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Ausgabe:

1888 Nr. 21

Spalte:

522-524

Autor/Hrsg.:

Bossert, G.

Titel/Untertitel:

Die Anfänge des Christentums in Württemberg 1888

Rezensent:

Hauck, Albert

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Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 21.

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den ficheren Nachweis der Abhängigkeit des Gedichts 1
vom Barnabasbrief, der mir noch nicht geglückt war).
Endlich hat er die höchft forglofe Ausgabe des Fabri-
cius beleuchtet und eine lange Reihe von augenfchein-
lichen Fehlern der editio princcps berichtigt.

In dem zweiten Abfchnitt handelt Oxe ,de carminis
indole volgari1. Das Gedicht gehört nicht nur dem
,eifernen Zeitalter' an, fondern trägt den Stempel ,delerri-
mac volgari1atist. Dies wird an der Orthographie, der
Ausfprache, der Profodie, der Flexion, der Conftruction, j
dem Gebrauche der Präpofitionen, an den Wortbedeutungen
und den Anfätzen zum Reim gründlich und um-
faffend bewiefen. Der Dichter fteht tief unter Juvencus,
Prudentius und Sedulius; kaum dafs er den Vergil kennt;
feine Nachahmungsverfuche undPlntlchnungen findmeiftens
ganz unglücklich. Die Kenntnifs des Griechifchen mufs
ganz oberflächlich gewefen fein.

In dem dritten Abfchnitt handelt der Verfaffer vom I
Zeitalter und Vaterland des Dichters. Auf anderem Wege I
als Hückflädt fucht er nach näheren Beftimmungen (die
Bibelcitate, die Nachahmungen anderer Dichter, der Gebrauch
ungewöhnlicher Worte), kommt aber in der Zeitfrage
zu demfelben Anfatz wie Jener (gegen Hilgenfeld
, der das Gedicht in's 3. Jahrh. rückt). Er zeigt,
dafs Juvencus benutzt ift, nicht aber Prudentius und die
Jüngeren, fo dafs das Gedicht nach 330 und vor den
Schfufs des 4. Jahrh. fallen mufs. Auf diefelbe Zeit
(2. Hälfte des 4. Jahrh.) weift ihn der Wortfehatz, aber
diefer weift ihn auch nach Afrika, während Hückflädt
für Rom als Abfaffungsort eingetreten ift. Ich vermag
den Beweis, dafs der Verfaffer von Geburt und Bildung
ein Afrikaner gewefen fei, nicht zu widerlegen; aber
dennoch glaube auch ich, dafs er in Rom gefchrieben
hat, und zwar erftlich wegen des römifchen Bifchofska-
talogs, den der Dichter aufgenommen hat, zweitens weil ,
eine Polemik gegen Marcioniten in Afrika in der 2. Hälfte ;
des 4. Jahrhunderts höchft auffallend ift. In Rom hat j
es damals noch Marcioniten gegeben, in Afrika fchwer-
lich mehr.

Die Hypothefe des afrikanifchen Urfprungs fucht der
Verf. in dem letzten Abfchnitt durch eine genaue Un-
terfuchung der Verwandtfchaft des Dichters mit Commo-
dian zu verftärken. Diefe Verwandtfchaft ift, wie Oxe
zuerft gezeigt hat, allerdings höchft frappant; fie erftreckt
fleh fehr weit und umfafst Grofses und Kleines, in der
Theologie, dem Bibeltext, dem Gebrauch der h. Schrift,
der Sprache, den Conftructionen, dem Wortvorrath. Sie
ift fo bedeutend, dafs die ohnehin fchon erfchütterte
Datirung des Commodian auf das 3. Jahrh. von hier aus
noch einmal fehr empfindlich erfchüttert wird; allein
für die Frage, ob unfer Gedicht in Rom oder Afrika
gefchrieben ift, fcheint fie mir völlig gleichgiltig zu fein;
denn auch zu Rom haben geborene Afrikaner gewirkt.

Möge uns der Herr Verfaffer recht bald die ver-
fprochene neue Ausgabe des Gedichts in der Wiener
Bibliothek der Kirchenväter fchenken.

Marburg. Adolf Harnack.

Döllinger, J. v., Akademische Vorträge. 1. Bd. Nördlingen,
Beck, 1888. (V, 427 S. gr. 8.) M. 7.— ; geb. M. 9.—

