliche Vorftellung von dem Aufgaben und Verhältnifse: Arbeit und Beruf, Familie

Kreis der Lefer zu bilden, an welche er fich wenden und bürgerliche Gefellfchaft, als minderwerthig in den

wollte. Dasfclbe kann nach einer Aeufserung in der Vor- Hintergrund. Es bildete fich, meint Straufs, die Lofung,

rede,auch' als Commentar zu den bisherigen Darftellungen die finnliche Natur dadurch unfehädlich zu machen, dafs

betrachtet werden. Das dürfte aber in der That feine man fie gelegentlich als Zuträgerin künftlerifchen Stoffes

einzige Beftimmung fein. Denn nicht nur ift fraglich, für den Geift benutzte. Aber nicht die Doppelwirth-

ob das Jugendlcben des Dichters (bis 1769) einer noch fchaft: geiftlich-weltlich trägt hieran die Schuld, fondern

ausführlicheren Darfteilung werth ift, als fie ihm in der die einfeitig-verkehrtc Bevorzugung des literarifchen

Lebensbefchrcibung von Hauff (Stuttgart 1885) bereits Lebens.

zu Theil geworden ift, fondern die Abficht einer zu- Diefes Ideal fpiegelt fich auch in den religiöfen An-
fammenhängenden Schilderung wird in der vorliegenden fchauungen Schubart's. Er redet von dem ,Hochgefühl,
Arbeit auch fortwährend durch die ausführlichen Einzel- ein Chrift zu fein und in einer andern Welt fich in die
unterfuchungen über die Erftlingswerke des Dichters Reihen derjenigen grofsen Geifter hindrängen zu dürfen,
durchkreuzt. Diefe — Oden, .Zaubereien', Beiträge zu die ihn hienieden belehrt' (S. 32); er vergiefst .wollüftige
der Zeitfchrift ,Der neue Rechtfchaffene', Schuldictate — Thränen über das Glück, drüben über den Gräbern
finden fich im Anhang theilweife abgedruckt. Bieten nun Weife, Chriften und empfindende Seelen zu wiffen' (S. 87)
aber diefe Jugendwerke faft nur Unbedeutendes und wenig und läfst den Schriftfteller Abbt im Himmel mit den
Charakteriftifches, fo dürfte es klar fein, dafs ein Buch Worten begrüfst werden: „Er kommt", fo ruften dann
folchen Inhalts fich nur an literarifche Eachgenoffen Newtone und Leibnize, „er kommt auf feinem Wolkcn-
wenden kann. Wer fonft follte diefe fchwülftigen Oden fitze", und lächelten den Liebling an' (S. 269). Das ift
zu einigem Genufs oder diefe langweiligen moralifchen allerdings Phantafie, aber fehr reale Phantafie, der WiderBetrachtungen
zu eigener Erbauung lefen wollen? Die fchein der wirklichen Lebensanfchauung des Mannes.
Schuldictate allein wird man mit Vergnügen durchblättern Ganz entfprechend vermag er an Luther nur die zer-
und in ihrem derben Humor den kecken Geift des fpäteren 1 Hörenden Kräfte zu fchätzen (S. 124) und langt fchlicfs-
Chroniftcn angedeutet finden. Unter diefen Umftänden 1 lieh bei dem Urtheil an: ,wenn er nicht zu polemifch
ift es aber nicht verftändlich, zu welchem Zweck die Ge- hätte fein müffen, fo würde er gewifs einer der gröbsten
uichte auf S. 6. 51. 62. 71. 161. 230—37. 262 h 444 mit- Dichter gewefen fein (Hauff, Schubart, 1885, S. 310).
detheilt find, da fie fämmtlich bei Straufs (Gef. bchrr. 8 Verräth fich nun hier ein möglichft geringes Verftändnifs
g. 9) und Hauff (Reclam 1884; für Jedermann zugäng- für Luthers Glauben, fo kann es auch kaum Wunder
lieh find. Dasfelbe gilt von der feitenlangen Wiedergabe nehmen, dafs er in feinem religiöfen Denken und Schrift -
yon Briefen, die jeder Eorfcher in der Straufs'fchen ftellern haltlos zwifchen den Intereffen des Pietismus und
Sammlung bequem nachfchlagen könnte, ferner von der Rationalismus hin und her fchwankt (f. befonders S. 122 ff.).
Charakteriftik, die L. Schubart, der Sohn, vom Vater ent- In feinen geiftlichen Liedern finden fich dicht bei ein-
worfen hat (S. 150—156), vollends aber von dem ganzen ander pietiftifche Bekehrungsantriebe und die aufgeklärte
Abfchnitt: .Ueberblick über Sch.'s fpäteres Leben' Sprache des guten Gewiffens (vergl. S. 283 ff. Nr. 47 u.
(S. 200—218), der, aufser auf S. 212 Anm., nichts Neues | 60). Wenigftens in diefer Zeit ift für diefe Seite feines
bietet, alfo ganz wohl überhaupt hätte wegfallen können. Dichtens das briefliche Geftändnifs (S. 93, vergl. 92) gc-
Der Verfaffer fieht fich wiederholt veranlafst, auch wifs von entfeheidender Bedeutung gewefen: ,Der Ge-
auf das religiöfe und fittliche Leben Sch.'s einzugehen, danke: nach deinem Tode wird eine ganze Gemeinde mit
Er ift dabei beftrebt, die Schatten möglichft zu lichten, andächtiger Feier ein Lied von dir zum Himmel hinaufweiche
der Gefangene auf dem Hohenasperg über feine fingen— ergreift mich oft fo, dafs ich den Horaz laufen
früheren Jahre gebreitet hatte. Straufs hatte diefe Schatten laffe und auf die Harfe David's horche'. Das fittliche
nicht in Abrede geftellt, aber die fpätcre Selbftverur- und das religiöfe Leben leiden alfo beide und beide