Von den drei grofsen Altmeiftern der Gefchichts-
wiffenfehaft, von denen ein Jeder felbft ein ruhmvolles
Stück Gefchichte repräfentirt, Ranke, Döllinger und
Hafe, ift der Erlte uns entriffen worden. Döllinger und
Hafe find noch in rüftiglter Arbeit, und was die Jüngeren
immer feltener bieten, gefchichtliche Darftellungen,
die man lefen und an denen man fich erfreuen kann,
das bieten fie uns dar, die Gegenwart erinnernd, dafs
die Gefchichtserzählung, nicht die Kritik und gefchichtliche
Statiftik, das Ziel unterer Wiffenfchaft ift. Döllinger
hat fich, einem allgemeinen Wunfche entfprechend, ent-
fchloffen, feine akademifchen Vorträge, die zum Theil I

gar nicht, zum Theil in verkürzter Geftalt weiteren
Kreifen bekannt waren, herauszugeben. Der hier vorliegende
erftc Band umfafst zwölf Vorträge aus den JJ.
1875—1887 (1. Die Bedeutung der Dynaftien in der
Weltgefchichte. 2. Das Haus Wittelsbach aind feine Bedeutung
in der deutfehen Gefchichte. 3. Die Beziehungen
der Stadt Rom zu Deutfchland im Mittelalter. 4. Dante
als Prophet. 5. Deutfchlands Kampf mit dem Papft-
thum unter Kaifer Ludwig dem Bayer. 6. Aventin und
feine Zeit. 7. Finflufs der griechichen Literatur und
Cultur auf die abendländifche Welt im Mittelalter.
8. Die orientalifche F"rage in ihren Anfängen. 9. Die
Juden in Europa. 10. Ueber Spaniens politifche und
geiftige Entwickelung. II, Die Politik Ludwig's XIV.
12. Die einflufsreichfte Frau der franzöfifchen Gefchichte).
Keiner diefer Vorträge ift fpeeififeh kirchengefchicht-
lich und keiner greift unmittelbar in die Verhältniffe
der Gegenwart ein, und doch — von den beiden erften
Vorträgen abgefehen —■ fpricht überall der Kirchen-
hiftoriker zu uns, und wir fehen zugleich die Gegenwart
imSpiegel der Vergangenheit: freilich nicht der Kirchen-
hiftoriker, der felbft Partei ergreift und die Kirchenge-
fchichte zu einer Gefchichte der Theologie verengt, fondern
der Hiftoriker, der aus der Gefchichte gelernt hat,
dafs Religion und Kirche ihre wichtigften Themata find,
und der da weifs, dafs die Gefchichte dann die gröfste
Lehrmeifterin ift, wenn wir fie allein fprechen laffen.
Döllinger meint nicht, der Gefchichtfchreiber müffe fich
felbft die Rolle des griechifchen Chors zuweifen; mit
einer faft herben Sachlichkeit erzählt er; geiftreiche
Apergus, befchauliche Erwägungen fucht man bei ihm
vergebens. Aber wenn der Geiftreichthum des Hifto-
rikers die an der umfaffendften Kenntnifs des Stoffs gebildete
Kraft der Anfchauung ift, fo befitzt Döllinger
diefe Kraft im höchften Mafse; er feffelt unwiderftehlich,
indem er einen mit Meifterfchaft ausgewählten und knapp
gefafsten Stoff in reicher Fülle vorführt, wirklich Gefchichte
und Gefchichten giebt, belehrt, indem er unterhält
, und ein einfaches grofses Ergebnifs der Gefchichte
ohne jedes Raffinement entftehen läfst. Fr verzichtet
völlig darauf, den Hörer und Lefer zu irgend etwas
überreden zu wollen, es fei denn zu dem Gleichmuth
und der fachlichen Stimmung, die den Erzähler be-
herrfchen. So hat er uns in diefen Vorträgen, neben
der Fülle von Intereffantem, ein grofses Mufter vorgeftellt,
und folcher Mufter bedürfen wir mehr wie je.

Auf die einzelnen Vorträge gehe ich nicht ein; nur
das fei bemerkt, dafs die beiden letzten (Ludwig XIV.
und die Frau von Maintenon) zufammen mehr als ein
Drittel des Bandes füllen und als eine Monographie von
höchfter Vollendung gelten können. Man kann den
letzten Vortrag eine ,Ehrenrettung' nennen; aber er hat
mit den üblichen ,Rettungen' nichts gemein.

Marburg. Adolf Harnack.

Bossert, G., Die Anfänge des Christentums in Württemberg.

Erweiterter Abdr. aus den ,Blättern für württemb.
Kirchengefchichte'. Stuttgart, Greiner & Pfeiffer, 1888.
(35 S. 8.) M. -.50.

Die vorliegende Schrift ift der erweiterte Abdruck
einer Reihe von Auffätzen, welche in den Blättern für
Württemberg. Kirchengefchichte erfchienen. Waren fie
zunächft nur für einen engeren Lcferkreis beftimmt, fo
verdienen fie doch auch bei denjenigen Beachtung,
welche nicht durch localpatriotifchcs Intereffc auf fie
aufmerkfam gemacht werden. Denn fie verfuchen, über
ein Gebiet Licht zu verbreiten, über das unfer Wiffen
ungemein befchränkt ift. Directe Nachrichten über die
Anfänge des Chriftenthums in Württemberg fehlen gänzlich
. Man ift- auf Schlüffe aus anderwärts fcftftehenden
Thatfachen angewiefen. Der Verfaffer zieht feine Schlüffe

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